© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Krokodilstränen der Lobbyisten
Wirtschaftspolitik: Elf EU-Länder vereinbaren Finanztransaktionssteuer / Gewinne beim Handel von Aktien und Anleihen im Visier
Matthias Görtz

Die FDP, die bislang jeder Euro-Rettungsmaßnahme zugestimmt hat, sorgt sich plötzlich um Klein- und Riestersparer. Man sei dagegen, „die Altersvorsorge in Deutschland mit zusätzlichen Steuern belegen zu lassen“, erklärte der finanzpolitische Sprecher und FDP-Fraktionsvize Volker Wissing im Deutschlandfunk. Doch Anlaß ist nicht etwa der 2009 in Sparer-Pauschbetrag umgetaufte Sparerfreibetrag für Zinseinkünfte. Der bleibt bei 801 Euro. Unter Helmut Kohl waren es noch 6.000 D-Mark gewesen. Rot-Grün hatte den Freibetrag zunächst auf 1.534 Euro zusammengestrichen, die große Koalition dann sogar auf 750 Euro. Auch die Versicherungsteuer, die bis 1988 nur fünf Prozent betrug, ist inzwischen auf 19 Prozent geklettert.

Nein, Wissing sorgt sich um die vom EU-Finanzministerrat (Ecofin) beschlossene Finanztransaktionssteuer, die elf der 17 Euro-Länder – darunter Deutschland – einführen wollen. Der Jurist, der seine Zustimmung zu EFSF und ESM unter anderem mit Behauptungen aus Spiegel-Artikeln begründete, malt ein Schreckensszenario an die Wand: Es gebe „Berechnungen“, wonach jemand, der 100 Euro im Monat in einen Fondsparvertrag einzahle, „über einen Zeitraum von 40 Einzahlungsjahren bis zu 14.000 Euro Steuern bezahlen muß“. Daß vor allem Vermittlung, Provisionen, Ausgabeaufschläge oder Fondsmanagmentgebühren die Rendite aufzehren, erwähnt Wissing mit keinem Wort.

Geplant ist künftig eine Besteuerung von 0,1 Prozent auf die Gewinne beim Handel von Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent bei anderen Finanzmarktpapieren. Und zwar bei allen Transaktionen, bei denen entweder der Käufer oder der Verkäufer seinen Sitz in einem der beteiligten Staaten hat. Daß Großbritannien nicht teilnimmt, war klar. Weniger bekannt ist, daß am Finanzplatz London beim Verkauf von Aktien und Optionsscheinen seit 1986 die Stamp Duty Reserve Tax (SDRT) fällig wird. Die „Stempelsteuer“ beträgt 0,5 Prozent. Auch die selbsternannten „Mustereuropäer“ in Luxemburg wollen den Ecofin-Beschluß nicht umsetzen, denn das Großherzogtum hängt ebenfalls einseitig am Tropf der Finanzindustrie.

Angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen erweckt natürlich jede neue Steuer zu Recht Skepsis. Aber wenn zum Ausgleich für die Finanztransaktionssteuer an anderer Stelle Steuern gesenkt würden, ist die ursprünglich auf den US-Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin zurückgehende Steuer durchaus sinnvoll. Sie wäre immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, um das von der Realwirtschaft abgekoppelte Zocken an den Börsen, das vom Platzen der Lehman-Blase nur kurz unterbrochen wurde, zu begrenzen – sofern sie gut ausgestaltet wurde. Und das ist die Frage.

Die deutsche Finanzbranche warnt vor „Verzerrungen des Wettbewerbs“ und „einer Destabilisierung der Finanzmärkte“ – letzteres klingt angesichts der Auswirkungen der Finanzkrise 2008 wie Hohn. Die Sorge, daß die Börsen in Frankfurt, Paris oder Mailand Geschäfte an London verlieren, ist nicht unbegründet. Doch die Gefahr der Abwanderung bestand schon immer, und Hong-kong oder Singapur sind für Spekulanten längst die interessanteren Plätze. Erste Erfahrungen mit der französischen Börsensteuer in Höhe von 0,2 Prozent, die für den Kauf von Aktien von 114 französischen Unternehmen mit einer Börsenkapitalisierung von jeweils mehr als einer Milliarde Euro erhoben wird, sind zwiespältig. Der Aktienhandel wurde zwar eingedämmt, es wuchs aber der Handel mit Aktienderivaten, die der Steuer nicht unterliegen. Ob Anleihen französischer Unternehmen aber wegen der neuen Steuer oder wegen der schlechten Wirtschaftssituation weniger gefragt sind, ist unklar.

Um den Hochfrequenzhandel an den Börsen einzudämmen, wäre es zudem sinnvoller, beispielsweise bestimmte Haltefristen zu verordnen, denn es bringt keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, wenn man Wertpapiere in der einen Sekunde kauft und in der nächsten Sekunde wieder verkauft. Ähnlich ist es mit dem „short selling“, also den Leerverkäufen. Man verkauft etwas, das man nur geliehen hat, um es dann per Mausklick zu kaufen, wenn der Preis gesunken ist. Der „Verleiher“ bekommt eine kleine Gebühr, der Gewinn wird eingestrichen. Wenn der Preis jedoch steigt, fallen Verluste an, die im Extremfall in einen Börsencrash münden.

Auch Kreditverbriefungen, die erst unter Rot-Grün in Deutschland erlaubt wurden, könnten wieder untersagt werden. Denn Banken, die leichtfertig Kredite vergeben, das Risiko dann aber weiterverkaufen können, waren ein Auslöser der jüngsten Weltfinanzkrise. Auch Banken, die für das, was sie tun, nicht haften wollen oder wegen ihrer Größe nicht können und deshalb die Steuerzahlerhaftung einplanen, braucht niemand.

Auch ohne Finanztransaktionssteuer gäbe es vielfache Möglichkeiten, den Finanzsektor zu bändigen. Und der außerbörsliche Handel von Finanzprodukten wird vom Ecofin-Beschluß überhaupt nicht tangiert – auch das ist ein Grund, nachzubessern. Die Kleinsparer jedoch werden so oder so geschröpft – derzeit vor allem durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, die Zinserträge unterhalb der Inflationsrate bedingt und so Euro-Sparer über die Notenpresse (JF 2/13) schleichend enteignet.

Foto: Börsenkurse: Drohen nun Verzerrungen des Wettbewerbs und eine Destabilisierung der Finanzmärkte?

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