© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/13 / 15. Februar 2013

Milliarden-Klage gegen amerikanische Ratingagentur S&P
„Wir bewerten jeden Deal“
Markus Brandstetter

Kleine Ursachen haben oft große Wirkungen. Ein Grund der Finanzkrise von 2008 lag darin, daß man in den USA Millionen Geringverdienern Hypotheken mit variablen Zinssätzen angedreht hat, die in den ersten beiden Jahren niedrig waren, dann aber steil anstiegen, worauf die Schuldner reihenweise umfielen.

In der Zwischenzeit waren die Hypotheken in Investmentvehikeln gebündelt und von Ratingagenturen mit Bestnoten versehen worden. Solchermaßen geadelt, wurden die Mogelpackungen dann so lange auf Kredit hin- und her verkauft, bis das Kartenhaus zusammenbrach. Einer der Hauptverantwortlichen dieser fragwürdigen Ratingpraxis war Standard & Poor’s. Ohne S&P und die beiden Hauptkonkurrenten Moody’s und Fitch, die jedes noch so miese Investmentvehikel jahrelang mit Bestnoten krönten, wofür sie je Einzelrating bis zu 700.000 Dollar verlangten, wäre es vielleicht nie bis zur Finanzkrise gekommen.

Nun hat das US-Justizministerium in einer beispiellosen Aktion Klage gegen S&P eingereicht. Die Regierung wirft der größten Ratingfirma vor, ihre Kriterien zur Einstufung von Kreditderivaten absichtlich „eingeschränkt, bereinigt und notwendige Anpassungen an die Realität verzögert zu haben, um das eigene Geschäftsmodell zu schützen“. Im Klartext heißt das: S&P hat so lange an seinen Bewertungskriterien gedreht, bis auch noch die letzte Schrottanleihe als eine gute Geldanlage durchging. Daß mit den Ratingnoten irgendwas nicht stimmen konnte, war den eigenen Mitarbeitern schon lange klar. S&P-Analysten spotteten in internen Nachrichten offen über „lächerliche Deals“ und lachten darüber, daß sie „jedes Geschäft bewerten würden“ – selbst wenn es von „Kühen strukturiert worden wäre“.

Eine Verurteilung von S&P wird nicht leicht zu erwirken sein. 41 Klagen hat das Unternehmen bereits abgeschmettert, immer mit Rekurs auf den 1. Zusatzartikel zur US-Verfassung, der die Meinungsfreiheit garantiert. Deshalb wirft Eric Holder, der Generalbundesanwalt der Vereinigten Staaten, S&P nun „vorsätzlichen Betrug“ vor. Die Klage stützt sich dabei nicht auf mathematische Modelle und die angewandten Rating-Kriterien, sondern auf Hunderte interner E-Post-Dialoge von S&P-Mitarbeitern. Die sollen zeigen, daß S&P nicht subjektive Falscheinschätzungen abgab, sondern das Unternehmen vorsätzlich mit betrügerischer Absicht handelte.

Niemand kann heute sagen, ob die Klage Erfolg haben wird. Die US-Regierung erhofft sich eine Geldstrafe von fünf Milliarden US-Dollar oder einen Schuldspruch durch die Geschworenen. Eines ist jedoch heute schon klar: Eine Verurteilung würde das Ratinggeschäft von S&P auf Jahre hinaus negativ beeinflussen. Der Aktienkurs von McGraw-Hill, der S&P-Muttergesellschaft, ist seit Bekanntwerden der Klage bereits um ein Viertel gefallen.

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