© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

„Ein Bedürfnis nach Heimat“
Wer sagt, es gäbe keine guten Nachrichten mehr? In Frankfurt am Main haben die Bürger den Wiederaufbau eines Teils ihrer verlorenen historischen Altstadt durchgesetzt. Ein berührendes und beispielhaftes Projekt, das 2013 Wirklichkeit werden soll.
Moritz Schwarz

Herr Brummermann, für viele ist das, was Sie in Frankfurt am Main planen, ein Traum.

Brummermann: Wir sind wirklich stolz darauf, daß Frankfurt dazu den Mut hat, denn mir ist kein vergleichbares Projekt dieser Größenordnung in Deutschland bekannt. Wenn prächtige Patrizierbauten, wie die „Goldene Waage“ oder historische Häuser wie „Junger Esslinger“, beziehungsweise „Tante Melber“ oder das „Goldene Lämmchen“ wiedererstehen, von denen man glaubte, daß sie für immer verloren seien, dann berührt das viele Bürger sehr emotional. Schließlich wurde die Stadt im Krieg stark zerstört und danach im Stil der Nachkriegsmoderne wiederaufgebaut. Die historische Altstadt, die größte zusammenhängende gotische Altstadt in Deutschland übrigens, gab es damit plötzlich nicht mehr.

Rekonstruiert werden sollen aber nur fünfzehn Häuser, nicht die gesamte Altstadt.

Brummermann: Richtig, aber das etwa fußballplatzgroße Areal zwischen dem Frankfurter Dom und dem Römer – dem Rathausplatz –, war historisch gesehen das Herz der Altstadt, das übrigens schon in der Steinzeit besiedelt war. Später schritten hier, auf dem sogenannten Krönungsweg, der nun ebenfalls wiedererstehen wird, die deutschen Kaiser nach ihrer Krönung im Dom zum Römer. Bis zur Zerstörung 1944 gehörte dieses Viertel zu den lebendigsten der Stadt. Nach dem Krieg wurde das Areal abgeräumt und Anfang der siebziger Jahre dort das Technische Rathaus errichtet.

Ein monolithischer Koloß im Stil des Beton-Brutalismus.

Brummermann: Der zeitgemäß war, an dem sich aber von Beginn an die Geister schieden und der eben städtisches Wohnen aus diesem Gebiet verdrängte.

Ein Fehler, der viele deutsche Städte bis heute prägt.

Brummermann: Deshalb soll in Frankfurt die historisch orientierte Bebauung das Leben zurückbringen, das in diesem Quartier einst geherrscht hat.

In Stuttgart haben die Bürger im letzten Jahr für den Teilabriß ihres historischen Bahnhofs – ein baugeschichtliches Kleinod –, zugunsten eines Glas-Beton-Neubaus gestimmt. In Frankfurt setzen die Bürger dagegen einen historischen Wiederaufbau durch. Wie erklärt sich das?

Brummermann: Zu Stuttgart kann ich Ihnen nichts sagen, aber auf jeden Fall hat Frankfurt eine sehr selbstbewußte Bürgerschaft, und die Diskussion um die Altstadt wurde schon früher mit großer Leidenschaft geführt, denn bis heute ist sie vielen Frankfurtern in liebevoller Erinnerung. Ich glaube, dieses Interesse an der historischen Altstadt hat auch etwas mit dem Wunsch nach Identität zu tun. Als sich nun, mit der Aufgabe des Technischen Rathauses die Möglichkeit eröffnete, daß sich in dieser Hinsicht etwas tut, hat das sofort Emotionen ausgelöst.

Dabei dachte man zuerst darüber nach, den Betonklotz zu erhalten.

Brummermann: Das mobilisierte die Bürger, die forderten, wenn schon die Möglichkeit besteht, ein ganzes Quartier im Herzen der Stadt neu zu nutzen, dann bitte so, daß eine städtebauliche Fehlentwicklung geheilt wird. Die Stadt hat dann eine Ideenwerkstatt eingerichtet, an der sich die Bürger beteiligen konnten.

Das begann 2006, also lange vor den großen Stuttgart-21-Protesten, seit denen Bürgerbeteiligung ja in aller Munde ist. Damals war das jedoch noch nicht der Fall.

Brummermann: Das stimmt, aber Frankfurt hat wie gesagt eine selbstbewußte und das heißt auch engagierte Bürgerschaft. In der Tat war das Projekt in puncto Bürgerbeteiligung eine der ersten Unternehmungen in dieser Größenordnung, bei dem die Bürger maßgeblich mitsprechen konnten.

Für den bei der Mehrheit der Bürger schon immer beliebten historischen Baustil, haben – geht es um Neubauten – Politiker und Architekten traditionell nur Spott und Verachtung übrig. Woher plötzlich der Sinneswandel, auf die Bürger zu hören?

