© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Unwiderrufliche Verluste
Euro-Krise: Gigantische Umverteilung durch die elektronische Notenpresse / Die Alternativpolitik wäre ein klarer Schuldenschnitt
Thorsten Polleit

Die inflationsbereinigte Rendite der Bundesanleihen ist mittlerweile negativ – und zwar ungefähr minus ein Prozent pro Jahr –, weil die Teuerungsrate im Euro-Raum über dem Nominalzins liegt. Wer hingegen italienische Staatsanleihen kauft, verdient einen positiven Realzins von immerhin etwa 2,5 Prozent pro Jahr. Wie kommt es zu dieser Entwicklung?

Der Euro-Zerfallsprozeß hat dazu geführt, daß eine „Flucht“ in vermeintlich sichere deutsche Staatsanleihen eingesetzt hat – zu Lasten von italienischen, spanischen oder portugiesischen Papieren. Dies hat die Nominalzinsen der Bundesanleihen deutlich abgesenkt und gleichzeitig die für „Peripherie-Anleihen“ stark ansteigen lassen. Investoren sind derzeit sogar bereit, für vermeintliche Sicherheit „draufzulegen“ – daher die negative Realverzinsung für Bundesanleihen. Gleichzeitig wollen Investoren Anleihen von strauchelnden Staaten nur noch dann halten, wenn sie dafür einen entsprechend hohen Zins erhalten.

Weil aber bekanntlich steigende Zinsen politisch unerwünscht sind, hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) begonnen, auf den Zinsmärkten zu intervenieren. Er manipuliert die Renditen für Anleihen strauchelnder Schuldner und dadurch letztlich auch das gesamte Euro-Zinsniveau auf künstlich tiefe Niveaus. Diese Politik führt dazu, daß Sparer, die Bundesanleihen halten, zugunsten von Anlegern, die „Peripherie“-Anleihen halten, enteignet werden. Dabei werden deutsche wie auch ausländische Sparer zur Ader gelassen, schließlich wird mehr als die Hälfte der deutschen Staatsschuld inzwischen vom Ausland gehalten. Zu dieser politisch motivierten Umverteilung als Folge der EZB-Zinsmarktmanipulation gesellt sich noch die Umverteilung durch die „Target-2-Mechanik“ hinzu. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat die Problematik in seinem Buch „Die Target-Falle“ anschaulich geschildert (JF 44/12). Im Euro-Raum gibt es Länder, die einen positiven Target-2-Saldo ausweisen (wie Deutschland, Niederlande, Luxemburg, Finnland), und Länder mit einem negativen Target-2-Saldo (Griechenland, Spanien, Portugal, Italien). Daß es Länder mit einem mittlerweile chronisch positiven Target-2-Saldo gibt (Deutschlands Saldo belief sich im Oktober 2012 auf mehr als 719 Milliarden Euro), denen Länder mit einem chronisch negativen Target-2-Saldo gegenüberstehen, zeigt untrüglich, daß der EZB-Rat immer mehr neues Geld zugunsten von Ländern in Umlauf bringt, die einen negativen Target-2-Saldo ausweisen.

Letztere können so faule Papiere an die EZB abgeben und erhalten dafür neues Geld – mit dem sie dann Vermögensbestände in anderen Ländern kaufen können (wie zum Beispiel Wertpapiere, Häuser und Grundstücke) –, was ihnen ohne die Geldmengenausweitung durch den EZB-Rat natürlich gar nicht möglich wäre. Die Target-2-Mechanik bedeutet damit eine Vermögensumverteilung zu Lasten der Bürger in den Ländern, die einen positiven Target-2-Saldo aufweisen, zugunsten der Länder, die einen negativen Target-2-Saldo aufweisen. Die vom EZB-Rat auf diese Weise finanzierte Umverteilung ist übrigens unwiderruflich. Sie wird nämlich selbst dann nicht ungeschehen gemacht, wenn sich – was höchst unwahrscheinlich erscheint – die Target-2-Salden einmal ausgleichen sollten. Im Falle eines Auseinanderbrechens des Euro kämen auf die Länder, die einen positiven Target-2-Saldo haben, vermutlich sogar noch weitere erhebliche Verluste zu. Deutschlands Target-2-Saldo etwa beläuft sich derzeit auf rund 27 Prozent des Volkseinkommens – ein Verlust, der vom deutschen Steuerzahler zu tragen wäre.

Es gäbe all diese Umverteilungen zwischen den Euro-Nationen nicht, wenn der EZB-Rat nicht Pleiten von Staaten und Banken mit dem Anwerfen der elektronischen Notenpresse abwehren würde. Die Alternativpolitik wäre ein Schuldenschnitt: Investoren, die fahrlässig Kredite an unsolide Schuldner vergeben haben, müßten entsprechend Verluste einstecken. Schuldnern, die mit mißgewirtschaftet haben, würden die Kapitalmärkte den Geldhahn so lange abdrehen, bis sie ihre Finanzen wieder auf solide Füße gestellt haben.

Daß es die Target-2-Salden gibt, die vermutlich noch größere Ausmaße annehmen werden, und daß die Ersparnisse im Zuge einer Politik des negativen Realzinses entwertet werden, ist der Preis für eine Politik, die zum Ziel hat, den Euro zu erhalten – und zwar, koste es, was es wolle. Dieser Preis dürfte aber letztlich so hoch ausfallen, daß er die Fliehkräfte zur europäischen Desintegration erst richtig in Gang setzt.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom von Degussa Goldhandel und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland. www.thorsten-polleit.com

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