© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Trauma im Reisfeld
Vor vierzig Jahren endeten die Pariser Verhandlungen zwischen Nordvietnam und den USA mit deren Rückzug aus Südostasien
Mario Kandil

Am 27. Januar 1973 endete mit der Unterzeichnung des Vertrags von Paris der Vietnamkrieg – zumindest auf dem Papier. Es waren auch nur die USA, die aus diesem Konflikt ausschieden. Diese unterzeichneten gemeinsam mit ihrem südvietnamesischen Alliierten und ihren Gegnern aus dem kommunistischen Nordvietnam das „Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam“. Einer der Unterhändler war der von den USA entsandte Sonderbotschafter und spätere US-Außenminister Henry Kissinger. Trotz seiner Rolle als maßgeblich für die umfassenden Bombardierungen Nordvietnams verantwortlicher sicherheitspolitischer Berater wurde ihm zusammen mit Le Duc Tho für den Vertrag von Paris 1973 der Friedensnobelpreis verliehen. Der Krieg dauerte noch bis zum Einzug der Nordvietnamesen in Saigon, der Hauptstadt Südvietnams, am 1. Mai 1975.

Bereits die Kolonialmacht Frankreich mußte sich dort im ersten Vietnamkrieg (1946–54) der militärischen Gewalt beugen (Dien Bien Phu) und aus dem Land abziehen, das auf der Genfer Konferenz 1954 geteilt wurde. Dennoch kamen weder das im Einflußbereich des Westens bleibende Südvietnam noch die Nachbarstaaten Kambodscha und Laos – Frankreich hatte diese 1955 in die Unabhängigkeit entlassen – zur Ruhe.

Ho Chi Minh, Nordvietnams kommunistischer Anführer, konnte sein Land aus dem damals schwelenden Konflikt zwischen der UdSSR und China heraushalten. Von beiden Ländern bekam er Hilfe zum wirtschaftlichen Aufbau Nordvietnams und später von den Sowjets militärisches Material in großer Menge. Dagegen erwiesen sich in Südvietnam die von den USA unterstützten Regierungen als unfähig zu durchgreifenden sozialen Reformen und dazu, die Masse des Volkes für sich zu gewinnen. Die 1954 in Genf vereinbarten freien Wahlen gab es in keinem Teil des geteilten Landes.

Die Opposition des südvietnamesischen Regimes schloß sich 1960 unter Federführung der Kommunisten zur „Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams“ (Vietcong) zusammen. Einzelne Unruhen verdichteten sich zu einem bürgerkriegsartigen Aufstand, den Nordvietnam logistisch unterstützte. Die USA, die bereits am Ende des ersten Vietnamkriegs den größten Teil von Frankreichs Kriegskosten getragen hatten, unterstützten nun Südvietnams Regierung – zuerst mit „Militärberatern“, ab 1965 auch mit Soldaten. Doch konnten sie nicht verhindern, daß ein großer Teil Südvietnams von den Aufständischen dominiert wurde. Den Zwischenfall im Golf von Tonkin Anfang August 1964 präsentierten die USA als unprovozierte Angriffe Nordvietnams. Als der Vietcong auch noch US-Basen angriff, setzte sich in Washington die Fraktion durch, die eine Bombardierung Nordvietnams forderte. Ende 1965 waren auf Geheiß Lyndon B. Johnsons bereits 184.000 US-Soldaten vor Ort.

Der Krieg entbrannte in voller Schärfe und brachte der Zivilbevölkerung immenses Leid. Mit mehreren Divisionen unterstützte Ho Chi Minh die Aufständischen, während die USA zuletzt mehr als 500.000 Mann einsetzten. Dennoch konnten sie den Gegner, der aus dem Dschungel heraus immer wieder überraschende Schläge führte, nicht besiegen. Daher griffen die USA in dem asymmetrischen Krieg nun zu Flächenbombardements, wobei auch Millionen Liter Entlaubungsmittel (Agent Orange) mit verheerender Wirkung für Vegetation und Einwohner eingesetzt wurden. Diese von US-Präsident Johnson begonnene und von Amtsnachfolger Richard Nixon fortgesetzte Art der Kriegführung machte den Vietnamkrieg, der nicht zu gewinnen war, in den USA immer unpopulärer. Der Protest im Land weitete sich immer mehr aus und gipfelte Anfang Mai 1970 in der Erschießung von Studenten an der Kent State University durch die Nationalgarde. Nixon geriet innenpolitisch immer mehr in die Defensive, wollte aber den absehbaren Verlust seines südvietnamesischen Alliierten nicht hinnehmen. Deshalb ließ er die kommunistischen Truppen weiterhin massiv bombardieren, was deren Offensive zum Stehen brachte.

Indes flankierte Kissinger, Nixons offizieller Berater für Außen- und Sicherheitspolitik, den Bombenkrieg seines Chefs quasi als Friedenstaube: Er einigte sich im Herbst 1972 mit dem kommunistischen Spitzenpolitiker Le Duc Tho nach zähen Verhandlungen, über das Fortbestehen des Regimes von Südvietnams Präsident Thieus, über die Anerkennung des Vietcong und neutraler Personen als politische Kräfte, die Vorbereitung allgemeiner Wahlen, den kompletten Abzug der US-Soldaten (am 1. September 1972 waren noch 39.000 in Südvietnam) und das Ende der Angriffe auf Nordvietnam. Nixons „Weihnachtsbombardements“ führten bei den Friedensverhandlungen nur noch zu Detailänderungen, schadeten aber letztlich weiter dem Ansehen der USA.

Bis heute ist immer wieder der traumatisierende Charakter des Vietnamkriegs für die USA thematisiert worden. Daß deren Niederlage „unausweichlich“ (Robert McNamara) gewesen sei, verneinen Autoren wie C. Dale Walton („The Myth of Inevitable US Defeat in Vietnam“, 2002). Sie sehen in Fehlentscheidungen John F. Kennedys und Lyndon B. Johnsons die Quelle für die als nationale Schande empfundene Niederlage in Vietnam. Bis heute ist für Kritiker von US-Auslandsinterventionen der Vietnamkrieg ein Synonym für gescheiterte Militäreinsätze. Die „Hölle Vietnam“ ist und bleibt ein Schreckensszenario, das nicht bloß die Populärkultur, sondern ein kritisches Bewußtsein in den USA geprägt hat: Amerika hatte sich auf den Abweg von Kriegsverbrechen und Völkermord begeben – und dabei 58.000 eigene Soldaten verloren.