© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Vorauseilende Entschuldigung
Lebensschutz: Der Fall einer Frau, der an einer katholischen Klinik die Behandlung angeblich verweigert wurde, stellt sich offenbar anders dar
Thorsten Brückner

Zunächst schien der Fall klar. Einer vergewaltigten Frau wird in zwei katholischen Kliniken in Köln die Behandlung verweigert, weil diese die „Pille danach“ nicht verschreiben dürfen. Die Frau wird in einer evangelischen Einrichtung behandelt. Ihre Identität bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Vergewaltigung handelte. Rasch entwickelt sich der Fall zu einer Medienkampagne gegen die katholische Kirche und Lebensschützer.

Ein Blick auf die Fakten offenbart hingegen ein etwas anderes Bild. Eine junge Frau wurde offenbar mit K.-o.-Tropfen betäubt, fürchtet nun, während ihrer Bewußtlosigkeit vergewaltigt worden zu sein. Sie betritt im Dezember vergangenen Jahres eine Notfallambulanz auf dem Gelände des St. Vinzenz-Hospitals in Köln, die jedoch nicht direkt zur Klinik gehört. Die Notärztin will feststellen lassen, ob die junge Frau wirklich vergewaltigt wurde, und ruft in der Gynäkologie des Krankenhauses an.

Über die Antwort, die sie erhält, gehen die Darstellungen auseinander. Die Notfallärztin gibt an, die Gynäkologin habe mit der Begründung die Untersuchung verweigert, daß es seit zwei Monaten eine neue Direktive für Ärzte gebe. Diese würde solche Untersuchungen ausschließen, weil damit auch die Gabe der „Pille danach“ verbunden sein könnte.

Der Direktor der Klinik, Dietmar Pennig, zeichnet indes ein ganz anderes Bild. Dem Krankenhaus sei es schlicht nicht möglich gewesen, die Frau angemessen zu untersuchen, sagte er dem WDR: „Seit September sind wir von dem Netzwerk der anonymen Spurensicherung (ASS) abgemeldet gewesen, so daß uns die technischen Möglichkeiten überhaupt nicht zur Verfügung standen, einen sicheren Nachweis zu führen, ob eine Gewalttat vorlag.“ Daher empfahl die diensthabende Ärztin der Frau, direkt ein städtisches Krankenhaus aufzusuchen, um sich dort untersuchen zu lassen.

Diese Schilderung des Direktors wirft auch Licht auf die Vorgehensweise der zweiten betroffenen Klinik. Auch das Heilig-Geist-Hospital, das am Telefon eine Behandlung ebenfalls verweigerte, ist nicht mehr im ASS-Netzwerk. Wenn dem abgemeldeten St. Vinzenz-Krankenhaus die technischen Möglichkeiten einer sicheren Feststellung nicht mehr zur Verfügung standen, muß gleiches auch auf das ebenfalls abgemeldete Heilig-Geist-Krankenhaus zutreffen.

Die Pressepolitik der beiden Krankenhäuser hat für zusätzliche Verwirrung gesorgt. Ohne offenbar die Fakten eingehend zu prüfen, entschuldigten sich die Kliniken bei der Patientin. Selbst der Kölner Kardinal Joachim Meisner entschuldigte sich, noch bevor die Kliniken die Ereignisse geprüft hatten. Während Pennig darauf hinwies, daß die Spurensicherung nicht möglich war, verkündete der Pressesprecher der beiden Krankenhäuser, Christoph Leiden, noch in der Woche zuvor, in den Kliniken sei die ASS weiterhin möglich. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ruderte Leiden indes bereits zurück. Für das St. Vinzenz-Krankenhaus seien die Äußerungen Pennigs zutreffend, bezüglich des Heilig-Geist-Spitals gebe es aber noch rechtlichen Klärungsbedarf. Nicht nur der eigene Klinikdirektor, sondern auch die Internetseite der Beratungsstelle für sexuelle Gewalt gegen Frauen, „Notruf Köln“ haben dieser Darstellung widersprochen.

Warum aber hat die Notfallärztin die Geschichte gestreut, das Krankenhaus hätte die Patientin aus katholischem Dogmatismus abgewiesen? Auf den ersten Blick scheint der Fall mit einer anderen Aktion zusammenzuhängen. Im Jahr 2011 organisierte eine Gruppe von Lebensschützern Tests in katholischen Kliniken. Dabei gaben Frauen vor, eine Schwangerschaft zu fürchten. Ziel war es herauszufinden, ob sich katholische Einrichtungen an Vorgaben halten, wonach die „Pille danach“ nicht verschrieben werden darf. Dabei kam heraus, daß vier von zehn Testerinnen die „Pille danach“ verschrieben wurde. Darüber, wer für die Aktion verantwortlich war, gibt es unterschiedliche Darstellungen. Während Kritiker den Verein Pro Life in der Verantwortung sehen, bestreitet dessen Geschäftsführer Wolfgang Treuter, involviert zu sein: „Da haben wir nichts mit zu tun“, sagte Treuter der JF. Für Beachtung sorgte dabei auch, daß die Aktion angeblich aus einem gemeinsamen Topf des Vereins Pro Life und der Krankenkasse BKK-IHV finanziert wurde. Diese fiel bereits in der Vergangenheit durch Engagement für den Lebensschutz auf.

Die als Konsequenz ergangene ethische Richtlinie der Kliniken vom November 2012 stellte klar, daß alle medizinischen Maßnahmen außer der „Pille danach“ weiterhin angeboten werden. Die Notfallmedizinerin behauptet nun, daß die Gynäkologin des St. Vinzenz-Hospitals aus Furcht vor Disziplinarmaßnahmen die Patientin wegen dieser Richtlinie nicht annahm. Von der Ärztin habe sie auch erfahren, daß bereits einer Kollegin gekündigt worden sei, weil sie gegen die Richtlinie verstoßen habe. Die Klinikleitung weist dies zurück.

Die Aussagen Pennigs und der Gynäkologin auf der einen und der Notfallärztin auf der anderen stehen sich gegenüber. Dennoch springt Leiden Pennig nicht zur Seite. „Ich würde niemals behaupten wollen, daß die Notfallärztin die Unwahrheit erzählt“, sagte er der JF. Das Brisante ist, daß auch jedes städtische Krankenhaus, das nicht dem ASS angeschlossen ist, die Frau hätte abweisen müssen. Eine Verbindung zu den Testaktionen, von denen Leiden sagt, sie hätten zur Verunsicherung des Personals geführt, besteht somit nicht. Aus einem technischen Problem wurde so möglicherweise ein Kampf gegen Lebensschützer und die Kirche konstruiert. Eines steht fest: Abgewiesen wurde die Frau nicht, sie war nie in einem der beiden Krankenhäuser. Es ging lediglich um die telefonische Nachfrage, in welcher Klinik die weitere Untersuchung stattfinden sollte.

Foto: St. Vinzenz-Krankenhaus in Köln: Wurde das Personal verunsichert?

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