Brummermann: Das würde ich so nicht sehen. Wenn der Bürgerwille stark genug war, dann gab es das in Frankfurt auch früher schon, denken Sie an den Wiederaufbau der Alten Oper, den damals der Bürgerwille errungen hat. Anders war diesmal allerdings, daß das Projekt nicht erst nachträglich durch den Protest der Bürger entsprechend geändert wurde, sondern diese erstmals bei einem so großen Unternehmen von Beginn an einbezogen waren. Das zeigt, daß es hier ein Umdenken gibt.

Wenn aber dieser Wunsch schon immer bestanden hat, warum konnte er sich meist nicht durchsetzen?

Brummermann: Das muß man aus dem Geist der Zeit sehen. Nach dem Krieg sollten Städte vor allem autogerecht sein, es mußte schnell günstiger Wohnraum geschaffen werden, und selbst die Bewahrer setzten sich in Frankfurt nicht für einen flächendeckenden historischen Wiederaufbau ein, sondern vor allem den Erhalt des alten Straßennetzes mit einer kleinteiligen Neubebauung sowie den Wiederaufbau einiger ausgewählter bedeutender Gebäude. So wurde zwar manches Baudenkmal, wie das Goethe-Haus, die Paulskirche, der Dom oder Römer wiedererrichtet, aber der größte Teil der Altstadt im Geist der Zeit neubebaut, wie eben etwa der historische Hühnermarkt mit dem Technischen Rathaus. Nach dessen Abriß entstehen hier, angelehnt an den historischen Grundriß, 35 Häuser neu, zum Teil originalgetreu rekonstruiert. Die historischen Gassen und Plätze werden dabei weitgehend wiederhergestellt.

Nur 15 der 35 neuen Gebäude werden tatsächlich historisch rekonstruiert. Warum?

Brummermann: Zum einen existiert nicht für alle Häuser eine ausreichende Dokumentation oder die Originalparzellen können wegen der veränderten Nachbarbebauung nicht mehr hergestellt werden. Zum anderen ist es auch eine Frage des Geldes, immerhin kostet eine Rekonstruktion nicht unwesentlich mehr als ein Neubau. Die Stadt übernimmt die Rekonstruktion von acht Häusern, die übrigen werden privat gebaut. Unter diesen haben sich die Bauherren von sieben weiteren dazu bereit erklärt, ebenfalls zu rekonstruieren. In jedem Fall aber ist das ein großartiger Erfolg, denn damit entsteht ein geschlossenes Ensemble.

Was ist mit den übrigen zwanzig Häusern?

Brummermann: Für die gibt es eine Gestaltungssatzung, die vorschreibt, daß sich die Neubauten äußerlich an den historischen Bauten orientieren.

Was bedeutet?

Brummermann: Daß sie zwar modern gebaut, aber nur klassische Materialien wie Stein oder Holz eingesetzt werden dürfen, es wird dort also weder Stahl noch Beton geben; ebenso keine Flachdächer, sondern geneigte Dächer mit Schieferdeckung, außerdem Lochfassaden statt etwa Glasfronten. Und die Neubauten müssen die Traufhöhe einhalten, verputzt sein und sie müssen die für Frankfurt üblichen Sockel aus rotem Sandstein haben. Somit werden auch die neuen Teile des Areals dazu beitragen, ein harmonisches Quartier zu schaffen.

Die Gretchenfrage: Was ist eigentlich genau unter „Rekonstruktion“ zu verstehen?

Brummermann: In der Tat, eine heikle Frage, denn unter Rekonstruktion versteht die Fachwelt genaugenommen, etwas genau so wieder aufzubauen, wie es einmal war. In unserem Fall – es handelt sich um Gebäude aus dem 15. bis 19. Jahrhundert – würde das heißen, ohne Wasseranschluß, Haustechnik, aber mit Kohleofen. In unseren Häusern sollen jedoch Menschen wohnen, deshalb können wir auf einige moderne, zum Teil gesetzliche Komponenten, wie Wärmedämmung und Brandschutz, nicht verzichten. So sprechen wir genaugenommen auch nicht von Rekonstruktionen im Sinne der Fachleute, sondern von „schöpferischen Nachbauten“.

Da wären wir bei dem bei „kritischen“ Architekten beliebten „Disneyland“-Vorwurf.

Brummermann: Der hier nicht zutrifft.

Weil?

Brummermann: Weil unsere Nachbauten nicht nur so aussehen, wie ihre Vorbilder, sondern auch so gebaut sein werden! Also, keine Betonklötze, denen eine historische Fassade vorgeblendet wird, sondern sie werden gemäß den Vorbildern gebaut, als echte Fachwerkhäuser, mit allen Nachteilen, die man vielleicht heute so nicht mehr bauen würde.

Zum Beispiel?

Brummermann: Manche Häuser haben etwa einen aus heutiger Sicht sehr schmalen Eingang. Dennoch wird er so gebaut, wie er war. Mit dieser Originaltreue ist der „Disneyland“-Vorwurf entkräftet – und wird inzwischen auch nicht mehr erhoben.

