© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Brüsseler Sparkorsett für ländliche Räume
Landwirtschaft: Für die nächste EU-Agrarhaushaltsperiode drohen finanzielle Einschnitte / Konsequenzen für deutsche Bauern
Christian Baumann

Das „wirtschaftliche Umfeld“ werde „nicht einfacher, sondern schwieriger“, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache an. Angesichts der desolaten US-Finanzlage der USA und der Euro-Politik könnte man auch von einem windigen Kartenhaus sprechen. Wie gut, daß es den soliden deutschen Wirtschaftsmotor gibt, doch jedes Wachstum hat ein Ende und eine Rezession folgt dann auf dem Fuß. Dazu paßt, daß die Staats- und Regierungschefs der EU bislang keinen konkreten Agrarhaushaltsrahmen für die Periode 2014 bis 2020 zuwege brachten. Laut EU-Ratspräsident Herman van Rompuy steht der Kurs allerdings fest: Sowohl für die erste (Produktion) als auch für die zweite Säule (ländliche Entwicklung/Ökologie) werden die Mittel gekürzt.

Für die deutschen Bauern wird die Luft also dünner. Während die Direktzahlungen und marktstützenden Mittel durchaus zu Recht um fast neun Milliarden Euro auf knapp 278 Milliarden Euro reduziert werden, sind es in erster Linie die Gelder für die ländliche Entwicklung, die eine empfindliche Zäsur erfahren: Demnach sollen rund zwölf Milliarden gegenüber der von 2007 bis 2013 währenden Haushaltsperiode eingespart werden, wonach dann noch etwa 83 Milliarden für diesen Etat zur Verfügung stünden. War es aber nicht einmal ein von Brüssel erklärtes Ziel, gerade die zweite Säule der Subventionspolitik zu stärken, um die Wertestabilisierung der ländlichen Räume – zu Lasten der direkten marktstützenden und damit der nicht den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) konformen Fördermaßnahmen – auf lange Sicht zu gewährleisten? Mitnichten hätte man an Lippenbekenntnisse denken wollen, da man sich der Bedeutung der Landwirtschaft für die Aufrechterhaltung des Landes als Lebensraum bewußt war.

Gerade die Land-, Ernährungs- und Forstwirtschaft prägen die Struktur und das Erscheinungsbild außerhalb der urbanen Zentren. Zuvorderst erzeugt die Landwirtschaft hochwertige heimische Lebensmittel, sie sichert Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen, prägt das Landschaftsbild. Sie hat eine tragende Funktion im Klima-, Umwelt- und Naturschutz, stützt den Tourismus, hält traditionelle Werte aufrecht und stabilisiert nicht zuletzt das soziale Gefüge auf dem Land. Unter diesem Blickwinkel findet die indirekte Stützung der Landwirtschaft ihre Bestätigung. Dafür steht im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU die „Verordnung zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums“, die zu einem Anteil von der EU und zu einem Anteil jeweils vom nationalen Mitgliedsstaat finanziell getragen wird.

Seit 2007 bis Ende 2013 fließen über 96 Milliarden Euro an Fördermitteln in diesen Posten; Deutschland erhält seit Beginn der Haushaltsperiode 9,1 Milliarden Euro, die durch Bund und Länder mit 8,8 Milliarden kofinanziert werden. Gut zwei Drittel dieser Fördergelder kommen der Landwirtschaft mittelbar und unmittelbar zugute; darunter sind Agrarumweltprogramme, Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete, Investitionsförderungen, Flurneuordnungen und Dorferneuerungen.

Dem Strukturwandel kann der Geldsegen gleichwohl nicht wirksam entgegentreten. Im Schnitt der vergangenen Jahre schlossen in Deutschland jährlich bis zu drei Prozent der Höfe ihre Tore – mit anhaltendem Trend. Derzeit gibt es noch knapp 290.000 bäuerliche Betriebe. Bei der letzten Landwirtschaftszählung konnten nur knapp 31 Prozent der Befragten mit einem Alter über 45 Jahren einen Hofnachfolger präsentieren. Demnach schwindet die Bedeutung der Landwirtschaft für die Aufrechterhaltung der ländlichen Räume. Daher sind weiterreichende und flankierende Maßnahmen erforderlich, die Weitblick und alles andere als eine rücksichtslose Sparpolitik erfordern. Dazu zählt primär die Stärkung der Wirtschaftskraft für eine regionale Wertschöpfung, ferner der Ausbau der Verkehrs-, Kommunikations- und Energieinfrastruktur wie auch die Förderung des Gesundheits- und Pflegewesens sowie der Bildungs- und Freizeitkultur. Allein ein Blick in den aktuellen Breitbandatlas des Bundeswirtschaftsministeriums verrät, welch große Lücken bei der schnellen Internetversorgung in Deutschland noch zu schließen sind. Ob bis 2018 wirklich eine flächendeckende Verfügbarkeit gewährleistet wird, ist fraglich.

Ohne von Landflucht zu sprechen, kann einer Ausdünnung der ländlichen Räume nicht entgangen werden, sollte sich die Lebensqualität nicht fortentwickeln. Mehr noch: Glaubt man demographischen Prognosen, wird Deutschland bis zum Jahre 2060 um bis zu 17 Millionen Menschen geschrumpft sein. Diese Entwicklung würde besonders die ländlichen Räume, wo heute noch die Hälfte der deutschen Bevölkerung lebt, treffen. Deswegen muß es gewolltes Programm jeder Bundesregierung sein, den Lebensstandard im ländlichen Raum urbanen Verhältnissen anzugleichen – sowohl über direkte Maßnahmen als auch über eine weitergehende Stützung der Landwirtschaft als Basis ländlichen Lebens. Sollte der für diesen Bereich aus Brüssel angedrohte Sparkurs umgesetzt werden, müssen nationale – respektive regionale – Alleingänge das Gebot der Stunde sein. Letzten Endes sind dann die Bundesländer gefordert, weitergehende Fördermöglichkeiten abseits der ihnen zugeteilten EU- und Bundesmittel zu etablieren – sofern sie über einen ausreichenden Finanzspielraum verfügen.

Breitbandverfügbarkeit in Deutschland: www.zukunft-breitband.de

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