© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Gegen den Strom
Niederlande: Mit seinen provokanten Thesen zum Zentralstaat Europa und zum Multikulturalismus sorgt der junge Historiker und Jurist Thierry Baudet für Furore
Mina Buts

Als „konservatives Wunderkind“ bezeichnet die linksliberale Wochenzeitung Vrij Nederland den niederländischen Historiker und Juristen Thierry Baudet, der seine provokanten Thesen zum Ende der EU und der unabdingbaren Rückkehr zum Nationalstaat mit jugendlicher Verve vertritt. In den niederländischen und belgischen Medien gibt er allenthalben Interviews, war bis Ende 2012 regelmäßiger Kolumnist im NRC Handelsblad und scheut sich nicht, an einem Tag nacheinander auf einem Kongreß des rechtsnationalen „Vlaams Belang“ und wenige Stunden später bei der politischen Konkurrenz von der „N-VA“ zu sprechen. In Deutschland hingegen ist von dem 29jährigen bislang nichts zu hören gewesen.

Im Sommer 2012 legte Baudet an der Universität Leiden seine Doktorarbeit über „The Significance of Borders. Why Representative Government and the Rule of Law Require Nation States“ vor. Die niederländische Übersetzung mit dem provokanten Titel „Der Angriff auf den Nationalstaat“ erlebte im Dezember bereits die achte Auflage. In seiner flott geschriebenen Dissertation zeichnet Baudet ausgehend von den politischen, sozioökonomischen und kulturellen Ereignissen des Mittelalters nach, wieso diese supranationalen Staatsgebilde aus seiner Sicht zu Instabilität und kriegerischen Konflikten verurteilt waren.

Seine These: Nur innerhalb von Nationalstaaten können eine repräsentative Regierungsform und Rechtsstaatlichkeit verwirklicht und durchgesetzt werden. Erst mit dem Westfälischen Frieden und der Schaffung von Nationalstaaten habe eine etwa 300 Jahre währende friedlichere Epoche eingesetzt.

Diese aber sieht Baudet nun von zwei Seiten bedroht. Da sei zum einen der „Supranationalismus“: Nicht nur europäische Instanzen wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die EU in Brüssel, sondern auch internationale wie die Welthandelsorganisation (WTO), der UN-Sicherheitsrat oder der Internationale Gerichtshof (IGH) hätten zum Angriff auf den Nationalstaat ausgeholt. Sie verkörperten eine abgehobene Macht, die einen wachsenden Einfluß auf die Nationen ausübe und damit deren Eigenstaatlichkeit untergrabe. Gleichzeitig führe die föderalistische Struktur der EU zu einer grenzenlosen Ausuferung bürokratischer Macht.

Die zweite Bedrohung sieht Baudet im Multikulturalismus, denn dieser ziehe unweigerlich einen Rechtspluralismus nach sich. Die Gesetze paßten sich den verschiedenen Kulturen an, womit die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz ausgehebelt würde. Die eigene Identität werde dabei unweigerlich von einer „kulturellen Diversität“ zurückgewiesen. Ein solcher Multikulturalismus erzeuge eine „Balkanisierung“ der Gesellschaft; Recht und Gesetz kämen dann eben nicht mehr aus einer autonomen Gesellschaft, sondern würden häufig von „außen“ oder „oben“ oktroyiert. Gleichzeitig erodiere das selbstverantwortliche Handeln und Entscheiden sowohl auf der Ebene der Staatlichkeit als auch auf der des einzelnen Bürgers. Die EU – so Baudets Fazit – sei auf halber Strecke zwischen einer „Super-EU“ und einer intergouvernementalen Kooperation steckengeblieben. Dieser Zustand könne aber nicht länger aufrechterhalten werden. Um Europa wieder zu einer handlungsfähigen Größe zu machen, plädiert Baudet für eine Rückkehr zu einem Europa souveräner Nationalstaaten, die sich nicht länger supranational verbinden, sondern stattdessen auf internationaler Ebene zusammenarbeiten.

Seine radikale EU-Kritik führte Baudet auch in seiner Schrift: „Für Europa – also gegen diese EU“ aus, die er 2012 für das niederländische Nachrichtenmagazin Elsevier publizierte. Dem Einwand, eine Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit könnte eine Quelle für künftige Kriege sein, widerspricht er heftig: „Weit entfernt von einer Kriegsursache ist Nationalismus die Kraft, die die Demokratie erst möglich macht.“ Und gegen die EU gerichtet: „Die EU ist ein Reich, und Reiche verheißen Krieg.“ Auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU im vergangenen Jahr verurteilt er: „Der Nobelpreis für die EU ist ein Mißbrauch der europäischen Bevölkerung, arrogant und gefährlich.“

Eigentlich, so bekennt Baudet, habe er ja bis zu seinem 18. Lebensjahr Konzertpianist werden wollen – und tatsächlich ist er an der Universität Leiden, wo er heute Dozent für Rechtswissenschaften ist, ab und zu bei Konzerten zu hören. 2009 war er beim Gerichtsverfahren gegen Geert Wilders von der islamkritischen PVV wegen „Aufstachelung zum Rassenhaß“ Prozeßbeobachter, im Jahr darauf veröffentlichte er mit Michiel Visser zusammen die Essaybände „Konservativer Fortschritt“ und „Revolutionärer Verfall“, die Lebensporträts konservativer Vordenker enthalten.

„Ich möchte in keine Schublade passen“, erklärt Baudet in Elsevier und tritt in einer der letzten Kolumnen im NRC Handelsblatt für eine radikale Meinungsfreiheit ein: „Auch Beleidigen und Spotten muß ohne Angst vor Verfolgung möglich sein. Es muß eine vollkommene Freiheit geben, um Stellung zu nehmen oder zu provozieren; auch das Leugnen historischer Vorgänge muß möglich sein.“

Im April wird nun sein nächstes Buch „Oikophobie“ erscheinen. Dieser von dem britischen Philosophen Roger Scruton – übrigens einer seiner beiden Doktorväter – geprägte Begriff bezeichnet die Abkehr von allem „Eigenen“ und ist damit das Gegenstück zu Xenophobie. Baudet bemängelt die „krankhafte Abkehr von der Geborgenheit unserer Heimat, den eigenen Gewohnheiten und Bräuchen, von der Nation, der Schönheit und der Harmonie der traditionellen Künste und Architektur“. Sein Buch möchte er auch als Anleitung zur „Genesung“ verstanden wissen.

Thierry Baudet: The Significance of Borders. Verlag Brill, Leiden 2012, broschiert, 271 Seiten, 24,99 Euro