© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Souverän ist, wer frei ist
Karl Albrecht Schachtschneider über Staatspolitik in Zeiten alternativloser Euro-Rettungsprogramme
Harald Seubert

Karl Albrecht Schachtschneider, der bedeutende Staatsrechtler und unermüdliche Kläger auf nationalem und internationalem Parkett, verbindet in seinem jüngsten Buch in faszinierender Weise die politisch klarsichtige Diagnose der Gegenwart mit einer grundsätzlichen Exposition des Souveränitätsproblems. Brillant geschrieben, erschließt sich das mit den einschlägigen Rechtsquellen hervorragend dokumentierte Werk auch dem Laien.

Den Ausgangspunkt bildet der Befund, daß nationalstaatliche Souveränität einer der wesentlichsten Garanten von Freiheitsrechten der neuzeitlichen Verfassungsgeschichte ist und daß die Agglomerierungen der Europäischen Union jene nationalstaatliche Souveränität zum Verschwinden zu bringen drohen, ohne ihr freiheitliches Erbe fortsetzen zu können. Der bekannte konsequente Kantianismus von Schachtschneiders Rechtslehre bewährt sich dabei in glänzender Weise. Souverän ist, wer frei ist: Dies bedeutet zugleich die enge Verbindung von Freiheit und Sittlichkeit, auf die sich eine umfassende Verfassung der Freiheit zuallererst gründen kann – und eben nicht auf die negative liberalistische Freiheit. Schachtschneider hält daran fest, daß der Staat nur als Gemeinwesen und Bürgergesellschaft legitimiert werden kann. Wenn also seit Hegel ein Auseinanderfallen der res publica und des Staatsbegriffs empirisch diagnostiziert werden mußte, darf dies keineswegs dazu führen, daß dieser Bruch sanktioniert wird.

Der Begriff des Rechtes ist, so zeigt Schachtschneider, unvereinbar mit einer Herrschaftslehre, wie sie stillschweigend die meisten Staatsrechtslehren noch immer durchzieht, die Schachtschneider sehr informativ durchmustert. Schachtschneider zeigt damit, daß Souveränität in ihrem Kern Bürgersouveränität sein muß. In die normative Vorgeschichte des Kantischen Ansatzes gehört deshalb die volonté générale von Rousseau und in ihr Kräfteumfeld das christliche Liebesgebot. Mit einer Staatssouveränität im Hegelianischen Sinne geht Schachtschneider scharf ins Gericht – und dies zu Recht, wenn man die obrigkeitsstaatlichen Implikationen der staatsrechtlichen Hegelrezeption in Rechnung stellt, die bis heute in der deutschen Staatsrechtslehre geistern. Zwischen Hegels doppelköpfig dialektischem Blick auf Normativität und Realität und seinen Epigonen wäre indes vielleicht deutlicher zu unterscheiden.

Ebensowenig kann Schachtschneider Carl Schmitts Konzeption „souveräner Diktatur“ abgewinnen. Sie mag deskriptiv faszinieren, ist aber normativ, wie Schachtschneider sehr überzeugend darlegt, gänzlich unbrauchbar, da sie auf der Trennung von Macht und Recht beruht und einen demokratischen Staatsbegriff verabsolutiert. In scharfer Begrifflichkeit unterscheidet Schachtschneider innere und äußere Souveränität. Grenze der letzteren sei einzig das zwingende Völkerrecht. Auch Verträge hegen Souveränität ein und geben ihr so erst ihre verbindliche und dauerhafte Form. Vor einer Souveränitätsabgabe in der Erwartung, ein Weltstaatskonstrukt werde den ewigen Frieden sichern, warnt er mit deutlichen Worten. Kant hatte einen solchen Koloß auf tönernen Füßen bekanntlich als eine strukturelle Despotie und Tyrannis erkannt. Schachtschneider sieht, daß der Weltstaat die Gewaltenteilung außer Kraft setzen würde.

In der Essenz geht dieses Buch weit über eine Bestimmung der deutschen Souveränität hinaus. Schachtschneider arbeitet indes deutlich heraus, daß mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag das vereinte Deutschland souverän ist, „freilich in den Grenzen freiheitlicher Souveränität“. Von hier her thematisiert er im abschließenden Teil die Souveränitätsverletzungen der europäischen Integration. Wohl nie zuvor sind sie mit so großem Aktualitätsbezug und mit solcher Sachkenntnis, auch der jüngsten einander in rascher Folge ablösenden Rettungsschirme, und zugleich mit vergleichbarer kategorialer Klarheit charakterisiert worden: Europäisches Parlament, Kommission und Europäischer Rat weisen, so Schachtschneider, auf entdemokratisierte Rechtssetzung zurück; die Integrationsmacht des Europäischen Gerichtshofs expliziert er als usurpiert; die Großstaatlichkeit, die sich unter der unbedachten Phrase „Mehr Europa“ verbirgt, erweist sich als souveränitätswidrig.

Schachtschneider macht deutlich, daß der Euro Staatsräson der Europäischen Union sei. Zugleich wurde er ihre raison d’être und damit ohne Not zur Unterminierung eines Europa der Nationen, das im Kantischen Sinn Universalität und Patriotismus verbinden kann. Mehr noch: Souveränität steht für Schachtschneider heute gegen eine Einheitsideologie, die zugleich zum Handlanger eines internationalen entgrenzten Spekulationskapitalismus wird, das bürgerliche Ethos unterhöhlt und, wenn die Entwicklungen nicht aufgehalten werden, Armut und Aufruhr hervorruft.

Was stillschweigend vonstatten geht, benennt Schachtschneider als eine Ungeheuerlichkeit und zu weiten Teilen als Rechtswidrigkeit, gegen die ein – friedlicher und gewaltloser – Widerstand angezeigt wäre. Gewiß, dies sind starke Worte, die sich in bemerkenswerter Konsequenz von aller gängigen Europa-Rhetorik verabschiedet haben. Sie sind aber zugleich mit jedem Wort in einer großartigen Rechtslehre einer Verfassung der Freiheit grundgelegt, die eines der bedeutsamsten Ergebnisse neuzeitlicher Staatlichkeit ist und verspielt zu werden droht.

Bei aller Deutlichkeit ist Schachtschneiders Votum nicht einer Partei oder Gruppierung verpflichtet, auch nicht den Konservativen. Viel mehr steht auf dem Spiel: die Bedingung der Möglichkeit des geordneten Mein und Dein, die Bürgergesellschaft und des Föderalismus freier Staaten, die Kant als Voraussetzung des ewigen Friedens begriff. Kurz: das Urrecht von Freiheit als Indikator der Rechtlichkeit von Recht.

Ein großes Buch, das sich mit seiner unbestechlichen Klarsicht, seiner rechtlichen und philosophischen Tiefe und seiner diagnostischen Kraft von dem hektischen „Auf-Sicht-Fahren“ der gängigen Europadiskurse abhebt. Mit Kant: etwas, das jedermann notwendig interessiert.

 

Prof. Dr. Harald Seubert lehrt Philosophie und Religionswissenschaften an der Staats-unabhängigen Theologischen Hochschule (STH) in Basel und der Ludwig-Maximilians-Universität München

Karl Albrecht Schachtschneider: Die Souveränität Deutschlands. Souverän ist, wer frei ist. Kopp Verlag, Rottenburg 2012, gebunden, 384 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Europaflagge vor dem Brandenburger Tor: EU-Parlament, Kommission und Europäischer Rat weisen auf entdemokratisierte Rechtssetzung zurück

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