© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Blick in Abgründe des Menschseins
Zur Ausstellung „Schwarze Romantik“ im Städel
Claus-M. Wolfschlag

Mit einer opulenten Großschau zieht derzeit das Frankfurter Städel-Museum die kunstinteressierten Massen an. Es mag der leichte Schauer sein, der einem dort aus manchem Exponat seine kalten Finger entgegenstreckt, oder der Blick in die Abgründe des Lebens, der dazu führt, daß sich junge Mädchen, weißhaarige Kunstkenner im Rentenalter, Männer in Hemden mit Neofolk-Aufdruck und asiatische Touristen gegenseitig auf die Füße treten.

Mehr als 200 Gemälde, Skulpturen, Grafiken und filmische Aufnahmen, die sich der schwarzen Seite der Romantik widmen, wurden in der Mainmetropole zusammengetragen. Vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts erstreckt sich der Reigen an namhaften Künstlern, die sich in Teilen ihres Werkes dem Geheimnisvollen, dem Verstörenden und Umnheimlichen, dem Bösen gewidmet haben.

Dies wird in der Schau und im reich bebilderten Ausstellungskatalog als Reaktion auf die Vernunft, die Französische Revolution und die damals dominante Beschäftigung mit der lichten klassischen Antike interpretiert. Die Romantik halte demnach den düsteren Folgen des aufklärerischen Zeitalters den Spiegel entgegen, kann man diesen Gedanken weiterspinnen.

Die Beschäftigung mit den menschlichen Sünden und den Mächten des Bösen, mit Krankheit und Tod ist jedoch bereits in der christlich motivierten Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit anzutreffen. Die Romantik hob diesen Blick auf die Tragik menschlicher Existenz allerdings auf eine neue, verfeinerte Ebene, in der die Themen der verzehrenden Leidenschaft, der Einsamkeit und Melancholie sowie die Wesen unserer Träume oder Alpträume eine zentrale Stellung erhalten.

Bewußt wurde als Auftakt der Ausstellung eine Reihe von Arbeiten des Schweizers Johann Heinrich Füssli gewählt. Sein Gemälde „Der Nachtmahr“ kann gar als Sinnbild der vorgestellten Kunstströmung dienen: Eine weißhäutige junge Frau, auf ihrer Liege zusammengesunken, auf ihr ein düsterer Dämon sitzend, während ein Gaul mit blinden Augen seinen Kopf durch den Vorhang streckt, um die womöglich Schlafende lüstern zu beobachten. Eine Alptraumszene. Wie wundervoll ergreifend dagegen der Blick in die Landschaft. Einer Bram-Stoker-Szenerie entsprungen könnte die „Schlucht mit Ruinen“ sein, die Carl-Friedrich Lessing 1830 auf die Leinwand bannte, einem Märchen hingegen der zauberhafte „Wald“ von William Degouve de Nuncques aus dem Jahr 1898.

Die Kunstschau „präsentiert die Romantik nicht als eine in sich abgeschlossene Epoche, sondern als eine Geisteshaltung“, erklärt Herausgeber Felix Krämer im Ausstellungskatalog. Insofern geht von der dort gezeigten, in mehreren europäischen Ländern auftretenden Strömung ein bis heute wirkender ästhetischer Einfluß aus. Und damit ist wahrlich nicht gemeint, daß auch über 200 Jahre nach der Hinrichtung der letzten europäischen „Hexe“ Aberglauben existiert, Angst vor schwarzen Katzen oder dem bösen Blick, und der Ausstellungskatalog somit selbstironisch auf die Seite 13 verzichtet.

Stellenweise widmeten sich die Romantiker zwar weiterhin klassischen Sagen, der Medusa, der Sphinx oder dem Mythos von Hero und Leander. Das Interesse lag aber stärker auf den geheimen Facetten der heimischen Landschaft, auf mittelalterlichen Szenen oder Märchenmotiven. Ausführlich widmete sich Eugène Delacroix Shakespeare-Stoffen, Hamlet und Macbeth. Hinzu kam die auch durch Peter von Cornelius aufgegriffene Beschäftigung mit Goethes Faust oder Dantes „Göttlicher Komödie“, von Ary Scheffer eindrucksvoll bearbeitet.

Zahlreiche dämonische Figuren ziehen die Blicke der Besucher in ihren Bann. Füsslis nordischer Gott Thor im Kampf mit der Midgardschlange beispielsweise, ebenso William Blakes „Roter Drache“. Samuel Colman hat gar den Weltuntergang in ein explosives Monumentalbild gebannt, Théodore Géricault hingegen die Sintflut in düstere Farben. Eines der bedrückendsten Bilder dieser Schau ist wohl das Gemälde „Hunger, Wahnsinn und Verbrechen“ von Antoi-ne Joseph Wiertz aus dem Jahr 1853. Mit irrem Blick und entblößter Brust lacht einem die wahnsinnig gewordene Kindsmörderin entgegen. Auf dem Boden ihrer armseligen Behausung ein Mahnbescheid, in ihrer Hand das blutige Messer, im Schoß ein eingewickeltes totes Kleinkind, während ein Kinderbein aus dem nahen Kochtopf lugt.

Die thematische Nähe zu Francisco de Goya liegt nahe, und so zeigen auch viele ausgestellte Grafiken des spanischen Künstlers den Schrecken der napoleonischen Kriegsjahre, Erschießungen, Morde, Vergewaltigung. Man sieht zerstückelte Leiber und das bedrückende Innere eines Irrenhauses. Zudem widmete sich Goya auch phantastischen Motiven, fliegenden Hexen oder nackten Kannibalen beim Zerlegen ihrer Beute.

In einer Ausstellung zur Romantik darf Caspar David Friedrich natürlich nicht fehlen, dessen Szenerien verfallener Ruinen und verwaister Friedhöfe zahlreichen Zeitgenossen und Nachfolgern als Anregung gedient haben, beispielsweise Ernst Ferdinand Oehme mit seiner gespenstischen „Prozession im Nebel“.

Zudem wird die Romantik auch in Odilon Redons Porträts der reinen Innerlichkeit und den spiritistischen Frauenbildnissen Albert von Kellers und Gabriel von Max’ ausgemacht. Somit bezieht die Schau auch den Symbolismus der Jahrhundertwende ein, Gustave Moreau, Franz von Stuck, Max Klinger begegnen dem Kunstfreund, ebenso Oskar Zwintscher, der 1898 den „Gram“ eindringlich als Stein auf der Seele des Trauernden zu versinnbildlichen verstand. James Ensors gemalte Fratzen und Edvard Munchs schemenhafte Personen weisen bereits den Weg in die Moderne, die dann auch mit einigen Arbeiten des Surrealismus von Salvador Dalí, Paul Klee und Max Ernst an das Ende der Präsentation gesetzt wurde.

Die Ausstellung „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“ ist bis zum 20. Januar im Städel-Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. und Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 069 / 60 50 98-0

Der im Hatje Cantz Verlag erschienene Katalog zeigt 360 Abbildungen auf 304 Seiten und kostet im Museum 34,90 Euro. www.staedelmuseum.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen