© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Eigentlich ist man des Kampfes gegen die Political Correctness müde, aber der zunehmend unironische Gebrauch des Hinweises, dieses oder jenes sei „politisch nicht korrekt“ formuliert, zwingt zu neuen Anstrengungen. Erschwert wird die Abwehr dadurch, daß niemand mehr das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern kennt oder Orwell oder Huxley liest, der instinktive Widerwille gegen jede Art von Neusprech dramatisch verfällt und PC mehr und mehr als eine Art Knigge des postdemokratisch/postliberalen Zeitalters erscheint, der dazu dient, den Grad gesellschaftlicher Politesse zu bestimmen.

Deutsch-Französisch I: Unlängst fiel mir eher zufällig das Buch „Tausend Brücken“ eines „Friedrich Hünenburg“ in die Hände, 1952 erschienen im „Hünenburg-Verlag“, Standorte: Straßburg, Stuttgart, Stockholm. Der Band wurde mehrfach nachgedruckt und erschien in Zehntausenden von Exemplaren. Ein heute schwer erklärbarer Erfolg, denn es handelte sich um den autobiographischen Roman eines Mannes, der nie eine Berühmtheit war. Hinter „Friedrich Hünenburg“ verbarg sich Friedrich Spieser, einer der rührigsten elsässischen Autonomisten der dreißiger und vierziger Jahre, seit 1937 Herausgeber der Straßburger Monatshefte und Besitzer der Hünenburg, die er zu einer Begegnungsstätte und zum Zentrum seines nach Jugendbewegungsvorbild geschaffenen Erwin-von-Steinbach-Bundes machte. In der angespannten Atmosphäre vor Beginn des Krieges mußte er seine Heimat verlassen, lebte kurz in Deutschland, erhielt die Unterstützung offizieller Stellen, kehrte nach der Niederlage Frankreichs zurück und nahm seine Arbeit sofort wieder auf. Spieser war aber ein ausgesprochener Gegner der offiziellen Germanisierungspolitik und hoffte für das Elsaß auf einen Sonderstatus in der „Neuen Ordnung“. Vergeblich, wie sich rasch zeigte. 1944 floh Spieser endgültig nach Deutschland und wurde drei Jahre später (wie schon einmal 1940) durch ein französisches Gericht zum Tode verurteilt. Man könnte das als eine Randerscheinung im großen deutsch-französischen Konflikt der Vergangenheit betrachten, wenn nicht das Bemühen Spiesers so überdeutlich gewesen wäre, dem Elsaß tatsächlich eine vermittelnde Stellung zwischen den beiden Völkern einzuräumen.

Das Phänomen des politischen Opportunismus ist – trotz seiner unbestreitbaren Relevanz – bis heute nicht gründlich analysiert. Interessant erscheint vor allem die Abhängigkeit von der Klassenlage. Da wäre zu unterscheiden zwischen der Anpassungsbereitschaft der einfachen Leute, die nur überleben wollen, der Mittelschicht, die ihren Geschäftsvorteil und ihre Karrieremöglichkeiten wahrt, und der Elite, die den Gedanken des Machtverlusts unerträglich findet. Man könnte mit dem Raster so unterschiedliche Phänomene deuten wie den massenhaften Wechsel vom Antidemokraten zum Demokraten nach 1945, die Kollaboration der Kaufleute mit der napoleonischen Besatzungsmacht in den deutschen Seestädten oder die Bereitschaft des hohen römischen Provinzbeamten, nach dem Eindringen der Germanen seinen Söhnen gotische Vornamen zu geben.

Deutsch-Französisch II: In dem Buch Spiesers hat auch die Person Gerhard von Tevenars einen Auftritt. Tevenar lebte seit Beginn des Krieges im Elsaß. Irgendwann begegnete er Spieser. Was die beiden zusammenführte, war aber nicht nur die Begeisterung für die Idee der Selbstbestimmung kleiner Völker – Tevenars Lehrer Friedrich Hielscher hätte von „Stämmen“ gesprochen –, sondern auch der Anschluß an den Widerstand. Tevenar kam aus den Reihen der Bündischen und Nationalrevolutionäre, Spieser aus dem „Volkstumskampf“. Man hätte sich in beiden Fällen einen durchaus anderen Weg vorstellen können, aber den haben diese Männer nicht beschritten.

Deutsch-Französisch III: Irgendwann lag in einem kleinen Konvolut von Büchern über die Bretagne eine angeheftete Mitgliedskarte der „Deutschen Gesellschaft für keltische Studien“ mit der Unterschrift Tevenars. Sie hat auf mich mehr Eindruck gemacht als die an sich sehr seltenen Bände, wie eine Flaschenpost aus ferner Zeit, als ein Wehrmachtsoffizier allen Ernstes daran dachte, einigen bretonischen Autonomisten dabei zu helfen, am Rand des von Deutschland besetzten Frankreichs einen eigenen Staat zu gründen.

Die Neigung bürgerlicher Politik, in der Praxis die Gegenseite zu kopieren oder zu überbieten, folgt keinem Naturgesetz, sondern ist auch eine Folge von ’68. Man könnte Talleyrand zur Erklärung heranziehen, der meinte, eine Revolution habe erst dann gesiegt, wenn auch ihre Gegner von ihrer Notwendigkeit überzeugt seien.

Deutsch-Französisch IV: Schwarzer Gedanke anläßlich der Feier des Elysée-Vertrags: Vielleicht geht es nur, weil wir doch gelernt haben, was „mauvaise foi“ ist.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. Februar in der JF-Ausgabe 8/13.

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