© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Mißtrauensvotum gegen die Polizei
Der gläserne Polizist: Kennzeichnungspflicht und Namensschilder schüren Mißtrauen gegen Vollzugsbeamte und sind sachlich fragwürdig
Sverre Schacht

Ein Polizist in Zivil ist während seiner Mittagspause in der Stadt unterwegs. Ein Mann spricht ihn auf dienstliche Vorgänge an, greift dann unvermittelt die Brille des Beamten, zerbricht sie und schlägt dem Polizisten mit der Faust ins Gesicht, versucht ihm in den Bauch zu treten und flüchtet – Polizeialltag in Deutschland, geschehen im Mai 2012, in Lörrach (Baden-Württemberg).

Gewalt gegen Polizisten, auch im privaten Umfeld, nimmt zu. Der Ruf der Ordnungshüter an die Politik nach konsequenteren Gesetzen verhallt ungehört. Politiker aller Parteien setzen statt dessen in den Landesparlamenten mehr und mehr eine individuelle Kennzeichnungspflicht für jeden Polizisten durch.

Ab diesem Monat müssen nun Brandenburgs Polizisten bei Einsätzen im Wechseldienst und in der Wache ein Namensschild tragen. Befreit vom Schild sind Bedienstete in geschlossenen Einheiten, die stattdessen eine fünfstellige Ziffernkombination auf dem Rücken der Einsatzanzüge tragen. Der Landtag beschloß hierzu eigens ein Gesetz. In Berlin, wo seit September 2011 die Beamten die Wahl zwischen Namensschild oder einer auf den einzelnen verweisenden Dienstnummer haben, reichte der Politik noch eine Verwaltungsvorschrift. „Kollegen haben es schon erlebt, wenn sie privat in eine Disko kommen und erkannt werden, daß sie verprügelt werden. Gerade die Rockerszene ist da nicht zimperlich“, sagt Michael Peckmann, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Brandenburg. Ihn und seine Kollegen ärgert, daß das neue Gesetz nicht nur grund-, sondern auch anlaßlos ist: „Es gibt keinen Fall einer Straftat in Brandenburg, an dem vermeintlich ein Polizeivollzugsbeamter beteiligt gewesen sein soll, der nicht aufgeklärt wurde“, so die GdP. „Diese Informationsfreigabe verletzt den Kerngehalt des Grundrechtes, wodurch es auch zu Gefährdungen von Polizeibeamten und deren Familien kommen kann.“

In Brandenburg brachte die CDU-Fraktion den Antrag auf Namenskennzeichen in den Landtag ein und begründete das mit „Bürgernähe“. Dabei erntete sie sogar Widerstand von ganz links. „Die namentliche Kennzeichnung wird Polizeibeamte zu Freiwild für ungerechtfertigte Beschuldigungen machen, eine Tatsache, die bereits jetzt zu beobachten ist“, sagte Jürgen Maresch, Landtagsabgeordneter der SED-Nachfolger „Die Linke“ und Erster Polizeihauptkommissar a. D. kurz vor Ende des vergangenen Jahres.

„Wir haben schon jetzt einen Fall. Eine Wache in Babelsberg wird von einer Jugendgruppe bis ins Private, bis in die Familien der Kollegen terrorisiert, Autoreifen von Privatfahrzeugen durchstochen“, untertreicht Andreas Schuster, GdP-Landesvorsitzender in Brandenburg.

Übergriffe ins Private der Beamten sind schon jetzt häufig – und folgenlos. Laut Schuster hält der Terror gegen diese Kollegen länger an, die Namensschilder seien überflüssig: „Bei normalem polizeilichen Handeln weisen wir uns immer aus, und das ist auch ausreichend, doch es gibt Fälle, in denen wollen auch wir geschützt sein.“ Der Gewerkschafter spricht damit die in Brandenburg schon bestehende gesetzliche Legitimationspflicht der Polizisten an. Die Ordnungshüter müssen sich auf Verlangen eines von ihren Maßnahmen Betroffenen ausweisen. Andere Landespolizeigesetze enthalten entsprechende Regeln.

Die nun in Brandenburg und anderen Bundesländern parteipolitisch lancierte Kennzeichnungspflicht geht darüber hinaus. Sie betrifft als weithin auf der Kleidung sichtbare Daueridentifikation eben auch Einsätze von geschlossenen Einheiten. Auch bei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Berlin kennt man Übergriffe auf Kollegen. Die Betroffenen wollen sich demnach aber nicht einmal anonym äußern.

Ein Hamburger Drogenfahnder sieht sich und seine Kollegen längst als Ziele: „Wenn jemand mir auflauern will, beobachtet er die Wache oder mich auf dem Weg zur Arbeit, auch das ist leider schon vorgekommen, gehört aber für mich zum Beruf nun einmal dazu.“ Resignation aus Gewohnheit schwingt bei manchen angesichts des Ausmaßes alltäglich gegen sie gerichteter Gewalt mit – die rechtlich oft folgenlos bleibt. Eine aktuelle interne Polizeistudie der Elbstadt verzeichnet täglich drei Angriffe auf Polizisten. Die Studie führt die Beleidigungen und Pöbeleien schon nicht mehr auf. Es sind zu viele. Der DPolG-Landesvorsitzende Joachim Lenders kritisierte im Zusammenhang der internen Erhebung ausdrücklich die Politik: „Dort beschäftigt man sich mit der individuellen Kennzeichnung von Polizisten. Man sollte sich lieber mit den echten Problemen beschäftigen.“

