© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/13 / 08. Februar 2013

Politischer Fatalismus
Bundestagswahl: Warum SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück keine Gefahr für Angela Merkel ist
Thorsten Hinz

Die SPD hatte ihren Kandidaten Peer Steinbrück als Wunderwaffe gegen die Kanzlerin eingeplant. Statt dessen erweist er sich als defekte Handgranate, die den Genossen in der Faust explodiert. Dabei schien viel für Steinbrück zu sprechen: Der Gottvater der Deutschen, Helmut Schmidt, persönlich hatte ihn auserwählt, gesalbt und gesegnet. Steinbrück verfügt über eine schneidende Rhetorik, er denkt schnell, ist schlagfertig, intelligent. Körperbau und -sprache signalisieren Führungsstärke und Durchsetzungskraft: Eigenschaften, die Deutschland heute dringend braucht. Trotzdem empfehlen sie ihn nicht für die Kanzlerschaft.

Als Grund werden persönliche
Defizite genannt. Abgehoben sei er und arrogant, sein parteiinterner Stallgeruch sei ungenügend, er verachte den Politikbetrieb, ihm fehle die Empathie für
traditionelle Wählermilieus, selbstherrlich ignoriere er die Regeln der öffentlichen Kommunikation. Als letales Argument werden schließlich die Honorare angeführt, die er für seine Vorträge kassiert hat.

Das klingt plausibel, aber nicht zwingend. Es gibt schwerwiegende Gegenargumente: Bundespräsident Joachim Gauck erfreute sich beim Amtsantritt deswegen großer Beliebtheit, weil er der Berufspolitik fernstand. Als arrogant und untypisch für die SPD galt auch Bundeskanzler Helmut Schmidt, und ausdrücklich profilierte Gerhard Schröder sich als Alleinspieler. Dennoch beziehungsweise eben deshalb waren sie als Wahllokomotiven unersetzlich. Der millionenschwere frühere Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) stieg in kürzester Zeit zu einer Erlöserfigur auf. Niemand nahm Anstoß an seiner Burg, seinem Geld, seiner exklusiven Stellung. Im Gegenteil, sie verbürgten seine Unabhängigkeit und Überlegenheit. Warum kann Steinbrück von seinen Vorzügen und Eigenschaften nicht ebenfalls profitieren?

Ausschlaggebend sind politische Gründe, die allerdings erst auf den zweiten Blick hervortreten. Zum Beispiel durch den Vergleich mit seiner Kontrahentin. Merkel erfreut sich, wenn man denn den Umfragen trauen mag, bombastischer Zustimmungswerte. Dabei sind die Ergebnisse ihrer Kanzlerschaft wenig ruhmvoll. Gewiß, Deutschland steht in der Krise besser da als andere Länder, doch liegt das an der industriellen Substanz, die noch immer vorhanden ist, und am deutschen Mittelstand, nicht an der Regierungskunst von Schwarz-Gelb.

Merkel schläfert ein  und vernebelt

Nutzen zieht Merkel auch aus den Agenda-2010-Reformen ihres Vorgängers, die andererseits durch Billiglöhne, Leih- und Minijobs zur Re-Proletarisierung weiter Bevölkerungsteile führen. Eindeutig gegen Merkel spricht die faktische Übernahme von Fremdschulden und die Inflationierung der Sparvermögen durch die Euro-Rettung. Der Rest der Kanzlerschaft erschöpft sich in der unausgegorenen Energiewende, in Quotenregelungen oder etwa im GEZ-Zwang.

Merkels Beliebtheit erstaunt noch mehr, weil die Kritik an ihr heftig ist: Sie regiere nicht, sondern sie sitze die Probleme aus, werfen ihr Kritiker vor. Die CDU-Chefin sei überzeugungsneutral und gebe keine Ziele und Orientierung vor, sie warte lediglich ab, wohin die Gewichte und Mehrheiten sich verschieben. Die Kritik verdichtet sich zu der Einschätzung, daß es sich bei der Kanzlerin um gar keine regierende Politikerin, sondern bloß um eine Verwalterin handelt.

