© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Antifaschismus und Arschgeweih
Göttingen: Überfall auf Tattoo-Studio mit seltsamen Folgen
Christian Vollradt

Ein bißchen erinnert es an den sprichwörtlichen Griff ins Klo: Göttingens linksextremer Antifa-Szene eilt der Ruf unbedingter Entschlossenheit voraus, nun aber hat sie offenbar vorschnell gehandelt. Als am Samstag vorvergangener Woche im Zentrum der Universitätsstadt ein neues Tattoo-Studio feierlich eröffnet wurde, zog eine etwa zehnköpfige Gruppe schwarzgekleideter Vermummter vor dem Laden auf, um mit Baseballschlägern ein Schaufenster sowie Inventar zu zertrümmern. Unmittelbar nach diesem Überfall zogen sich die Angreifer in ein benachbartes Gebäude zurück, das in den Medien meist als „linkes Wohnprojekt“ bekannt ist.

Bei dem betreffenden Haus handelt es sich um ein Studentenwohnheim, das formal vom Studentenwerk getragen und somit auch von den regulären Pflichtbeiträgen aller Göttinger Studenten mitfinanziert wird. Allerdings firmiert es als „selbstverwaltetes“ Wohnheim mit gesonderten Mietverträgen. Anders als in regulären Wohnheimen bestimmen hier die Bewohner (quasi im Kollektiv), wer einziehen darf und wer nicht; eine Hinterlassenschaft der späten siebziger Jahre, als das bis dahin besetzte Haus in die Trägerschaft des Studentenwerks überführt wurde.

Die „Aktion“, zu der sich auf einer einschlägigen Internetseite „einige Antifas“ bekannt hatten, galt drei Mitgliedern der rechtsextremen Szene aus dem benachbarten Northeim, die sich während der für die Öffentlichkeit zugänglichen Eröffnungsfeier in dem Tättowierladen aufgehalten haben sollen. Offenbar eine Provokation für die Nachbarschaft – noch dazu, da hier einst der berühmt-berüchtigte „Buchladen Rote Straße“ seinen Sitz hatte.

Außer den „Nazis“ – und mehreren Kindern – waren jedoch laut Polizei auch Angehörige eines Rockerclubs anwesend. „Und die fanden die Aktion natürlich gar nicht gut“, zitiert das Göttinger Tageblatt den Einsatzleiter der Polizeiinspektion, Gerd Hujahn.

Weil die Ordnungshüter nun wiederum Racheaktionen der Rocker befürchteten, setzten sie ganz auf Deeskalation: Mittels sogenannter „Gefährderansprachen“ hätten die Beamten gegenüber Personen aus dem Umfeld der Motorradclubs „Hells Angels“ und „Red Devils“ deutlich gemacht, daß der gewalttätige Übergriff der Antifa nicht ihnen, sondern „natürlich den Rechten“ gegolten habe, betonte Hujahn. Parallel habe man auch mit den Linksextremisten „direkte und indirekte Gespräche“ geführt – und die Polizeipräsenz in der betreffenden Straße, in der sowohl das Tatto-Studio als auch das „Wohnprojekt“ liegen, erhöht.

Mittlerweile haben sich die Wogen wohl geglättet, die Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Antifaschisten und muskulösen Zweiradfahrern scheint gebannt. Über mögliche Vergeltungsmaßnahmen aus der Rockerszene liegen der Polizei keine Erkenntnisse vor, teilte deren Sprecherin Jasmin Kaatz auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit.

Alle sind „gegen Nazis“ in der Stadt

Die Ladeninhaberin versicherte in der Lokalpresse, daß sie keinesfalls der rechtsextremen Szene nahestehe (ebensowenig den Rockern), daß die fraglichen Personen vielmehr ohne ihr Wissen an der Eröffnungsfeier teilgenommen hätten; die Antifa drückte ihr Bedauern für den irrtümlichen „Vorfall“ aus, und beide Seiten betonten, daß man „gegen Nazis in der Stadt“ sei.

Bleibt die Frage, warum die Polizei anstatt verstärkte Präsenz zu zeigen, nicht das „Wohnprojekt“ durchsucht hatte, um die Täter zu ermitteln. Weil, so Staatsanwalt Andreas Buick gegenüber der JF, „die Täter vollständig vermummt waren und eine Durchsuchung angesichts der großen Personenzahl am Tatort und im Wohnhaus nicht zu deren Identifizierung geführt hätte“. Allenfalls hätten „die Schlagwerkzeuge aufgefunden werden können“, doch auch damit wäre ein Tatnachweis nicht möglich gewesen. Nun ermittelt der Staatsschutz.

Foto: Linkes Wohnprojekt in Göttingen: Irrtümlicher Vorfall

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