© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Der Flaneur
Gang, Gas, weg hier
Josef Gottfried

Ein Rastplatz. Keiner von denen mit Restaurant und wasserlosen Toiletten. Statt dessen einer von denen mit Latrine, die riecht, wie sie riecht. An den Wänden stehen Filzstiftbotschaften, die einen Blick durch Glasbausteine in eine Parallelwelt bieten, deren reale Existenz mir nur an solchen Kontaktorten wie diesem hier gewahr wird – oder im Internet. Während ich also vor einem der drei Pissoirs stehe und mein Geruch sich in den vorhandenen einmischt, frage ich mich, ob sich wirklich Männer hier treffen. Wie anheimelnd. Es ist 23.04 Uhr, das verklinkerte Häuschen ist schwach beleuchtet, ein anderer Mann mit Harndrang betritt grußlos den Raum.

Was soll er schon sagen? Aus Gedankenlosigkeit habe ich das mittige der drei Urinale gewählt, so daß er jetzt nur noch eines direkt neben mir wählen kann, er steht rechts von mir. Ich bin froh, alsbald fertig zu sein, verlasse mit einer linken Drehung den stinkenden Ort, halte alibimäßig meine Hände unter den Wasserhahn, der Bewegungsmelder funktioniert nicht, es kommt also kein Wasser heraus, dann gehe ich zurück zum Auto. Im Wagen bin ich wieder sicher und beobachte meinen Verrichtungsgenossen, wie er die Latrine verläßt.

Gedankenlos wischt er mit seinen Handflächen über den Stoff seiner Hose und holt auf die Art Luft, wie ich es gerade getan habe, als ich endlich wieder draußen war. Ich frage mich, ob er einer dieser Männer ist oder tatsächlich nur austreten mußte. Er geht zurück zu seinem Auto, dabei verfolge ich ihn, viel zu neugierig, mit meinem Blick, bis er ihn bemerkt und erwidert. Wir holen jetzt unseren bislang ausgebliebenen Gruß mit einem kurzen Nicken nach.

Ich stecke den Schlüssel in die Zündung, drehe ihn nach rechts und warte, bis die Vorglühlampe erlischt. Dann drehe ich eine Ecke weiter, der Motor springt an, Kupplung, Gang, Gas, weg hier.