Noch schärfer ist der Vorwurf der Architektenzunft, solches Bauen sei geschichtsvergessen, ja reaktionär.

Brummermann: Solche Diskussionen sind uns natürlich bekannt, allerdings haben sich in Frankfurt fast alle Seiten inzwischen mit dem Projekt arrangiert.

Wie entgehen Sie denn dem Vorwurf?

Brummermann: Die Stadt Frankfurt hat das Projekt beschlossen, und die Bürger stehen dahinter, auch die kritischen Architekten haben mit dieser Tatsache inzwischen ihren Frieden geschlossen. Man kann nicht sagen, daß die Rekonstruktion historischer Gebäude per se reaktionär sei. Gerade in Städten, in denen sehr wenig Historisches erhalten ist, können Rekonstruktionen Wunden schließen und auch Geschichte vermitteln.

Das Heilen geschlagener Wunden verkleistert die Brüche und klittert die Geschichte, so der Vorwurf.

Brummermann: Geschlagene Wunden sehen Sie in den meisten deutschen Städten und so auch in Frankfurt an allen Ecken und Enden. Aber, wir werden auch im DomRömer-Quartier Plaketten anbringen, die auf die Zerstörung hinweisen. Wir wollen diesen Teil der Geschichte nicht vergessen machen.

Wenig begeistert zeigen sich die Denkmalpfleger. Ihr Argument: Mit Denkmalpflege habe das Projekt nichts zu tun.

Brummermann: Das stimmt auch, schließlich gibt es hier keine Denkmäler mehr, die man pflegen könnte. Das ist auch nicht unser Anspruch. Noch einmal, das Stichwort ist „schöpferische Nachbauten“ und das Ziel ist, einem wichtigen Innenstadtviertel seine Funktion für die Stadt zurückzugeben. Aber auch die Denkmalpfleger, die sich vor allem dafür interessieren, daß das Projekt echte Denkmäler, wie etwa den Dom, nicht beeinträchtigt, haben ihren Frieden mit dem Projekt geschlossen.

Wer glaubt, das Unternehmen sei ein Projekt der älteren Generation, der irrt. Laut Umfragen stößt es bei den Jüngeren auf mehr Zustimmung als bei den Älteren.

Brummermann: Ja, erstaunlich – auch wenn ich grundsätzlich sage: Vorsicht mit Umfragen. Ich glaube, die ältere Generation neigt eher dazu, die Wunden der Stadt als historisch anzunehmen, während junge Leute schöne Stadtbilder von anderswo kennen und sich so etwas auch für ihre Stadt wünschen.

Warum eigentlich Frankfurt, das „Mainhattan“, die nach Berlin und Köln angeblich kosmopolitischste Stadt Deutschlands?

Brummermann: Ich sehe gar keinen Widerspruch dazu, daß Frankfurt kosmopolitisch ist – in der Tat seit jeher ein Markenzeichen dieser Stadt. Kein Zweifel, daß das Projekt deshalb so wichtig für die Stadt ist, weil es um Identität geht. Das, was wir jetzt hier bauen, ist eben nicht wie ein neues Hochhaus, das genauso in Mailand, London oder New York stehen könnte, sondern das ist ein Teil der Frankfurter Altstadt, die es so nur in Frankfurt gibt und die etwas mit der konkreten Geschichte des Ortes zu tun hat.

Die Rückkehr von Heimat?

Brummermann: Ja, offenbar gibt es da bei den Bürgern ein solches Bedürfnis, das ihnen außerhalb ihres Alltags sehr wichtig ist. Allerdings geht es nicht immer nur um das Historische. Die Nachfrage nach den Neubauten ist bei uns größer als nach den Rekonstruktionen. Es ist schön, zu sehen, daß auch moderne Architektur so etwas leisten kann. Was die Bürger mögen, ist wohl vor allem die Maßstäblichkeit, die in der alten Stadt steckt und in der sich die Menschen wiederfinden.

 

Patrik Brummermann, ist Projektmanager der DomRömer GmbH, die den von der Stadt Frankfurt am Main beschlossenen Teilwiederaufbau der historischen Altstadt durchführt. Auf einem Areal von etwa 7.000 m2 zwischen dem Dom und dem „Römer“, dem Rathausplatz, entsteht das neben dem Dresdener Neumarkt größte Altstadt-Wiederaufbau-Projekt Deutschlands. Brummermann, geboren 1979 in Frankfurt, studierte Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar sowie am Polytechnikum in Mailand.

www.domroemer.de

Foto: Wiederaufgebaute Frankfurter Altstadt (Animation), wo bis 2010 das Technische Rathaus stand (Bild unten): „Es berührt viele Bürger emotional ... was wir hier bauen, ist eben kein neues Hochhaus, das auch in New York oder London stehen könnte, sondern etwas, was es so nur in Frankfurt gibt.“

 

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