© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Irreparable Kratzer
Planungschaos: Das Desaster um den Großflughafen BER wirkt weit über die Grenzen von Berlin und Brandenburg hinaus
Ronald Berthold

Es gibt keinen Länderchef, der bei seinem Wahlvolk so unbeliebt ist wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Nur noch 30 Prozent der Hauptstädter sind mit ihm zufrieden. Selbst die SPD-Wähler halten ihren Spitzenmann mehrheitlich für eine Pfeife. Das bedeutet Platz 13 auf der Beliebtheitsskala der Berliner Provinzpolitiker. Grund genug für das Berliner Stadtmagazin Tip, den „Regierenden“ sogar zum peinlichsten Berliner 2012 zu wählen. Der Absturz des Sozialdemokraten vom lange Zeit mit Abstand populärsten Politiker in der deutschen Kapitale ist eng verbunden mit dem Chaos um den Großflughafen BER. Der Airport wird am südlichen Stadtrand Berlins gebaut und hat sich zu einer Blamage ohne gleichen entwickelt.

Wowereit tat alles dafür, Aufsichtsratschef bei diesem vermeintlich prestigeträchtigsten Bauprojekt Deutschlands zu werden. Rechtzeitig zur Nominierung des Kanzlerkandidaten seiner Partei wollte er sich mit dem laut Eigenwerbung „modernsten Flughafen Europas“ schmücken können. Doch dieses Kalkül ging gehörig nach hinten los. Der Flughafen ohne Flugzeuge erzählt inzwischen eine Geschichte von selbst verschuldeten Pleiten, hart erarbeitetem Pech und peinlichen Pannen. Die Eröffnung des Milliardenprojektes mußte in den mehr als 20 Jahren seiner Planung so oft verschoben werden, daß inzwischen sogar die Frage auftauchte, ob er überhaupt jemals eröffnet werden kann.

Neuster offizieller Termin für die Inbetriebnahme ist nun der 27. Oktober 2013, nachdem es kurz zuvor noch der März desselben Jahres gewesen ist. Doch wer glaubt noch tatsächlich daran? Die Flughafengesellschaft wohl selbst nicht. Denn sie baut inzwischen ihren Standort in Tegel weiter aus. Der übersichtliche und wegen seiner kurzen Wege bei den Passagieren beliebte Flughafen im Norden Berlins platzt aus allen Nähten.

Wenn es bei Oktober für die BER-Eröffnung bliebe, wäre diese Enge durchaus noch weitere zehn Monate auszuhalten. Ironie der Geschichte: Nach den Planungen Wowereits wäre Tegel bereits im Oktober des abgelaufenen Jahres geschlossen worden. Gut, daß hier geschlampt oder vielleicht sogar absichtlich ein entscheidender Schritt vergessen worden ist. Denn die Betriebsgenehmigung hatte die Politik dem Flughafen nicht entzogen – anders beim traditionsreichen Tempelhof. Dessen Schließung erweist sich nun als Riesenfehler: Wie sehr könnte Berlin doch jetzt seinen guten alten Zentralflughafen gebrauchen. Gegen den Willen einer großen Mehrheit der Berliner hatte Wowereit Tempelhof 2008 nach 85 Jahren schließen lassen.

Nicht nur das Image Deutschlands als innovatives Ingenieursland erhält durch das BER-Desaster irreparable Kratzer. Auch der Schaden für den Steuerzahler ist enorm. Von bis zu 2,5 Milliarden Euro Mehrkosten ist inzwischen die Rede. Doch ob es tatsächlich bei dieser astronomischen Summe bleibt, ist genauso ungewiß wie der Eröffnungstermin.

Sicher dagegen scheint, daß der Flughafen noch vor seiner Eröffnung die Gerichte beschäftigen wird. Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft Air Berlin klagt wegen der permanenten Verschiebungen auf Schadenersatz. Airline-Chef Hartmut Mehdorn macht für horrende Einnahmeausfälle seines Unternehmens die falschen Terminangaben verantwortlich. Umgekehrt verklagt die Flughafengesellschaft Star-Architekt Meinhard von Gerkan. Den 77jährigen haben die Airport-Verantwortlichen als Sündenbock für das mangelhafte Brandschutzsystem ausgemacht.

