© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Quell des Lebens
Kampf um ein Viertelprozent: Die Uno hat 2013 zum „Jahr des Wassers“ ausgerufen
Robert Backhaus

Die Uno hat das Jahr 2013 zum „Jahr der Zusammenarbeit im Bereich Wasser“ erklärt, und zwar auf Vorschlag der kleinen mittelasiatischen Republik Tadschikistan, einer ehemaligen Sowjetrepublik am Rande des gewaltigen Pamirgebirges, des „Dachs der Welt“, wie man allgemein sagt. Die Tadschiken sind in den letzten Jahren von den sie umgebenden Staaten immer wieder als „Wassersünder“ angeklagt worden und wollen den Fall nun endlich einmal auf höchster internationaler Ebene geklärt wissen.

Im Gegensatz zu seinen Nachbarn (Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan, Nord-Afghanistan) liegt Tadschikistan nicht in hypertrockenen Wüstengebieten, besteht nicht nur aus Oasen, die mühsam bewässert werden müssen, um Frucht und Überleben zu ermöglichen. Das Land wird gespeist von zahlreichen Flüssen, die vom Pamir herabstürzen, und es will nun bei der Ortschaft Rogun einen riesigen Staudamm errichten, um die Wassermassen zur Erzeugung von Elektrizität zu nutzen. Aber seine Nachbarn in der Wüste laufen dagegen Sturm und haben bereits mit „ernsten Konsequenzen“ gedroht.

Man beschuldigt die tadschikische Regierung, sich zum Herrn über die Wasserversorgung ganz Mittelasiens aufschwingen zu wollen. Der tadschikische Präsident Raschmon wehrt sich dagegen und verweist auf die „reale Lage“. Sein eigenes Land, erklärt er, verfüge außer dem Wasser über faktisch keinerlei andere Rohstoffe. Unter den Böden der durstigen Wüstenstaaten hingegen erstreckten sich ungeheure Erdölfelder, deren bevorstehende Erschließung Länder wie Usbekistan oder Turkmenistan mit zu den reichsten der Welt machen werde.

„Wir erheben keinerlei Anspruch auf ein Monopol für die Nutzung regionaler Wasservorräte“, so Raschmon in einem Interview mit der ägyptischen Zeitung Al-Watan, „wir verlangen von unseren Nachbarn lediglich, daß sie verstehen, in welcher Lage sich Tadschikistan befindet. Wir haben keine Vorräte an Erdöl und Erdgas, und in jeder Wintersaison haben wir schwierige Probleme wegen eines Strom- und Wärmedefizits. Der einzige Ausweg ist der Bau von großen Wasserkraftwerken an unseren Binnenflüssen.“

„Wasser für Erdöl, Erdöl für Wasser“ – das ist also das große Thema, mit dem sich die Menschheit nach dem Willen der Uno im neuen Jahr bevorzugt beschäftigen soll. Es wirkt dies ein wenig eingeschränkt, allzu exklusiv bezogen auf gewisse Einzelregionen. Denn das Problem „Wasser“ ist viel umfänglicher, als es die aktuellen politischen Differenzen zwischen Tadschikistan und Usbekistan oder etwa auch zwischen der Türkei und dem Irak nahelegen könnten. Weltweit geht es derzeit gar nicht um Wasser überhaupt, sondern um „reines Wasser“.

Tagtäglich sterben auf der Welt, wie die Uno schon früher mitteilte, in Ländern der heißen Zonen mindestens viertausend Kinder an künstlich verschmutztem Trinkwasser. Über siebzig Prozent aller Fäkalien würden dort völlig ungefiltert in Flüsse und Seen eingeleitet. Immer mehr trinkbares Wasser verschmutze so und könne nicht ersetzt werden. Denn die Süßwasservorräte auf der Welt seien eng begrenzt und eine feste, unveränderbare Größe.

