© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Lockerungsübungen
Putins Traditionsbruch
Karl Heinzen

Rußland befindet sich seit seiner Befreiung vom Kommunismus in einer demographischen Krise. Die Gesellschaft ist mehr und mehr überaltert, ihr Gesundheitszustand labil. 2012 wurden knapp drei Millionen Einwohner weniger als zehn Jahre zuvor gezählt. Trotz schrumpfender Bevölkerung galt Rußland bisher gleichwohl als Wachstumsmarkt für die globalen Hersteller alkoholischer Getränke. Insbesondere Biermultis wie Carlsberg und Anheuser-Busch-Inbev setzten darauf, die nicht zuletzt wegen der fortschreitenden Islamisierung wegbrechende Nachfrage in Westeuropa durch wachsende Absatzerfolge unter den traditionell als trinkfreudig angesehenen Russen zu kompensieren.

Diese Absatzziele sind nun durch einen Feldzug gefährdet, den Wladimir Putin gegen den Alkoholkonsum in seinem Land eingeläutet hat. Die Abgabe von Bier an Verkaufsständen ist seit Jahresbeginn zwischen 11 und 20 Uhr untersagt, zudem ist die Menge, die pro Person erworben werden darf, beschränkt. Die bereits 2012 um 20 Prozent angehobene Biersteuer soll in diesem Jahr um weitere 25 und 2014 nochmals um 20 Prozent steigen. Die Konsumenten sind überdies mit drastisch erhöhten Mindestpreisen für Hochprozentiges konfrontiert.

Was die Hersteller als eine kurzfristige Reduzierung ihrer Umsätze erfahren dürften, könnte sich für sie jedoch als eine langfristige Sicherung ihres Absatzmarktes erweisen. Die Zahl der Todesfälle, die auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind, ist in Rußland in den letzten Jahren stetig gestiegen. Setzt sich dieser Trend fort, gehen in absehbarer Zeit die Käufer aus. Auch Alkoholproduzenten haben ein Interesse daran, daß ihre Kunden sich über eine lange Lebensspanne ihre Trinkfestigkeit bewahren.

Von viel größerer Relevanz ist jedoch die Frage, welche innenpolitischen Konsequenzen Putins Kampagne zeitigen wird. Bislang schien sein Augenmerk darauf gerichtet zu sein, die Erosion von Gesellschaft und staatlicher Macht durch westlichen Einfluß zu unterbinden. Nun fordert er die Russen – so sehr die Ära Jelzin auch als Symbiose zwischen Alkoholismus und fremder Demokratie erscheinen kann – auf, mit einer ureigenen Gewohnheit zu brechen. Der Schulterschluß zwischen der nationalistischen und der liberalen und linken Opposition dürfte daher künftig weniger willkürlich erscheinen.

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