© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Schein und Sein
Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte: Auf den Spuren der Fotografin Herlinde Koelbl
Gertrud Bossdorf

Schein und Sein, Leben und Vergehen, Leiblichkeit: Das sind die zentralen Motive der Fotografin Herlinde Koelbl. Mit ihren Bildern will die heute 73jährige Koelbl etwas „von der Innenansicht des Menschen nach außen bringen“. Sie schafft dies nicht nur mit der Vielfalt ihrer Themen, sondern auch mit der Intensität ihrer Aufnahmen.

Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt 2011 den Querdenker-Ehrenpreis für ein Werk, das sich durch „schnörkellose Offenheit und Klarheit“ auszeichne. Jetzt ist noch bis Ende Januar im Bonner Haus der Geschichte eine Ausstellung zu sehen, die unter dem Titel „Spurenlese“ mit über 400 Bildern einen Überblick über die Arbeit der Fotografin gibt.

Die Ausstellung beginnt mit ihren frühen Werken zur Verhaltensforschung. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Dieser Behauptung geht Koelbl mit ihren Serien „Beziehungen“ und „Feine Leute“ auf den Grund. Ganz bewußt bedient sie sich hier der Schwarzweiß-Fotografie, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die wesentlichen Dinge zwingt. Gesichtsausdrücke, Gesten.

Auch die Behausungen gehören zur Innenansicht eines Menschen. In ihren Reihen „Das deutsche Wohnzimmer“ (1980) und „Schlafzimmer“ (2002) befaßt sich Herlinde Koelbl mit diesen Schein- und Sein-Welten. Gerade der Gegensatz von Förmlichem und Intimen wird hier zur Schau gestellt. Neben Wohnräumen sind einige Bilder von Arbeitsplätzen bekannter deutscher Schriftsteller ausgestellt. Es ist bemerkenswert, wie sich die Schaffensoasen der Künstler unterscheiden können. Dem kreativen Chaos Friederike Mayröckers steht das ordentliche und stilvoll eingerichtete Schreibzimmer Ernst Jüngers diametral entgegen.

Bei Koelbl geht es überhaupt sehr viel um Gegensätze und Provokation. Fotos von beleibteren Frauen sind ein Gegenstück zur vorangegangenen Serie sportlich durchtrainierter Männer. Es geht darum, auch das Leben jenseits des gängigen Schönheitsideals abzubilden, es geht um reine Leiblichkeit – und um Persönlichkeit. „Schönheit ist für mich mit Ausstrahlung verbunden“, sagte Koelbl in einem Interview mit dem Art-Magazin. Provokant sind auch die Aufnahmen von Tieropfern auf Sardinien, Bilder vom Scheren des Kopfhaares, Bilder von Alter, Tod und Angst.

In einem anderen Raum sind die jüdischen Porträts von 1989 ausgestellt. Für die Serie hatte sich Koelbl mit Wissenschaftlern und Künstlern getroffen, die den Holocaust überlebt hatten. Den Aufnahmen „herausragender Vertreter des Geisteslebens deutsch-jüdischer Herkunft“ ist jeweils ein von dem Fotografierten selbstverfaßter Text beigegeben.

Interessant sind vor allem die ausgestellten Teile der Langzeitstudie „Spuren der Macht“. Von 1991 bis 1998 verfolgte Koelbl die sichtbaren sowie die psychischen Veränderungen von Prominenten und Politikern. Stets begleitet von einer Äußerung der Modelle entsteht alle zwei bis drei Jahre ein neues Foto, auf dem die „Verwandlung der Menschen durch ihr Amt“ oft deutlich zu erkennen ist. So blickt die junge Angela Merkel 1991 noch mit unbedarften Kulleraugen in die Kamera. Mit den Jahren der Macht wird der Gesichtsausdruck dann immer strenger und gefestigter. Auch Fotos von Gerhard Schröder und Joschka Fischer sind ausgestellt.

Den Abschluß bilden Koelbls Arbeiten der Serie „Kleider machen Leute“. Ganz gewöhnliche Menschen sind einmal mit und einmal ohne ihre Berufskleidung fotografiert. Es ist erstaunlich, wie eine Uniform oder ein Kostüm seine Träger verändern kann. So wirkt zum Beispiel eine asiatische Polizistin in Alltagskleidung eher wie eine brave Studentin, und ein Bischof trägt plötzlich einen Jogginganzug.

Fürwahr, eine sehenswerte Spurenlese.

Die Ausstellung „Spurenlese. Fotografien von Herlinde Koelbl“ ist bis zum 27. Januar im Bonner Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, täglich außer montags von 9 bis 19 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Telefon: 02 28 / 91 65-0

www.hdg.de

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