Angeblich liegen die Verzögerungen am Brandschutzsystem, das die Planer einfach nicht in den Griff bekommen. Dabei gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt Vorbilder, an denen man sich orientieren könnte. Es ist ja nicht so, daß Berlin die erste Stadt auf dem Globus wäre, die einen Flughafen baut, der gegen Feuer und ein Ausbreiten der Flammen und giftigen Rauches geschützt werden müßte.

Selbst in Bananenrepubliken wären die Verantwortlichen für ein solches Chaos längst in die Wüste geschickt worden. Doch in der deutschen Hauptstadt dürfen fast alle Versager weiterwurschteln. Der Aufsichtsratsvorsitzende und Regierende Bürgermeister macht weiter. Auch der Sprecher der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft, Rainer Schwarz, bleibt im Amt und wird vielleicht weiter seinen gutdotierten Nebentätigkeiten als Dozent an der Technischen Hochschule im brandenburgischen Wildau nachgehen. Schließlich gibt es im Leben des Mannes, der sich so gern mit „Herr Professor“ anreden läßt, ja nicht nur den Flughafen. Zwischen Schwarz und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ist das Tischtuch mittlerweile endgültig zerschnitten: „Ich habe kein Vertrauen mehr in ihn“, sagte der CSU-Politiker kurz vor Weihnachten. Der Bund ist mit 26 Prozent an dem Flughafen beteiligt.

Schwarz’ Planungschef Manfred Körtgen nahm seinen Job derart ernst, daß er sich während der vergangenen Jahre, in denen so viel schieflief, offenbar ebenfalls nicht völlig ausgelastet fühlte. Der Chefplaner, der im vergangenen Jahr für diese zweifelhafte Tätigkeit 281.000 Euro einheimste, schrieb nebenbei seine Doktorarbeit, die er 2010 publizierte. Wenn Körtgen bei der Promotion genauso akribisch gearbeitet hat wie an seinem Schreibtisch der Flughafengesellschaft, dann sollten sich die Plagiatsjäger seine Dissertation vielleicht einmal vorknöpfen. Körtgens Kopf ist übrigens der einzige, der in der Affäre bisher rollte. Aber der 60jährige fiel weich, er kassierte eine Abfindung in sechsstelliger Höhe.

„Think big“ war offenbar nicht Körtgens Motto – und auch nicht das der politisch verantwortlichen Planer. Denn ein aktuelles Gutachten bescheinigt dem BER auch noch, viel zu klein konzipiert worden zu sein. Zu wenige Abfertigungsschalter und Gepäckausgabebänder würden für lange Schlangen und Wartezeiten sorgen, hat der frühere Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa in seiner Studie festgestellt. Sein Fazit: „Zu spät, zu klein, zu teuer.“ Von wegen „modernster Flughafen Europas“. Zu allem Unglück kommt jetzt auch ein erfolgreiches Volksbegehren der brandenburgischen Anwohner dazu. Sie sammelten so viele Unterschriften, daß sich der Landtag in Potsdam mit einem generellen Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr beschäftigen muß. Die Reaktion des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) war genauso provinziell wie alles andere, was bisher rund um den Flughafen ohne Flugzeuge geschah. Der Sozialdemokrat forderte einfach ein Nachtflugverbot für alle anderen deutschen Airports.

 

Flughafen Berlin-Brandenburg

Der Großflughafen Berlin-Brandenburg (BER) sollte ursprünglich am 3. Juni 2012 eröffnet werden. Die Inbetriebnahme mußte jedoch kurzfristig wegen Mängeln beim Brandschutz verschoben werden.

Die Bundesländer Berlin und Brandenburg sind an dem Projekt mit jeweils 37 Prozent, der Bund mit 26 Prozent beteiligt. Baubeginn für den Flughafen, der offiziell den Namen „Willy Brandt“ trägt, war im September 2006. Mit den Planungen für ein Drehkreuz in Berlin war bereits unmittelbar nach der Wiedervereinigung begonnen worden. Das Genehmigungsverfahren für den Bau beinhaltet die Schließung der bestehenden Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof.

Experten gehen davon aus, daß der für 27 Millionen Passagiere im Jahr ausgelegte Flughafen bereits bei seiner Eröffnung an die Kapazitätsgrenze gelangen wird. Die Planungen sehen allerdings die Möglichkeit vor, den Flughafen auf eine Kapazität von bis zu 50 Millionen Fluggästen jährlich zu erweitern.

Foto: Der Flughafen Berlin-Brandenburg aus der Luft: Noch vor der Eröffnung warnen Experten vor langen Schlangen und Wartezeiten

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