© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Röslers Rettung in letzter Sekunde
Ronald Gläser

Zweimal mußten Rainer Brüderle und Philipp Rösler an diesem Montag ein Vier-Augen-Gespräch führen, um den innerparteilichen Burgfrieden wiederherzustellen. Diese Präsidiumssitzung wird kaum einer der beteiligten FDP-Politiker so schnell vergessen: Die Zusammenkunft des wichtigsten Führungsgremiums der Liberalen am Tag nach der Landtagswahl in Niedersachsen wurde zu einem wahren Krimi. Die Nachricht von der Einigung zwischen den beiden liberalen Spitzenmännern Philipp Rösler und Rainer Brüderle wurde zur wichtigsten Nachricht des Tages.

Die zahlreichen Analysten haben dies als Sieg Röslers, als genialen „Schachzug“ (FAZ), als „machtpolitische Reifeprüfung“ (Die Welt) interpretiert. Rösler, so die vorherrschende Lesart, hat einen genialen Masterplan gehabt, um die Macht in der Partei zu verteidigen.

Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Am Sonntag vormittag war Rösler politisch erledigt. Alles sah so aus, als würde seine Partei, die FDP, ihm den Laufpaß geben und sich in die Arme eines Nachfolgers flüchten. Mutmaßlich von Rainer Brüderle. Die Putschisten an der Spitze der Liberalen hatten den Kurzzeitvorsitzenden – er ist ja noch keine zwei Jahre im Amt – weichgeschossen. Im Falle der sich abzeichnenden Wahlniederlage war Rösler klar: Er würde den Parteivorsitz verlieren und vermutlich auch das Ministerium – spätestens nach der Bundestagswahl. Deswegen plante er bereits seinen Rückzug.

Dann die große Überraschung um 18 Uhr. Die FDP so stark wie nie zuvor. Röslers Gegnern war damit der Wind aus den Segeln genommen. Aber die innerparteiliche Kampagne gegen den FDP-Chef hatte sich verselbständigt. Die Medien, die (außer FDP-Wahlerfolge) nichts mehr hassen, als bei Falschprognosen ertappt zu werden, transportieren ihre eigene Interpretation: Die FDP habe nur durch Leihstimmen so ein gutes Ergebnis eingefahren, sei ein Koloß auf tönernen Füßen. Noch bis zum nächsten Morgen lästern sie über den FDP-Chef, obwohl seine Partei mit einem historischen Wahlerfolg dasteht. Am Montag heißt es, ominöse „Unionskreise“ forderten Röslers Demission.

In Wahrheit müssen sich nun die Rösler-Kritiker in der Partei in acht nehmen. Wolfgang Kubicki zum Beispiel hat sich als Wiedergutmachung an die Spitze seiner Unterstützer gestellt, und Dirk Niebel muß mit einem Blutbad auf dem vorgezogenen Parteitag rechnen.

Weit über hundert Journalisten warten den Vormittag über in der FDP-Zentrale in der Reinhardtstraße. Immer wieder wird die Pressekonferenz verschoben. Splitter dringen von der Sitzung nach außen. Einige Teilnehmer dort tippten sich die Hände wund. So berichteten sämtliche Onlinemedien Stunden vorher, was Rösler und Brüderle gegen 14.30 Uhr bekanntgeben: Rösler bleibt Parteichef. Brüderle wird Spitzenkandidat, darf aber nicht so heißen. Er werde „das Gesicht unserer Kampagne“, so nennt Rösler die Personalentscheidung, die keinem Masterplan gefolgt ist, sondern aus der Not heraus geboren wurde. Aber sei es drum: Auch Grüne und SPD treten mit einer Doppelspitze an. Diese Konstellation wird der FDP weniger schaden als die fortgesetzte Untreue gegenüber den eigenen Wahlkampfversprechen.