© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Es wird immer teurer werden
Gesundheitspolitik: Die Euro-Krise gefährdet die Beitragsstabilität der Privaten Krankenversicherung / Absenkung des Rechnungszinses?
Jens Jessen

Die Private Krankenversicherung (PKV) schaffe „Rücklagen mit dem Ziel, die Beiträge konstant zu halten, wenn die Gesundheitsausgaben durch die demographische Alterung steigen“. Dieses Finanzierungssystem sei „grundsätzlich dazu geeignet, die Folgen des demographischen Wandels aufzufangen“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion zu den PKV-Beitragssteigerungen.

Die steigenden Gesundheitsausgaben seien jedoch nur zu einem Teil auf Verschiebungen in der Altersstruktur zurückzuführen: „Hinzu kommen der medizinisch-technische Fortschritt sowie anderweitig verursachte Mengen- und Preissteigerungen.“ Beide Entwicklungen stellten sowohl für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) als auch für die PKV große Herausforderungen dar. Die Bundesregierung sei aber bestrebt, „sowohl in der GKV als auch in der PKV sicherzustellen, daß auch zukünftig alle Bürgerinnen und Bürger Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung auf hohem Niveau haben“.

Finanzmarktkrisen drücken auf die Nettoverzinsung

Daß inzwischen auch die Finanz- und Euro-Krise die Existenz der PKV in Frage stellt, wird von der Bundesregierung hingegen nur indirekt eingestanden: „Ein dritter wichtiger struktureller Grund für die Beitragssteigerungen sind die sinkenden Zinsen auf den Kapitalmärkten“, heißt es in dem Schreiben der Bundesregierung. Im Gegensatz zu der „für Zinsschwankungen unempfindlichen solidarischen Umlagefinanzierung“ der GKV müsse in der PKV jeder Versicherte „in ein Kapitaldeckungsverfahren einzahlen, damit die Beiträge im Alter nicht unbezahlbar werden“. Dieses Kapital legt die PKV auf den Kapitalmärkten an – und dort liegt das Zinsniveau wegen der Euro-Rettung per Notenpresse (JF 2/13) teilweise unter der Inflationsrate.

Lange Zeit hielten die PKV ihre Reserven zur eingebauten Altersvorsorge für ausreichend. 2011 waren 146 Milliarden Euro in Rückstellungen für die PKV und 24 Milliarden Euro für die privaten Pflegeversicherungen geparkt. Diese Rückstellungen sollten eine relative Beitragsstabilität gewährleisten, denn die Reserven wurden über fünf Jahrzehnte mit durchschnittlich 3,5 Prozent verzinst. Führende PKV-Manager sind nun allerdings der Ansicht, daß viele Anbieter nicht mehr lange in der Lage sein werden, den bisherigen Zins zu erwirtschaften.

Schon die erste Finanzmarktkrise in Folge der geplatzten New Economy-Blase drückte ab 2000 bei einigen Versicherern die Nettoverzinsung unter den Rechnungszins. Die zweite Finanzmarktkrise ab 2008 und die anhaltende Niedrigzinsphase haben eine weiter sinkende Verzinsung der Rücklagen verursacht. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat wie die US-Notenbank Fed zur Freude der Wirtschaft und der Schuldner für niedrige Zinsen am Geldmarkt gesorgt. Die Nettoverzinsung fiel so unter den Rechnungszins. Die niedrigsten drei Verzinsungen von PKV-Unternehmen schwankten im Jahr 2010 zwischen 0,1 Prozent und 2,9 Prozent. Wie die privaten Renten- und Lebensversicherer (JF 47/12) leiden auch die PKV unter dem Anlagenotstand. Die Minizinsen werfen die Kalkulationsgrundlagen über den Haufen. Die Altersrückstellungen der PKV können weniger Kapital aufbauen. Die Versicherer müssen daher die Altersvorsorge auf andere Weise füttern: Statt satter Zinsen, die der Altersversorgung zugeführt werden, werden die PKV-Beiträge erhöht. Die Absenkung des Rechnungszinses führt zunächst zu drastischen Beitragserhöhungen für die Neuzugänge. Die Bestandskunden müssen dann mit der nächsten Beitragsanpassung eine Erhöhung schlucken.

Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen

Für die geschätzten künftigen Krankheitskosten der Versicherten sind schon heute mehr Beitragsmittel zurückzustellen als in der Vergangenheit angenommen wurde. Das Zinstief am Kapitalmarkt ist von nahezu allen PKV zu lange ignoriert worden. Jetzt könnten Kassen zur Absenkung des 3,5prozentigen Rechnungszinses gezwungen werden, wenn dieser Wert nicht zu erreichen ist. Schon heute hat die aufsichtführende Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) die Möglichkeit, einzelne Versicherer zur individuellen Absenkung des Zinses zu zwingen. Wenn das immer mehr Unternehmen betrifft, wäre eine generelle Absenkung sinnvoll.

