© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Pankraz,
H. Lesch und das Prinzip Unordnung

Die moderne Behördensprache – eine Fatalität! Regierungsverlautbarungen und Ausführungsbestimmungen werden immer ungenauer, abstrakter, unverständlicher, und kurioserweise beruft man sich dabei auf den Fortschritt der Wissenschaft, dem man sich angeblich anpasse. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall, wie vor allem die üppig sprießende Rhetorik der sogenannten Energiewende zeigt.

Schon das Wort „Energiewende“ ist ein Hohn auf jede Wissenschaft, erzeugt die Illusion, als könne man die Energie beliebig „wenden“, vom Harten zum Weichen, vom Rechten zum Linken, vom Riskanten zum Harmlosen. Dabei hat die Thermodynamik längst an den Tag gebracht, daß Energie gar nicht gewendet werden kann, was immer man auch mit ihr anstellen mag. Sie läuft immer nur in eine einzige Richtung, nämlich vom Heißen ins Kalte, vom Geordneten zum Ungeordneten.

Nicht anders steht es mit dem zweiten Zentralwort der neuen Politik, der „erneuerbaren Energie“. Energie ist nicht erneuerbar, jede Form von Perpetuum mobile, wo verbrauchte Energie „erneuert“ oder gar aus dem Nichts beliebig neu erschaffen wird, bleibt eine Utopie, über die Wissenschaftler nur den Kopf schütteln können. Was verbraucht ist, ist verbraucht. Und am Ende allen Energieverbrauchs steht unabwendbar die „Entropie“, der Wärmetod, die totale Unordnung, der keine gute Absicht mehr aufhelfen kann.

Fast scheint es, als spiegle sich diese Entropie bereits jetzt in dem Tohuwabohu wider, das die aktuelle deutsche Politik in Sachen Energiewende tagtäglich anrichtet. Man lese das soeben erschienene Buch „Kampf um Strom“ der Energiepolitikerin Claudia Kemfert (Murmann Verlag, Hamburg 2013, broschiert, 140 Seiten, 14,90 Euro). Ihr zufolge herrscht in Berlin mittlerweile „das blanke Chaos“.

Zitat: „Das Erneuerbare-
Energien-Gesetz (EEG) soll erst abgeschafft werden, dann wieder doch nicht, Offshore-Windparks werden mit viel Wind gestartet, dann gestoppt. Stromnetze werden geplant, aber nicht gebaut. Plötzlich weiß niemand mehr, wo es eigentlich langgeht. Statt dessen beherrschen Lobbyisten unterschiedlichster Herkunft die Diskussion, drehen die Politiker mal in die eine, dann in die andere Windrichtung.“

Vielleicht sollten sich die an der „Energiewende“ beteiligten Politiker und Lobbyisten einmal ein bißchen an ihren Physikunterricht und an die berühmten drei Hauptsätze der Thermodynamik erinnern. Dort lernt man ja, daß kein geschlossenes System energetisch auf Dauer bestehen kann, weil sich eben alle energiespendenden Impulse allmählich aneinander abschleifen und einebnen, daß also Einflüsse von draußen nötig sind, um neue Wärmegrade und Ordnungszentren entstehen zu lassen, von denen dann neue Ener-gien ausstrahlen.

Was für die Physik gilt, gilt möglicherweise auch für die Psychologie. Auch bei den intellektuellen Potentialen gibt es – mag sein – außergewöhnliche Wärme- und Ordnungsgrade, die notwendig sind, um sinnvolle Diskussionen überhaupt erst in Gang zu setzen und für eine Weile am Leben zu erhalten. Sie liefern die Energien zur Aufrechterhaltung sozialer Ordnungsgefüge, doch peu à peu verströmen sie sich buchstäblich, werden zum Allgemeingut und lassen an Niveau nach – bis schließlich nur noch diffuses Gelaber und Formulierungen übrigbleiben, die verfälschen statt zu erklären.

Wenn dann keine Außenimpulse in Form neuer, bisher systemfremder Denkansätze kommen, regiert voll das Prinzip Unordnung, das heißt, der öffentliche Diskurs wird zur Lachnummer und schnell auch zur Ekelnummer, in dem es nur noch um läppischste Unvorkommnisse geht, um „Enthüllungen“ speziell aus der Sphäre des Unterleibs und aus persönlichen Insinuationen und Denunziationen. Stillstand kommt in Sicht. Die Apparate laufen noch ein Weile führungslos weiter, doch das nahe Ende ist absehbar.

Physiker wie Harald Lesch warnen in ihren populären Vorträgen zwar vor der Benutzung thermodynamischer Theoreme zur Erklärung geistiger Zustände, können aber nicht die Augen davor verschließen, daß die Physik ihrerseits schon seit längerem dabei ist, sich in eine Art Psychologie zu verwandeln, in Astropsychologie einerseits,Teilchenpsychologie andererseits. Von irgendeiner „Materialität“ bei Beobachtung und Analyse kosmischer beziehungsweise subatomarer Verhältnisse ist kaum noch die Rede, nicht einmal mehr von „Masse“.

Alles löst sich auf in rein immaterielle, sinnenferne, nicht einmal mehr logisch-mathematisch voll zu erfassende Beziehungen und Wirkkräfte. Thermodynamik war schon im 19. Jahrhundert Quantenmechanik avant la lettre. Nicht ohne Grund hat der Wissenschaftstheoretiker Ulrich Hoyer erklärt, nicht Werner Heisenberg, sondern der Thermodynamiker Ludwig Boltzmann (1844–1906) habe als erster die Unschärferelation durchschaut. Die Diffusion von der Ordnung zur Unordnung läßt sich tatsächlich nur mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung einigermaßen in den Griff bekommen.

Das Universum ist ein geschlossenes System, in dem gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik das sogenannte Energieerhaltungsgesetz gilt. Die Gesamtenergie des Systems Kosmos hängt nicht von der Zeit ab, sie bleibt konstant und unterliegt wie jede andere Energiemenge der Entropie – es sei denn, es gibt einen äußeren Energiespender jenseits des Kosmos und jenseits aller übrigen geschlossenen Systeme, welcher für Nachschub sorgt, für Wärme und Ordnung.

Gegenwärtige Berliner Energieerneuerer und Energiewender sollten sich aber nicht allzu sehr auf ihn verlassen. Sie sollten endlich selber für Wärme und Ordnung sorgen, und zum fälligen Wärmeschaffen gehört – außer neuen Pumpspeicherwerken und neuartigen Riesenbatterien – nicht zuletzt der Gebrauch einer ordentlichen energiepolitischen Rhetorik. Sonst könnte es passieren, daß wir eines Tages tatsächlich in der Kälte sitzen und auch noch extra dafür bezahlen sollen.

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