© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Mit kalter Entschlossenheit
Erfolgsrezept: Trotz eines inhaltlichen Zickzackkurses ist Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit beliebt wie nie / Eine Spurensuche
Paul Rosen

Was sind die Gründe für die „Kanzlerin auf Rekordkurs“ (Hamburger Abendblatt), von der Gerd Schröder 2005 sagte: „Sie werden es nie“? Inzwischen hat Helmut Kohls „Mädchen“ ihren Vorgänger Schröder an Amtszeit um einige Tage überholt. Merkel regiert Deutschland seit sieben Jahren und damit länger als Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt im Bonner Kanzleramt waren. Und die Deutschen mögen sie: 54 Prozent ziehen sie gegenüber ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück vor. Die Union käme auf 40 Prozent, wenn morgen Bundestagswahl wäre – weit vor allen Mitbewerbern. Hat also das Räumen von Positionen, der hemmungslose Kniefall vor dem Zeitgeist, keine Folgen, sondern führt sogar zu Erfolgen?

Eine Spurensuche in die Vergangenheit der Union zeigt, daß die Entwicklung der vergangenen Jahre, die mit Merkel nun ihren Höhepunkt gefunden hat, alles andere als positiv ist. Die von Helmut Kohl geführte CDU hatte Flügelspieler wie Alfred Dregger (rechts) und Norbert Blüm (links). Von München aus stieß Franz Josef Strauß hinzu, der im Norden national erschien, in Bayern jedoch auch für die „Libertas Bavariae“ stand. Folgen waren etliche Landtagswahlergebnisse weit über 50 Prozent und Bundestagswerte um 45 bis 48 Prozent. Heute verfügt die Union bestenfalls noch über linke Flügelspieler wie Ursula von der Leyen, Richtungslose wie Ronald Pofalla oder Polit-Chamäleons vom Typ Horst Seehofer (CSU). Die Folge sind Umfragewerte von höchstens 40 Prozent und der Verlust aller absoluten Mehrheiten oberhalb der Kreis- oder Bezirkstagsebene sowie aller Großstädte. „Heute sieht die CDU in der schwarz-grünen Mitte nicht nur politische Chancen, sondern zu einem guten Teil auch ihre künftige Identität“, kommentierte die Welt.

Merkel hat mit kalter Entschlossenheit in den vergangenen Jahren alle Konservativen und andere Widersacher in den eigenen Reihen beseitigt oder ins Exil gezwungen: angefangen von Friedrich Merz über Edmund Stoiber, Roland Koch, Christian Wulff, Karl-Theodor zu Guttenberg oder zuletzt Norbert Röttgen: Wer immer zur Gefahr für sie hätte werden können, fand sich vom Spielfeld gedrängt. In der CDU, in der sie zuletzt mit knapp 98 Prozent bestätigt wurde, herrschen Verhältnisse wie in einem Politbüro. Es kommt nur auf die Chefin an und auf sonst gar nichts.

Meinungsumfragen machen dies deutlich. Die Union wird fast nur wegen Merkel gewählt. Das sagen 44 Prozent. Und nur sieben Prozent wählen die CDU wegen ihrer Inhalte. Eine plausible Erklärung ist, daß die Deutschen Respekt vor einer Kanzlerin haben, die in Europa oft genug den Ton angibt und Griechen, Spanier, Zyprioten und wen auch immer zum Sparen zwingt – eine typisch deutsche Tugend übrigens, die dem süd-europäischen Naturell völlig fremd ist, was wiederum Merkels Unbeliebtheit im Mittelmeerraum erklärt.

Der Deutsche liebt Respektspersonen und so wundert auch die bis heute andauernde Verehrung des ökonomischen Versagers Helmut Schmidt nicht. Wenn es in der Welt heißt, „die Deutschen haben sich eingerichtet mit dieser Kanzlerin, die ihnen eine unübersichtlich gewordene Welt vom Leib hält“, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Hinzu tritt, daß sie es bisher geschafft hat, den Menschen Wohlstand oder wenigstens materielle Sicherheit zu bieten. Die inzwischen mit eigenem Steuereintreibungsrecht ausgestatteten Unterhaltungsmedien erfüllen außerdem den damit verbundenen Ablenkungsauftrag vorzüglich – von zum Teil tagelangen Sportübertragungen bis „Wetten, daß ...“. Schon vom römischen Kaiser Trajan ist die Aussage überliefert, daß das römische Volk sich besonders durch zwei Dinge im Banne halten lasse: Brot und Spiele (panem et circenses). Merkel tut also nichts anderes als das, was erfolgreiche Regenten über die Jahrtausende auch schon taten.

Hinzu kommt der Zustand der Opposition, die ihren Namen kaum noch verdient. Seehofer kürte den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der sich zuletzt in eine Debatte über die Angemessenheit des Kanzlergehalts verzettelte, bereits zum „Wunschkandidaten“. Die Grünen sind entsetzt über das Siechtum ihres Wunschpartners SPD, was die grün-schwarze Option wieder interessanter macht, andererseits in der SPD aber zu rot-rot-grünen Überlegungen führt. Das Fehlen einer schlagkräftigen Opposition führt dazu, daß über wichtige Dinge gar nicht mehr gesprochen wird: die fortschreitende Deindustrialisierung, den Verfall der Infrastruktur und die eines Tages einzulösenden Billionen-Bürgschaften für Europa.

Allerdings kann die Merkel-Party ganz schnell zu Ende sein. Fällt Niedersachsen für die CDU und kippt die FDP dort aus dem Landtag, könnte dies zum Regierungswechsel in Berlin im Herbst führen. Auch 1998 löste der Machtwechsel in Hannover den Wechsel in Bonn aus. Und falls Niedersachsen nicht fällt, könnte die SPD ihren Unglückskandidaten durch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ersetzen. Dann würde auf jeden Fall eine Frau Kanzler, aber die müßte nicht unbedingt von der CDU sein.

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