In der Hansestadt drängt die SPD-Jugend Jusos auf eine umfassende Kennzeichnung. Die Landes-SPD beschloß Anfang Dezember eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Der Landesvorsitzende der GdP Hamburg, Gerhard Kirsch, sagte dazu: „Dieses ausdrückliche Mißtrauensvotum zeigt die Ausrichtung der Hamburger SPD. Öffentlich das hohe Vertrauen der Hamburger Bürger in ihre Polizei zu betonen und hinter der Hand die gesamte Polizei mit einem Generalverdacht zu überziehen, ist eine Ungeheuerlichkeit.“ Dem Bürger werde vorgemacht, es gebe ungeklärte Übergriffe von Polizisten. Ein falscher Eindruck sei die Folge: „Mit diesen Anträgen wird unterstellt, daß eine strafrechtliche Verfolgung bei Vorfällen nicht funktioniert“, so Kirsch.

In Niedersachsen treiben Grüne die Kennung voran. „Die Grünen setzen sich vielfach für besseren Datenschutz ein, weil es die heutige Technik ermöglicht, personenbezogene Daten wie Namen mit Adressen oder Fotos aus dem Internet zu kombinieren. Doch gerade diese Möglichkeiten können Polizisten im besonderen gefährden“, entgegnete der Landesvorsitzende der GdP, Dietmar Schilff. Eine GdP-Umfrage unter den Polizeibeschäftigten des Landes ergab eine fast hundertprozentige Ablehnung der neuen Kennzeichnungspflicht. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) attestierte den Grünen angesichts ihres Gesetzentwurfs „ein gestörtes Verhältnis zu unserer Polizei“.

Berlins Senat, der die individuellen Kennungen 2011 ebenfalls gegen Widerstand aus der Polizei eingeführt hat, präsentierte jüngst eine Statistik, die von Anfang Januar bis Ende April nur 23 Beschwerden gegen Beamte zeigt. Nur in sechs Fällen reichten diese Vorwürfe für ein Strafverfahren. Das ist der Stand nach Einführung der Kennzeichen. Trägt ein Polizist indes das Schild nicht, steht ihm ein Disziplinarverfahren bevor.

Kaum vorhersehbar und willkürlich richten Angriffe auf einzelne Polizisten weiterhin oft großen Schaden an: In Hürth bei Köln zerstach am 21. November ein Mann an fünf vor einer Wache abgestellten privaten Fahrzeugen die Reifen. Nach Verhaftung stellte sich ein Rachemotiv infolge von Cannabis-Konsum heraus, den Beamte zuvor bei einer Verkehrskontrolle festgestellt hatten. In Nordrhein-Westfalen haben SPD und Grüne im Koalitionsvertrag festgeschrieben, „eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei beim Einsatz geschlossener Einheiten (Hundertschaften)“ durchzusetzen. „Das paßt nicht in die Zeit, in der Polizeibeamte fast täglich Opfer von Gewalt werden. So wird das Mißtrauen gegenüber den Polizisten eher verstärkt“, erwiderte der GdP-Landesvorsitzende Frank Richter. Andernorts schützen Beamte bereits mit Sichtblenden die oft kaum gesicherten Abstellplätze ihrer Autos.

Längst ist der Polizist ein gläsernes Wesen. Listen mit Kennzeichen und Namen könnten im Internet auftauchen, fürchten Datenschützer. Doch trotz aller Anhörungen und Argumente gegen die Extra-Schilder und Nummern rollt eine regelrechte Einführungswelle durch die Landtage. Auch Schleswig-Holstein, wo im vergangenen Jahr 1.262 Beamte angegriffen und 443 verletzt wurden (2009 waren es noch 108), plant Schilder. Während die Vervierfachung der dienstbedingten Verletzungen von Polizisten der Politik dort keine Maßnahmen wert ist, kennt die neue „Bürgernähe“ keine Grenzen. Dabei schuldet die Politik den Beamten im Einsatz nach wie vor eine Antwort, warum ein friedlich Demonstrierender zur ohnehin bereits bestehenden Kennziffer der Hundertschaft noch den persönlichen Namen oder eine individuelle Dienstnummer des Beamten braucht, der sein Recht auf Meinungsfreiheit schützt.

 

Kritik an Kennzeichnungspflicht

Sowohl die Gewerkschaft der Polizei (GdP) als auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) lehnen die Einführung von Namensschildern sowie die individuelle Kennzeichnung von Polizisten bei geschlossenen Polizeieinsätzen ab. Sie werten die Kennzeichnung als Stigmatisierung und unbegründetes Mißtrauensvotum gegen die Polizei. Begründet wird die Ablehnung mit Beeinträchtigungen der Privatsphäre und dem Schutz vor Repressalien (Manipulationen an Fahrzeugen, Verfolgungen). Der Bundesvorstand der DPolG ging sogar so weit, die Pflicht zum Tragen von Namensschildern bei Einheiten, die bei Demonstrationen oder anderen gefährlichen Einsätzen eingesetzt sind, als „verfassungswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“ zu bezeichnen.

www.dpolg.de

www.gdp.de

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