© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die letzte Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach zum Thema Islambild wird mit einem merkwürdigen Alarmismus präsentiert. Die nackten Zahlen – 83 Prozent verbinden Islam mit Benachteiligung der Frau, 70 Prozent mit Fanatismus und Radikalität, 68 Prozent mit Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, 64 Prozent mit Gewaltbereitschaft – deutet nun auch Allensbach als Beweis für tradierte Feindbilder und Vorurteile. Eher sollte man davon sprechen, daß sich trotz eines gewachsenen muslimischen Bevölkerungsteils (der von der Befragung sicher nicht ausgeschlossen war) und trotz Dauerpropaganda eine erhebliche Zahl ihren gesunden Menschenverstand bewahrt hat.

„Nur die Paranoiden werden überleben.“ (Harold Finch)

Bildungsbericht in loser Folge XXXI: Etwas, das die Debatte über das heutige Schul- und Hochschulsystem von früheren unterscheidet, ist der Jargon. Der wird einerseits von Marketingformeln geprägt, andererseits von Begriffen aus der Managementtheorie. Daher rührt die Fixierung auf „Standards“ und „Rankings“ und der felsenfeste Glaube an die Aussagekraft von „Evaluationen“. Und während man sich anschickt, all dem gegen letzte Reste an Widerstand zur Geltung zu verhelfen, hat in den Vereinigten Staaten, wo auch diese pädagogische Mode ihren Ursprung hat, schon der Katzenjammer eingesetzt. Diane Ravitch, die in der Ära Bush senior ganz wesentlich an der Reorganisation der Schulen nach den neuen Prinzipien beteiligt war, hat öffentlich abgeschworen und erklärt, daß die Übertragung von Methoden aus dem Wirtschaftsleben nicht nur nicht zu den erwünschten, sondern zu ausgesprochen unerwünschten Ergebnissen geführt habe. Tatsächlich sei keine Verbesserung, sondern eine eklatante Verschlechterung der Gesamtsituation eingetreten. Und dabei nimmt sie noch gar keinen Bezug auf jenen Skandal, der seit 2010 das amerikanische Bildungssystem erschüttert: Unter dem Druck der Statistik wurden Lehrer genötigt, nicht nur unangemessen gute Noten zu geben, sondern gleich die Arbeiten der Schüler „nachzubessern“, damit ihre Schule sich auf den zahllosen Vergleichslisten richtig plazieren konnte und das Dogma des „No child left behind“ wenigstens zum Schein erfüllt wurde.

Der Unterschied zwischen der Dekadenzklage der Vergangenheit und unserer liegt darin, daß wir Grund haben.

Richard Herzinger befaßt sich neuerdings mit Religion, und man ist ihm fast dankbar für die Offenherzigkeit, mit der er schreibt. Keine Zugeständnisse an irgendwelche Sentimentalitäten oder die Ring-Parabel oder die seelische Notwendigkeit eines Zivilglaubens. Für Herzinger ist die Religion überlebt, darf bestenfalls als dekoratives Element dienen und auch das nur dann, wenn sie ihren Absolutheitsanspruch aufgibt. Soweit würden ihm die meisten anderen Rationalisten wohl folgen, überraschend – jedenfalls überraschend für den deutschen Leser – ist dann allerdings das Bekenntnis zur Freimaurerei als einem Modell, in dem Herzingers Ideal schon verwirklicht ist, die religiösen Sentiments zwar eingebunden, aber einer ganz vernünftigen Weltsicht untergeordnet werden. Daher rührt auch der triumphale Ton, mit dem Herzinger die Toleranz der modernen Staaten und deren ethisches Fundament zum Ergebnis maurerischer Anstrengung erklärt. Man kann darin natürlich – und das wäre ganz nach Herzingers Geschmack – die logische Konsequenz deutscher Verwestlichung sehen, aber man kann auch von einer gefährlichen Unverfrorenheit sprechen. Gefährlich deshalb, weil bisher nur auf seiten der „Gegenmaurer“ behauptet wurde, daß alles, was mit Demokratie, Liberalismus und Sozialismus zu tun hat, von der Gründung der USA und der Französischen Revolution bis zur Schaffung der Uno, irgendwie auf den Einfluß eines allmächtigen Geheimbundes zurückgehe.

Die wiederkehrende Klage über den Frauenmangel in Führungspositionen ist immer verknüpft mit dem Wunsch nach einem – letztlich totalitären – Durchgriff auf die Gesellschaft, die gezwungen werden soll, sich Verhaltensmustern anzupassen, die sie ablehnt. Nichts scheint die Sozialingenieure abhalten zu können, ihr Ziel zu verfolgen. Dabei müßte ein Blick auf die öffentliche Verwaltung, also jenen Sektor, der ganz unter der Kontrolle des Staates steht und der die Quotierung seit Jahren praktiziert, genügen, um zu ernüchtern. Mag es in der Wirtschaft einen erheblichen Teil begabter und befähigter Frauen geben, die Spitzenpositionen ablehnen, so ist das unter den Sonderbedingungen der Administration ganz bestimmt nicht der Fall. Vielmehr hat die positive Diskriminierung in ganzen Bereichen zu einer faktischen Feminisierung geführt. Die Frage der Gleichbehandlung der Männer beiseite gelassen, sollte man ganz einfach prüfen, ob das den betroffenen Bereichen gut bekommen ist oder nicht.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 18. Januar in der JF-Ausgabe 4/13.

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