© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Liebe in allen Spielarten
Film mit Gewissen: Regisseur Oskar Roehler geht zu den „Quellen des Lebens“
Sebastian Hennig

Oskar Roehler berichtet, daß er das Ende des fünften Lebensjahrzehnts erreichen mußte, ehe ihm die Hinterlassenschaft seiner Eltern erträglich wurde. Zuerst errichtete er seiner Mutter, der in jeder Hinsicht gescheiterten Schriftstellerin Gisela Elsner, das filmische Mahnmal „Die Unberührbare“. 2011 veröffentlichte er dann einen Roman über seine „Herkunft“. Als Panorama einer deutschen Familie im zwanzigsten Jahrhundert hat er das Buch nun verfilmt und ist damit endgültig der Geister Herr geworden, die ihn ins Leben riefen, ohne ihm eine Zukunft zu vergönnen.

Am Ende von „Quellen des Lebens“ erscheint dann ein weiteres Mal die unliebenswürdige Mutter Gisela Ellers (Lavinia Wilson) und schwadroniert über Verfolgung durch den Geheimdienst. Dem personifizierten Gespenst des Kommunismus wird verwehrt, im Leben ihres Sohnes weiter umzugehen. Diese Äpfel wollten so weit vom Stamm rollen wie noch nie. Ohne Liebe und richtungslos beschleunigten sie ihre Bahn und zerschmetterten unversehens an der Borke des Stammes, den sie flohen. Da können die jungen Leute nur staunend schweigen.

Der fast dreistündige Film führt über drei Generationen die Familie Freytag vor und beginnt mit der Heimkehr des ruhrkranken, zahnlosen Erich Freytag (Jürgen Vogel) aus russischer Kriegsgefangenschaft. Daheim stößt er auf das Regime seiner dominanten lesbischen Schwester Marie (Sonja Kirchberger). Daß er sich gegen die zähe Konkurrentin durchsetzen kann, hat er weniger seiner Kraft zu danken, als dem Gefühl der Zuständigkeit, das seine Frau Elisabeth (Meret Becker) sich für den Vater ihrer Kinder erhalten hat und der Loyalität seines ältesten Sohns. Die Stimme des Blutes singt hier Liebeslieder.

Die Szene, wie das ungleiche Ehepaar aus Heimkehrer und Daheimgebliebener das erste Mal seit Jahren die nächtliche Lagerstatt teilt, ist in ein symbolisch übernatürliches Licht getaucht. Roehler dazu: „Zuerst hatten alle Angst, daß das aus dem Film rausfiele, fällt aber natürlich nicht raus. Licht hat einen Einfluß auf die Schauspieler wie der Raum und die Kostüme, mit Licht erzeugt man Magie. Das muß man einfach mal machen.“

Zwischen dem Schlamm der Sümpfe von Rschew und Wjasma und dem Morast vor den Bühnen von Woodstock und Altamont läuft eine gerade Lebenslinie der deutschen Familien. Ob 9. Armee oder Rote Armee Fraktion, ob das Jaulen der Stalinorgeln oder „The Star-Spangled Banner“ auf der elektrischen Gitarre: Es ist der gleiche Kot, in den wir getaucht wurden.

Roehlers Vater war zeitweise „Kassenwart“ der RAF und lebte ein halbes Jahr mit Gudrun Ensslin zusammen. Oskar Roehler äußerte 2010 im Interview über seine Eltern: „Meine Mutter war nie wirklich links, sie wurde nur irgendwann von ihrem westdeutschen Verlag fallengelassen, während man sie im Osten und in Rußland immer noch gerne las. Mein Vater wollte in diesem Milieu vor allem Frauen abziehen.“

Anfänglich wirkt der Film wie ein Propaganda-Werkzeug jener permanenten Eigen-Volksverhetzung, in der wir leben müssen. Aber das Ausharren lohnt sich, denn schließlich wird deutlich, daß der Regisseur einer jener Einzelnen ist, denen ein Licht aufgegangen ist. Er hat inzwischen nicht nur zu einem abgeklärten Blick auf seine Herkunft gefunden, sondern auch das Stadium kinematographischer Adoleszenz erreicht.

Nach „Veit Harlan – Film ohne Gewissen“ (2010), einem oberflächlich-effektvollen Versuch, den großen Regisseur im Zwielicht mit dessen eigenen Waffen zu schlagen, woran zuvor schon der Sohn Thomas Harlan weit würdevoller scheiterte, hat Roehler inzwischen vom Meister des filmischen Melodrams soviel gelernt, daß ihm selbst ein veritables Melodram gelungen ist. Die verborgene Liebe, die beim Mann Dank und bei der Frau Erbarmen bedeutet, durchzieht den Film bis zum Schluß und mündet im Höhepunkt eines Opfers.

Roehler, der bisher eine einzige Nervösität darstellt und ein wandelndes Denkmal verwundener Qual, findet am Schluß dieses Filmes nun zu einem versöhnlichen Ausblick. Die kranke Lieblosigkeit der Eltern und die pathologische Liebe der Schwiegereltern Werner führen den Enkel Robert Freytag (Leonard Schleicher) und seine Laura (Lisa Smit) zu einer reinen Liebe, die vielleicht dem Gefühl gar nicht so unähnlich ist, welches bei den Großeltern nach vielen Jahrzehnten endlich äußerlich geworden ist.

Fotos: Erich Freytag (Jürgen Vogel): Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft; Gisela (Lavinia Wilson) und Klaus (Moritz Bleibtreu): 68er-Träume

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