© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Die Heuchler machen mobil
In Afrika und im Nahen Osten bekämpft der Westen islamistische Kräfte, die er zuvor heraufbeschworen hat
Michael Wiesberg

In seinem Lied „Mali Ba“ (Großes Mali) vergleicht Habib Koité, Malis wohl bekanntester Musiker, sein Land mit einem Bullen, auf den die Söhne Malis gut achtgeben sollten. Koités Mahnung wurde offensichtlich nicht beherzigt, droht dieses afrikanische Land doch zu dem zu werden, was heute gern als „failed state“, als gescheiterter Staat bezeichnet wird. „Steinzeit-Islamisten“, die den als Azawad bezeichneten Norden Malis unter Kontrolle gebracht haben, sind dabei, einen „Terrorstaat“ zu errichten. Die Tuareg-Rebellen, von denen etliche als Söldner in der libyschen Armee dienten und nach dem Ende des Gaddafi-Regimes in den Norden Malis flohen, werden von den Islamisten mehr und mehr verdrängt.

Eine Entwicklung, die Frankreichs Präsident Hollande auf den Plan rief; er sieht Mali in seiner Existenz bedroht, was Frankreich und „seine afrikanischen Partner“ sowie „die internationale Gemeinschaft“ nicht hinnehmen könnten. Das Geiseldrama in einer ostalgerischen Gasförderanlage, das Ende letzter Woche Dutzende von Toten forderte, scheint Hollandes Entschluß, der malischen Armee bei der Zurückdrängung der Islamisten mit militärischen Mitteln zu helfen, um eine Destabilisierung der ganzen Region zu verhindern, zu bestätigen.

Einmal mehr steht der sich stets aufgeknöpft gebende „Jet-set-Intellektuelle“ Bernard-Henri Lévy vorn im Chor der Interventionisten, der von einer „internationalen Schutzpflicht“ schwadroniert, die bereits „als Grundlage des Einsatzes in Libyen fungierte“.

Für die „Anhänger der Pflicht, sich einzumischen“, so „BHL“, wie er in Frankreich genannt wird, handle es sich hier um einen „Fortschritt“. Wer diese „Pflicht“ zum „raum- und grenzenlosen Paninterventionismus“ (Carl Schmitt) aus welchen Gründen auch immer in Zweifel zieht, für den hält „BHL“ ein letztes, schlagendes Argument bereit, das alle Skeptiker, die ein neues Vietnam oder Afghanistan fürchten, in eine Schachmattposition bringt, nämlich den „Geist, der einst das Münchner Abkommen“ begrüßte.

Argumente wie diese fallen in Deutschland naturgemäß auf fruchtbaren Boden; schon mahnt eine Allianz, die von den Grünen über die Union bis hin zu stets schuldbewußten Medien wie Welt oder Zeit reicht, daß „der Einsatz für die Demokratie“ nicht dort enden dürfe, „wo der Terror beginnt“; nötigenfalls wird auch die „fehlende Solidarität Berlins“ beweint. Was mit diesen moralischen Nötigungskulissen, kulminierend in der Behauptung, daß „Europas Freiheit jetzt in der Wüste verteidigt wird“, erreicht werden soll, liegt auf der Hand: Jeglicher Kritik an den angeblich so hehren Motiven westlicher Interventionen soll nicht nur der Boden entzogen werden; sie wird moralisch („unsere Lehren aus der Vergangenheit“) als nicht zulässig denunziert.

Es gäbe Gründe genug, diese heuchlerische Mobilmachung endlich einmal in ihre Bestandteile zu zerlegen. Waren es nicht libysche Dschihadisten, die Paris und seinen Nato-Verbündeten geholfen haben, den vom Westen hofierten „Wüstendespoten“ Muammar al-Gaddafi zu stürzen, der zuletzt bedauerlicherweise zuviel „Eigensinn“ entwickelte?

Läßt der Westen im syrischen Bürgerkrieg nicht auch die dschihadistische Al-Nusra-Front gewähren, die Washington neuerdings als Tarnorganisation von al-Qaida im Irak einstuft? Hier aber gilt: Alles, was dem Regime Assad schadet, wird häufig genug als Fortschritt hin zur Demokratisierung Syriens gefeiert. Und weiter: Wie sind Medienberichte (wie zum Beispiel in der Washington Post) zu bewerten, nach denen der Putschistenführer Sanogo, der Malis demokratisch gewählten Präsidenten Touré im März 2012 stürzte, in Amerika eine umfassende militärische Ausbildung erhalten hat und seit langem in Kontakt mit der US-Armee steht? Ein wesentlicher Grund für den Umsturz war angeblich die Unfähigkeit Tourés, im Norden des Landes für Ordnung zu sorgen. Ist es ein Zufall, daß US-Spezialeinheiten seit dem Sturz Tourés in Mali aktiv sind?

Schließlich: Ist die Lage in Mali nicht auch eine direkte Folge der Destabilisierung der Region durch den Bürgerkrieg in Libyen? Eine bisher kaum bekannte Rolle spielte hier der Wüstenstaat Katar, der islamistische Rebellen – Moslembrüder und Dschihadisten – direkt mit Waffen und Geld unterstützte. In Doha, das sich von der regionalen Dominanz Saudi-Arabiens zu befreien sucht, so der Terrorismusexperte Guido Steinberg, ist man offensichtlich der Auffassung, daß die Islamisten der kommende Machtfaktor im Maghreb und im Nahen Osten sein werden; also gilt es, frühzeitig für „gute Beziehungen“ zu sorgen.

Auch Frankreich selbst dürfte kaum deshalb intervenieren, weil ein Wüstenstaat zu kollabieren droht; es hängt als Atommacht von der Versorgung mit Uran ab, das zu rund einem Drittel aus der Region Mali/Niger kommt. Die Abhängigkeit Frankreichs von dieser Region ist eher im Steigen denn im Abnehmen begriffen. Wohl auch deshalb hat der französische Nato-General Jean-Paul Palomeros auf einer Pressekonferenz in Brüssel bezeichnenderweise erklärt, es handle sich bei der Intervention in Mali um „eine rein französische Aktion“, die mit dem Bündnis nichts zu tun habe.

Diese Aspekte verweisen auf eine Gemenge- und Interessenlage, die „den Westen“ in einem zwiespältigen Licht erscheinen läßt: Man kann sich nämlich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Destabilisierung Nordafrikas und des Nahen Ostens nicht von ungefähr kommt. Sie erleichtert den selbsternannten „Neuordnern der Welt“ das Einschreiten überall dort, wo sie es für opportun halten; dabei wird je nach Interessenlage darüber entschieden, welche Terroristen gerade „die Sicherheit“ bedrohen und welche aus „grundsätzlichen Erwägungen“ zu unterstützen sind.