In Merkels Eigenschaften, schreibt Gertrud Höhler in dem Buch „Die Patin“, schlage sich ihre DDR-Sozialisation nieder. Mag sein, doch erhellender wäre die Frage, was es politisch bedeutet, wenn die bundesdeutsche Politik von einer Verwaltungsfachfrau ohne eigenen Gestaltungswillen übernommen wird? Es bedeutet, daß die Bundesrepublik kein politisches Subjekt, sondern eine Verwaltungseinheit in einem politischen Metasystem bildet und die Richtlinien der Politik weder im Kanzleramt und erst recht nicht im Bundestag entworfen werden, sondern auf einer Ebene, die für den Demos der Bundesrepublik weder einseh- noch beeinflußbar ist. Merkel hat in der DDR schmerzhaft lernen müssen, Machtverhältnisse realistisch einzuschätzen und mit ihnen auszukommen. Das kommt ihr nun zugute. Als tüchtige Verwalterin setzt sie die politischen Vorgaben so um, daß daraus kein Chaos oder Aufruhr entsteht.

Zu diesem Zweck kommt zwischendurch die beruhigende Ansage, Multi-Kulti sei gescheitert, die sogleich durch die Gegenansage neutralisiert wird, die Thesen von Thilo Sarrazin seien „nicht hilfreich“. Sie zieht rote Linien und stellt Bedingungen für deutsche Hilfsgelder, die sie am nächsten Tag überschreitet und umstößt. Merkels Regieren ist in Wahrheit ein Einschläfern, Vernebeln, Sedieren, und ihre Popularität nichts weiter als die resignative Einsicht, daß sie das kleinere Übel ist und es noch viel schlimmer kommen könnte, zum Beispiel mit Steinbrück und dem Spitzenkandidaten der Grünen, Jürgen Trittin. Der Homo bundesrepublicanus hat akzeptiert, daß sein politisches Schicksal nicht von ihm, sondern vom Wollen anderer abhängt. Merkel ist das Symbol eigener Ohnmacht. Ihre Gemeinde besitzt keinen Begriff des Politischen und der Selbstbehauptung, sie erwartet und erhofft nichts weiter als Schonung.

Schröder verhedderte sich in Abhängigkeiten

Die allgemeine Resignation ist auch eine Lehre aus dem Scheitern ihres Vorgängers Gerhard Schröder. Der wollte handlungsstark sein. Er sprach von deutschen Interessen und selbstbewußtem Handeln, von deutschem Geld, das in Brüssel „verbraten“ würde, und davon, daß der Einsatz deutscher Soldaten in Berlin und nirgendwo sonst entschieden würde. Allerdings verfügte er weder über eine exakte Lageeinschätzung noch über diplomatisches Geschick und verhedderte sich in einem undurchschaubaren Gestrüpp von Abhängigkeiten. Am Ende standen deutsche Soldaten an allen möglichen Fronten, ohne zu wissen warum, und war der Kanzler in Abhängigkeit des französischen Präsidenten geraten. Die deutsche Zahlmeisterrolle wurde festgeschrieben, die Griechen zogen in die Euro-Zone ein und statt der Wählerschaft war nur die internationale Finanzindustrie glücklich gestimmt.

Steinbrück besitzt nichts mehr von Schröders Anfangsehrgeiz. Mit Merkel ist er sich darin einig, Deutschland als fremdbestimmte Verwaltungseinheit zu behandeln. Doch während die Amtsinhaberin den politischen Fatalismus behutsam und mit Rücksicht auf die Seelenverfassung der Deutschen exekutiert, will Steinbrück ihn sogar forcieren.

Wenn er richtig feststellt, daß Deutschland sich längst in einer Haftungsunion befinde, dann meint er das nicht als Skandal und Mißstand, der beendet gehört, sondern als ein Naturgesetz, dem der Steuerbürger sich mit allen Konsequenzen zu unterwerfen habe. In einem Interview mit dem Münchner Merkur im Mai 2012 sagte er: „Wenn der Euro massiv gefährdet werden würde, sage ich Ihnen voraus, daß wir noch über ganz andere Maßnahmen reden werden. Ich möchte jetzt nicht spekulieren. Aber wir müssen eine monetäre Renationalisierung des Euroraums vermeiden. Denn auf diese würde eine politische Renationalisierung Europas folgen. Übrigens in Begleitung von sehr dumpfbackigen Kräften um uns herum. Bis hin zum Wiedererstarken nationalistischer Töne. Die werden alle wieder aus dem Klavier herausgeholt. Deshalb: Wir werden diesen Euro verteidigen müssen.“

Das klingt nicht kompetent und zupackend, das klingt bedrohlich. Es impliziert die Aufforderung an die Wähler, neben dem Schaden auch noch willig den Spott auf sich zu nehmen. Das ist zynisch und zeigt, wie Steinbrücks Vorzüge sich gegen ihn wenden. Dieser Zyniker wird Merkel niemals auf der Beliebtheitsskala einholen.

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