© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Zeitschriftenkritik: G/Geschichte
Auf der Suche nach dem Gral
Werner Olles

Die erste Gralserzählung des Mittelalters, der „Perceval“ des Chrétien de Troyes, entstand in jenen Jahren, als Sultan Saladin das christliche Königreich von Jerusalem ins Wanken brachte. Im moralischen Verfall der Kreuzfahrerstaaten – so die Legende – suchten die Menschen damals die Gründe für die militärische Überlegenheit des mohammedanischen Feindes. Gebraucht wurden Gestalten, die gleich Parzival für den christlichen Glauben kämpften. Der heilige Gral und die sagenhaften Ritter der Tafelrunde avancierten so zu einem beliebten Thema der Literatur, wenngleich die Geschichten nach dem Ende der Kreuzzüge profaner wurden, da die höfische Gesellschaft des Mittelalters spannende Abenteuer, gewürzt mit Phantastik und Erotik bevorzugte. Erst mit der Renaissance und der Reformation wurde das Interesse an der Gralsmystik, an Artusturnieren und Tafelrunden geringer, doch die Dichter der Romantik entdeckten die mystische Gralswelt als Gegenentwurf zu einem als seelenlos empfundenen Industriezeitalter. In England versuchten die Präraffaeliten die Botschaft des Grals zu entschlüsseln, während in Deutschland Richard Wagners „Parsifal“ die Menschen bezauberte. Heute haben Esoterik und Verschwörungstheoretiker die ewige Suche nach dem heiligen Gral scheinbar für sich gepachtet.

Die aktuelle Ausgabe (Januar 1/13) der Zeitschrift G/Geschichte widmet ihr Schwerpunktthema dem Gralsmythos und begibt sich auf eine Spurensuche in die Geschichte jener Legende, die von Historikern stark angezweifelt, von Poeten und modernen Gralsgesellschaften jedoch als Realität angesehen wird. Aber welcher Gral ist nun der „wahre“? Jener Kelch, der in einer bescheidenen galicischen Kirche am Jakobsweg verehrt wird und der durch ein mittelalterliches Hostienwunder berühmt wurde, oder der Heilige Gral von Valencia, der als echte Reliquie des letzten Abendmahls gilt und mit dem allein der Papst in der Gralskapelle die Eucharistie zelebrieren darf?

Ganz andere Mächte suchten anno 1940 nach dem Gral. Im katalanischen Benediktinerkloster Santa Maria de Montserrat, etwa 40 Kilometer nordwestlich von Barcelona, wandelte seinerzeit auch der Reichsführer SS Heinrich Himmler auf den Spuren der Katharer und Templer. Ihm ging es dabei weniger um spirituelle Erleuchtung, sondern er vermutete in der Abtei nichts anderes als den Gral zu finden, dessen mythische Kräfte dem Nationalsozialismus den Sieg über seine Gegner bringen sollten. Auf diese Idee hatte ihn der passionierte Gralssucher Otto Rahn gebracht, ein Literat und Forscher, der den vom Okkulten faszinierten Himmler stark beeinflußte. Doch war auch Himmler bei seiner Suche kein Erfolg vergönnt, und so suchte man stattdessen auf den Kanaren nach den Überresten des arischen Reichs von Atlantis.

Weit weniger rätselhaft, aber nicht minder faszinierend liest sich die Geschichte der ersten Untergrundbahn der Welt, die im Januar 1863 in London in Betrieb ging und als Mikrokosmos besonderer Art 150 Jahre Technikgeschichte verkörpert.

Kontakt: Bayard Media, Böheimstr. 8, 86153 Augsburg. Das Einzelheft kostet 4,90 Euro. www.g-geschichte.de

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