Tatsächlich besteht die Erdoberfläche zwar zu 75 Prozent aus Wasser, aber es ist Salzwasser; nur ein einziges Prozent ist trinkbares Süßwasser. Und von diesem einen Prozent ist die Hälfte in Arktis und Antarktis festgefroren, so daß für den Kreislauf des Lebens nur ein halbes Prozent übrigbleibt. Dieses halbe Prozent muß sich der Mensch teilen mit der übrigen Kreatur, allenfalls 0,25 Prozent bleiben exklusiv für ihn übrig.

Und ein beträchtlicher Teil dieser 0,25 Prozent wird schon vor Gebrauch aus Unachtsamkeit verschüttet, tritt aus defekten oder schlecht gebauten Leitungssystemen aus, der Rest wird „verbraucht“, also fäkalisiert oder durch die Abwässer veralteter und schlecht gewarteter Industrien vergiftet. Reinigung verdorbenen Wassers oder Gewinnung von Süß- aus Salzwasser sind teuer und erfordern vielerorts Technologien, die ihrerseits einen hohen Süßwasserverbrauch haben. Das verdorbene Wasser sickert ins Grundwasser ein und beginnt, auch diesen einzigen „Süßwasservorrat“, den wir haben, zu vergiften.

Es wird nicht möglich sein, den Süßwasseranteil dramatisch zu steigern, so wie es angesichts der rapide wachsenden Weltbevölkerung an sich notwendig wäre. Und natürlich kann es auch keinen „Ersatz“ für Wasser geben. Erdöl wird eines Tages durch „alternative“ Energieträger ersetzt werden, Wasser jedoch ist nicht zu ersetzen, es ist das Lebenselement par excellence.

Politikbeobachter sagen denn auch für eine gar nicht ferne Zukunft erbitterte soziale und nationale Auseinandersetzungen, ja regelrechte Kriege um die Zugänge zum reinen Wasser voraus; insofern vermitteln die Vorgänge in Mittelasien wohl einen Vorgeschmack dessen, was uns bevorsteht. Als Gegenmittel regt die Uno in ihrer offiziellen Verlaubarung zum „Jahr des Wassers“ die Schaffung eines „Netzwerkes unterschiedlichster Kooperationen“ an; zum Beispiel sollen alle Anrainer an Flußläufen über Staatsgrenzen hinweg „die Landwirtschaft eng mit der Wasserversorgung verknüpfen“. Das Ganze wirkt für den Leser wie das sprichwörtliche Pfeifen im Wald.

Inzwischen erregt ein neuartiges wasserwirtschaftliches Phänomen die Ökologen, von dem die Uno noch gar nichts mitbekommen zu haben scheint: der (angebliche oder wirkliche) Skandal um das Flaschenwasser „Pure Life“. Ein führender internationaler Lebensmittelkonzern hat es speziell für die heißen, in der Regel mit unreinem Wasser geschlagenen Länder auf den Markt gebracht, und der Erfolg ist gewaltig, die Rendite stieg in schwindelnde Höhen.

Das Erfolgsrezept bestand darin, daß man die öffentlichen Infrastrukturen in den betreffenden Zonen, die schlechten Wasserleitungen in den Städten, die primitiven Wassersammelstellen in den Dörfern einfach ignorierte, mit Genehmigung korrupter lokaler Politiker selber an die Quellen ging und das dortige Wasser nach westlichen Standards abschöpfte, chemisch behandelte und abfüllte. Das ging bis vor kurzem gut, doch inzwischen hat sich – nach Auskunft der Ökologen – herausgestellt, daß die „autochthonen Strukturen“ insbesondere des dörflichen Lebens durch die Präsenz von „Pure Life“ regelrecht zerstört werden. Die Menschen sind aufgewühlt. In Brasilien hat es bereits die ersten Aufstände dagegen gegeben.

Man kann eben offenbar nur eins haben: entweder reines Wasser – oder die alte Romantik am Brunnen vor dem Tore. Daran wird auch das „Internationale Jahr der Zusammenarbeit im Bereich Wasser“ nichts ändern können.

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