© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Gaslicht ist schön
Berlin will einzigartiges Lokalkolorit beseitigen / Einzige technische Lichtquelle ohne Atomstrom
Sverre Schacht

Das ist das Berliner Licht, Licht, Licht, nehmt uns die Laterne nicht, nicht, nicht“, sangen kürzlich 500 Berliner bei einer Menschenkette. Die Metropole baut auch in diesen dunklen Tagen Gaslaternen ab. Sie sollen nach Politikerwillen elektrischer Beleuchtung weichen. Der großkoalitionäre Senat begründet den Feldzug gegen noch gut 43.000 öffentliche Berliner Gaslampen mit Kosten- und Klimaschutzargumenten. Dabei ist Gaslicht das einzige technische Licht garantiert ohne Strom aus Kernkraftwerken, und es spendet eine anheimelnde Atmosphäre. Viele Berliner und zahlreiche Initiativen kämpfen für den Erhalt der lange politisch geförderten und mit viel Aufwand erhaltenen Leuchtkörper. Sie haben dabei nicht nur nostalgische Gefühle auf ihrer Seite.

„Dieses Licht gehört einfach zu Berlin“, sagt eine Demonstrantin unter den noch gasbetriebenen Leuchten am Amtsgericht Wilmersdorf. Wie viele der meist auf peitschenförmigen Masten angebrachten rund 8.400 Reihenleuchten sollen sie als erster Typ weichen. Nur Stunden vor der Demonstration versuchte Christian Gaebler (SPD), Staatssekretär für Verkehr, in einer Charmeoffensive den einsetzenden Kahlschlag zu verteidigen: „Das grundsätzliche Ziel: Wir wollen Energiekosten einsparen, wir wollen CO2 einsparen und deshalb die Energieversorgung der Leuchten ändern, da sind wir wenig diskussionsfähig.“ Die besonders schönen, lyraförmigen Aufsatzleuchten könnten bleiben, so der Tenor.

Tatsächlich plant der Senat vor allem Neues: Die 08/15-Alu-Lampe in Graphit-Optik mit dem Nonsens-Namen „Jessica 800“ soll Berlin bald flächendeckend in kaltes Nachtlicht tauchen. Nur geschlossene Ensembles sind laut Senat erhaltenswert. Ensemble bedeute aber, daß Straßenzüge ausnahmslos mit Gaslaternen aller Typen ausgestattet sein müßten, um erhalten zu bleiben, fürchten Kritiker. Außer an wenigen denkmalwürdigen Orten droht so den meisten historischen Lampen nebst Masten ein schaler Ersatz.

Daß im Gegensatz zum kühlen Blau der zweckrationalen „Jessica“ farbechtes Gaslicht so wichtig ist wie die sprichwörtliche Berliner Luft, ist nicht nur eine Erkenntnis des demonstrationsveranstaltenden Vereins Pro-Gaslicht. Auch Europas Denkmalschützer von Europa Nostra, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz sowie mancher Promi, jüngst Ilja Richter, setzen sich für den Erhalt der in Berlin seit 1826 verbürgten Beleuchtung ein. Im Kalten Krieg wurde Stadtgas im Westteil absichtlich genutzt, um die Unabhängigkeit zu sichern. Das Trauma der Blockade West-Berlins von 1948/49 – abgeriegelt, lichtlos, schikaniert – saß tief, und der Wunsch, möglichst autark zu sein, hatte reelle Gründe. Nach dem Krieg war die Beleuchtung durch Gas dort wieder bald in Gang gesetzt worden, Stadtgas konnte aus Kohle selbst erzeugt werden – Überlandleitungen zu großen Kraftwerken im Westen führten dagegen über DDR-Gebiet und waren gefährdet.

Das Motiv rechtfertigte Investitionswellen bis in die neunziger Jahre hinein. Nach Übertragung der Wartung an die Privatwirtschaft 2001 rückten die Stromkonzerne vor und die Politik vom Konsens, Gaslicht zu erhalten, ab. Doch gerade wirtschaftliche Argumente stützen den nur vordergründig energieaufwendigeren Gasbetrieb. Rund 150 Millionen Euro kostet allein die Gesamtbeseitigung, legt man Senatsdaten von 2005 zugrunde – neue gibt es nicht. Wann sich die neuen Leuchten rechnen, bleibt offen.

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