© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Umziehen unerwünscht
E-Bücher: Elektronischen Büchern gehört die Zukunft, es gibt aber einige Dinge, die Handel und Produzenten verbessern sollten
Ronald Gläser

Rückblickend nennt Klaus Jestädt seine Kaufentscheidung heute eine „Tragödie“. Der Computerfreak hatte sich ein Lesegerät für E-Bücher von Sony zugelegt. Dieses Lesegerät muß auf der Sony-Netzseite registriert werden. Damit fing der Ärger an. Es ist ihm nicht gelungen, sich anzumelden, weil er sich lange zuvor schon einmal angemeldet, aber das Paßwort verbummelt hatte. Ein neues zu bekommen stellte sich als sehr schwierig heraus.

Das war nur der Anfang. Die ersten bei libri.de erworbenen Bücher ließen sich nicht lesen, weil Jestädt nicht das richtige Programm auf seinem 149-Euro-Gerät installiert hatte. Nachdem er die Daten aktualisiert hatte, konnte er die Bücher immer noch nicht lesen. Das sogenannte Digitale Rechtemanagement (DRM) konnte ihn nicht als „autorisierte Person“ identifizieren. Er gab entnervt auf und kaufte sich die Bücher aus Papier.

Ein Einzelfall? Vermutlich. Daß ein Kunde mit einem neuen Produkt Pech hat, kommt immer wieder mal vor. Rückrufaktionen gibt es in allen möglichen Branchen – von Autos bis Lebensmittel. Der geschilderte Fall sticht hervor, weil E-Bücher ein wichtiger Wachstumsmarkt sind.

Branche macht ähnliche Fehler wie Musikindustrie

Schätzungen zufolge wurden im vergangenen Jahr 800.000 reine Lesegeräte wie Amazons Kindle verkauft. In diesem Jahr dürfte die Millionenmarke genommen werden. Noch besser verkaufen sich Tablet-Rechner wie das iPad, die noch zahlreiche weitere Funktionen erfüllen. 2012 wurden etwa 3,2 Millionen dieser Geräte in Deutschland an den Mann gebracht. Im vergangenen Jahr wurden mit diesen Endgeräten schätzungsweise drei Millionen E-Bücher im Wert von etwa 25 Millionen Euro heruntergeladen. Tendenz: massiv steigend. In Amerika und England ist der Trend noch stärker ausgeprägt. Dort wird bereits mehr Geld für E-Bücher als für Bücher aus Papier ausgegeben.

Und doch liegen einige Fehler im System, die die Verbreitung von E-Büchern behindern und aus Kundensicht unattraktiv machen: Das Hauptärgernis ist, daß Käufer nur Lizenzen zum Lesen der E-Bücher erwerben – statt richtige Eigentumsrechte. Das bedeutet, daß ihnen das Buch nicht richtig gehört.

Das hat Folgen. 2009 hat Amazon zwei Bücher, ausgerechnet von George Orwell, einfach von allen Kindles gelöscht, weil es einen Streit um die Urheberrechte gab. Das Unternehmen hat sich später dafür entschuldigt und aus dem Fehler gelernt. Das Mißtrauen besteht bis heute fort.

Solche Bücher können fast unmöglich legal verkauft oder verliehen werden. Problematisch ist auch das Umziehen. Wer seine Amazon-Ländereinstellungen ändert, weil er nach Österreich oder Luxemburg umzieht, kann Probleme mit den Büchern bekommen, weil seine Lizenz dort nicht gilt und neu erworben werden muß. Wenn es überhaupt geht. Das gilt ebenso für Amazon-Kunden, die ihr Konto schließen wollen. Sie verlieren die Rechte an ihren E-Büchern. Das nächste Problem ist, daß die Anbieter Hürden einbauen, um das Verbreiten zu erschweren. Das hat zur Folge, daß das Kopieren eines Hörbuchs von der Amazon-Tochter Audible vom einen Gerät auf das andere nicht gerade nutzerfreundlich einfach ist.

Fassen wir zusammen: Ein Käufer eines herkömmlichen, gedruckten Buches muß sich nirgendwo registrieren – weder beim Kauf eines Lesegeräts noch beim Kauf eines Buches. Der Inhalt seiner Bücher kann nicht nachträglich geändert oder gelöscht werden. Er kann mit den Büchern in ein anderes Land umziehen und beschließen, daß er seinen Buchladen wechselt, ohne daß er das Recht am Besitz seiner Bücher verliert. Er kann es verleihen oder sich legal und unkompliziert am Kopierer eine Privatkopie erstellen. Er kann zudem ein in Deutschland von Verbot bedrohtes Werk wie beispielsweise das neue, bislang nur auf englisch erschienene Geert-Wilders-Buch im Ausland erwerben und in sein privates Bücherregel stellen.

Der deutsche Amazon-Kunde kann das nicht. Das Buch ist in seinem Land nicht verfügbar. Und auch die anderen Dinge kann der Inhaber eines Lesegeräts nicht oder nicht ohne weiteres. Stets muß er fürchten, daß Inhalte gelöscht oder verfremdet werden. Die Branche (Händler, Gerätehersteller und Rechtevermarkter) hat es in der Hand, kundenfreundliche Standards zu schaffen. Tut sie das nicht, so riskiert sie, daß es ihr so ähnlich ergeht wie der Musikindustrie. Diese hat vor 15 Jahren das Internet verschlafen und Milliardenverluste einstecken müssen, auch weil sie den Zug der Zeit nicht erkannt hat.

Die Probleme auf dem Markt für E-Bücher sind nicht identisch, aber ähnlich. Sie führen dazu, daß Kunden sich gegen das Produkt entscheiden wie Klaus Jestädt, der nach seinen abschreckenden Erfahrungen mit dem Gerät polterte: „ Sony ist für mich als Marke mit Weltruf kaputt.“ Er kauft jetzt wieder gedruckte Bücher.

Verkaufsschlager: Amazons Kindle Fire ist seit September auf dem deutschen Markt, wo es sich gut verkauft

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen