© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Pankraz,
A. Adonis und das Haus der Plutokraten

Ein Begriff wird rehabilitiert: die „Plutokratie“. Immer mehr Politikbeobachter und auch Politiker, so etwa der hochadlige britische Eliteforscher und Ex-Verkehrsminister Andrew Adonis (50) von der Labour Party, haben etwas dagegen, daß zur Zeit faktisch alle Verhebungen und Irrläufe im Sozialleben fast automatisch auf den „Kapitalismus“ geschoben würden; in Wahrheit sei nicht der Kapitalismus dafür verantwortlich, sondern die Plutokratie. Es handle sich keineswegs um einen bloßen Streit um Worte, sondern zwischen Kapitalismus und Plutokratie stünden Welten.

Von Plutokratie zu sprechen, galt lange Zeit als schlimmer Tabubruch, das Wort war kontaminiert, weil es bevorzugt vom NS-Propagandaminister Goebbels verwendet wurde, wenn er die Zustände in Großbritannien und den USA meinte. Baron Adonis & Co. verwenden es inzwischen aber auch. Es drückt ihrer Meinung nach gewisse aktuelle Tendenzen im Wirtschaftsleben und in der Politik weit besser aus als das Wort Kapitalismus, bezeichnet die Tatbestände präziser, schützt besser vor Mißverständnissen.

Was ist Kapitalismus, auf den kürzesten Nenner gebracht? Ein System, das sich vorrangig durch privaten, verzinslichen Kapitaleinsatz erhält, ausdehnt und erneuert (während der Staat sich als Unternehmer zurückhält), kein genuines Herrschaftssystem also, sondern ein simpler Wirtschaftsmechanismus, der die Frage der Herrschaft offen- läßt. Was ist hingegen Plutokratie? Genau wie es der Name sagt: die Herrschaft der Reichen, genauer: der Superreichen, die absolute Herrschaft des großen Geldes, an dem nicht nur alles gemessen, sondern mit dessen Unterstützung absolute Macht ausgeübt wird.

Der Kapitalismus verträgt sich mit vielen Herrschaftsformen und Herrschaftstraditionen, sofern diese nur halbwegs liberal und farbenfreudig sind. Es muß nicht alles über einen Leisten geschlagen werden, im Gegenteil: Je mehr Farben und Möglichkeiten unterwegs sind, um so mehr Chancen für erfolgreichen, lohnenden Kapitaleinsatz. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, der jahrzehntelange Kalte Krieg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, hat die Überlegenheit des ersteren schneidend zutage gebracht, bewahrte die Welt vor Versumpfung und stockiger Gleichmacherei.

Die Plutokratie ihrerseits ist selber eine Herrschaftsform, wenn auch eine indirekte und „deformierte“. Die Politologen verbuchen sie als Oligarchie, das heißt als Pseudo-Aristokratie, deren Personal weder durch öffentliche Prüfungen noch durch parlamentarische Akklamation offiziell legitimiert ist – eine Aristokratie, deren Mitglieder sich nicht zu ihrer Herrschaft bekennen, sondern im Dunkeln oder zumindest im Halbdunkeln verbleiben, gewissermaßen aus dem Off heraus operieren, als Strippenzieher, mächtige Großlobbyisten oder überdimensionale Sponsoren.

Andrew Adonis ist nicht leicht zu widersprechen: Immer mehr Bereiche unserer parlamentarischen Demokratie sehen bereits verdächtig nach Plutokratie aus. Kevin Phillips, der legendäre einstige Berater von US-Präsident Richard Nixon und jetzige Chef-Kolumnist der Los Angeles Times, konstatierte schon im Jahre 2004, die heutigen Vereinigten Staaten von Amerika seien „nichts anderes als eine Plutokratie, nämlich eine Vereinigung von Geld und Regierung“. Und die allgemeine politische Tendenz hat sich seitdem nicht verändert.

In Deutschland posierte Ex-Bundeskanzler Schröder seinerzeit gutgelaunt als „Genosse der Bosse“, und der jetzige SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück nutzte seine politischen Ämter bisher ungeniert dazu, um von den Reichen höchste Vortragshonorare zu kassieren und öffentlich darüber zu klagen, daß ein Bundeskanzler viel zu wenig Geld verdienen würde. Es besteht mittlerweile auch hierzulande eine enge, ganz offen vorgezeigte Affinität zwischen der Politik und dem großen Geld; als Dritte im Bunde fungieren einflußreiche Massenmedien, die sich ebenfalls im Besitz von Plutokraten befinden.

Faktisch sämtliche Nachdenker sind sich darüber einig, daß das eine unheilige Allianz ist, die letzten Endes zu bösen Häusern führen muß. Eine Formation, die ihre Position einzig der Fähigkeit zur Geldvermehrung verdankt und die zudem weder äußeren Qualitätsprüfungen noch mehrheitsfähigen Parlamentsentscheiden unterliegt, ist nicht in der Lage, ein Land oder gar die ganze Welt zu führen und in der Waage zu halten, schon gar nicht, wenn sie im Halbdunkel agiert. Schwerste Konflikte sind vorprogrammiert, die öffentlichen Diskurse laufen ins Leere, die Welt wird grau und langweilig.

Gibt es überhaupt tröstliche Aspekte an der Plutokratie, welche wenigstens die allgemeine Wohlfahrt befördern könnten? Nun, schon Sir Francis Bacon, der große technologische Wegeleger am Beginn der Neuzeit, schrieb in seinen Essays von 1601: „Reichtum ist wie Stallmist: Er nützt nur, wenn man ihn ausstreut.“ Und weiter notierte er: „Die Reichen haben eine ebenso rätselhafte wie ununterdrückbare Neigung für Sonderangebote.“ Auf Herrschaftsfragen bezogen, bedeutete dies, daß Plutokratie nur funktionieren kann, wenn nicht nur die Superreichen, sondern alle etwas davon haben.

Mit der immer tieferen Spaltung der Völker in sehr Arme auf der einen und unendlich Reiche auf der anderen Seite, die einige Soziologen für den Fall einer sich ausbreitenden Plutokratie voraussagen, wird es also wohl glücklicherweise nichts. Die Sonderangebote werden uns erhalten bleiben, der Konsument bleibt König, weil nur so das Haus der Plutokraten nicht einstürzt. Das ist freilich nur ein schwacher Trost, denn es wird nichts als Stallmist sein, den sie über uns ausschütten.

Sehr bald wird man sich mit Wehmut an die Gediegenheit und Fülle eines maßvollen, gut funktionierenden Alt-Kapitalismus erinnern. Man sollte aber auch etwas für ihn tun. Belehrung ist nötig, die hiesige Soziologie sollte sich endlich dazu aufraffen, die Differenz zwischen Kapitalismus und Plutokratie ordentlich und tatenfördernd herauszustellen.

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