Um frühzeitig festzustellen, welche Gesellschaften in ihr finanzielles Unheil laufen, hat die BaFin für die PKV das sogenannte AUZ-Verfahren (Aktuarieller Unternehmenszins) ins Leben gerufen. Dieses Frühwarnsystem prognostiziert, welche Verzinsung die Versicherer in den nächsten zwei Jahren am Kapitalmarkt erzielen werden. Dem wird der von den Unternehmen gewünschte Rechnungszins gegenübergestellt.

Die PKV müssen der Aufsichtsbehörde jeweils bis zum 30. April darüber Auskunft erteilen, wie das Ergebnis des AUZ-Verfahrens aussieht und wie groß die Differenz zwischen Kapitalmarkt- und Rechnungszins ausfällt. „Liegt die Prognose unter dem verwendeten Rechnungszins, hat das Unternehmen seinen Rechnungszins auf den Schätzwert abzusenken“, heißt es seitens der BaFin.

Der Vorsitzende des PKV-Verbandes, Reinhold Schulte, wiegelt jedoch ab: Im Moment sei eine derartige Reaktion noch nicht nötig. Allerdings spricht die PKV bereits mit der BaFin intensiv über dieses Thema. Der Chef der Gothaer Krankenversicherung AG, Michael Kurtenbach, könnte sich für das Neugeschäft 2,75 Prozent als obere Grenze vorstellen. Das würde allerdings zu einer Erhöhung der Beiträge um fünf bis acht Prozent führen, denn bei einer Absenkung des höchstens erlaubten Garantiezinses können der Altersrückstellung weniger Kapital zugeführt werden. Leistungskürzungen wie in der GKV scheiden auch aus, denn das würde der Wettbewerbsfähigkeit der PKV schaden: Ende 2011 hatten zwar knapp elf Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine PKV-Vollversicherung, doch allein bis Juni 2012 sank die Zahl der PKV-Verträge um 15.300 auf 8.961.100 – ein Alarmzeichen für die Branche.

Der Verband der Finanz- und Versicherungsmathematiker hat bereits ausdrücklich empfohlen, statt 3,5 Prozent nur noch 2,75 Prozent zu garantieren. Die BaFin war jedoch bereit, auf die generelle Absenkung des Höchstrechnungszinses zu verzichten, wenn es gelänge, ein anerkanntes und verbindliches Verfahren zu entwickeln, das einzelne Unternehmen individuell zu einem niedrigeren Rechnungszins zwingt, wenn sie perspektivisch die 3,5 Prozent nicht erreichen. Dadurch wird es für die PKV noch schwerer, neue Kunden zu requirieren.

Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GVD), will hingegen das Problem an der Wurzel angehen: Er fordert ein rasches Ende der EZB-Niedrigzinsen. Schließlich sind die privaten Renten- und Lebensversicherer genauso betroffen. Die BaFin und das Bundesfinanzministerium legten übrigens schon 2004 einen Entwurf der Kalkulationsverordnung vor, der in der PKV eine Absenkung des Rechnungszinses auf 2,75 Prozent vorsah. Bezogen auf die gesamte PKV ist die Gesamtnettoverzinsung seit 2000 von 7,2 Prozent auf 4,3 Prozent im Jahr 2010 gefallen.

Im Dezember 2012 mußten die PKV-Tarife erneut um vier bis zehn Prozent angehoben werden, denn zugleich steigen auch die Gesundheitsausgaben. In der privaten Pflegeversicherung waren es sogar bis zu 20 Prozent. Und es droht weiteres Ungemach: Wegen eines 2011 gefällten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sind alle Versicherer nun gezwungen, bei Neuverträgen einheitliche Prämien von Frauen und Männern zu verlangen. Kenner der Branche gehen davon aus, daß die Beiträge sich in Richtung des jeweils teureren Geschlechts einpendeln werden.

Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/9330) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu den Beitragssteigerungen bei privaten Krankenversicherungen:

www.dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/093/1709330.pdf

 

Kostenspirale in der PKV

Die Ausgabensteigerungen in der Privaten Krankenversicherung (PKV) liegen seit Jahren deutlich über denen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – und das hat auch hausgemachte Gründe. So sieht die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) teilweise zwei- bis dreimal so hohe Honorierungen wie die GKV vor. Hinzu kommen die hohen Verwaltungs- und Abschlußkosten für PKV-Verträge. Sogar Provisionen von einem halben Jahresbeitrag waren üblich. Während die GKV Verwaltungskosten von etwa fünf Prozent der Ausgaben verursacht, sind es in der PKV inklusive der Abschlußkosten im Schnitt 16,4 Prozent. Laut einer Statistik der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gab es zwischen 2000 und 2010 in der PKV jährliche Beitragssteigerungen zwischen vier und 7,6 Prozent. 2010 lagen die Beitragseinnahmen in der PKV-Vollversicherung bei 24,07 Milliarden Euro, 2011 waren es schon 25,15 Milliarden. Das war eine Steigerung um 4,5 Prozent.

 

Zahlen zur Privaten Krankenversicherung: www.pkv.de/zahlen/

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