© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Solidarität statt Selbstmord
Sterbehilfe: Tritt das neue Gesetz in Kraft, wäre dies ethisch ein Dammbruch
Martin Lohmann

Nicht alles, was gut gemeint ist, ist dann auch wirklich gut. Das beweist uns in diesen Tagen ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ (Paragraph 217 StGB). Er ist eine Reaktion auf erschreckende Fehlentwicklungen vergangener Monate, wo mit der „Hilfe“ zum Selbstmord medienwirksam Geld verdient wurde. Das soll nun verboten werden.

Gut gemeint, aber verhängnisvoll. We-nigstens dann, wenn nicht auch jede Hilfe zur Selbsttötung verboten wird. Faktisch würde nämlich jede nichtgewerbliche Tötung erlaubt, und es käme dazu, daß jede unbezahlte Mitwirkung am assistierten Suizid akzeptiert und gefördert würde. Und da inzwischen einige der ursprünglich gewerbsmäßigen Todeshelfer zu einem gemeinnützigen Verein mutierten und sich auf diese Weise tarnen, wäre es fatal und buchstäblich lebensgefährlich, den jetzigen Entwurf durchzuwinken.

Es gibt ein geschütztes Grundrecht eines jeden Menschen auf sein Leben und die Wertschätzung seiner Person von der Zeugung bis zum natürlichen Tod. Es darf nicht dazu kommen, daß schon bald durch eine fahrlässige und nur „gut gemeinte“, aber keineswegs gute Gesetzgebung ein Rechtfertigungsdruck entsteht, warum man denn als alter, als kranker oder gar antriebsloser Mensch noch da sei und anderen zur „Last“ falle. Das wäre dann wirklich das Ende jeder Humanität und der Einstieg in die Diktatur des Todes.

Was wir dringend brauchen, ist eine Kultur des Lebens. Und diese zeigt sich auch im respektvollen Umgang miteinander, gerade im Blick auf den Tod. Wir brauchen daher eine Kultur der menschenwürdigen Begleitung in schweren Zeiten. Wir brauchen Solidarität statt Selbsttötung. Mehr Palliativmedizin, bitte! Und wir benötigen das Verbot jeglicher organisierter Beihilfe zur Selbsttötung sowie Strafe für jegliche Form der Werbung dafür. Vor allem aber ist dieses Thema viel zu wichtig, als daß man es unter Zeitdruck oder zur mitternächtlichen Geisterstunde im Parlament rasch durchwinken dürfte. Daher ist eine breite öffentliche und parlamentarische Debatte notwendig.

Und in dieser hoffentlich nachdenklich und einfühlsam geführten Debatte darf freilich nicht übersehen werden, daß es sich bei diesem Thema wahrlich um ein höchst sensibles handelt. Denn es ist richtig, daß wir heute aufgrund der medizinischen Entwicklung und all ihrer Möglichkeiten nicht selten vor sehr schwierige Aufgaben gestellt sind. Viele Menschen verstehen zu Recht nicht, wenn – was leider einerseits verständlich, andererseits belastend ist – irgendwann Apparate die Lebensfunktionen eines zum Sterben bereiten Menschen übernehmen oder gar ersetzen. Auch deshalb sind unsere Koordinaten im Blick auf den Tod verschoben.

Doch es geht vor allem um etwas an-deres. Der moderne Mensch scheint Leid und Kreuz nicht mehr annehmen zu können oder zu wollen. Es scheint keinen Sinn zu haben, mit Defekten und Gebrechen zu leben. Jahrzehntelang wurde alles, was auf diese letztlich jeden Menschen umgebende und prägende Wirklichkeit hindeutet, mehr oder weniger systematisch ausgeblendet. Und damit wurde zugleich der Weg in eine mentale Sackgasse geöffnet, aus der viele keinen Ausweg mehr kennen – oder zu kennen sich trauen beziehungsweise zumuten.

Und in der Scheinwelt des Glanzes und der perfekten Schönheit finden sich die Menschen dann nicht mehr zurecht. Ein brutaler Bluff, der die Perspektive in die Weite über den Tellerrand des irdisch Erträumten geradezu dicht zu verstellen in der Lage ist. Die Würde des Menschen, der übrigens niemals ganz perfekt oder hundertprozentig gesund ist, kann dann nur noch mit brüchigem Zollstock begrenzt erahnt werden. Diese Würde wird dann dem geschlossenen Raum des definierten Diesseits angepaßt. Da ist es nur zu verständlich, mit einer Spritze oder einem Giftbecher diesem Elend ein Ende zu bereiten.

Was aber, bitte sehr, macht so gesehen im Kern einen Unterschied, ob diese Tötung gewerblich begleitet wird oder privat? Was ist, aus der Sicht der Logik des Menschen und seiner ihm natürlich gegebenen Ökologie, von der wirklichen Tat her anders? Die Möglichkeit, daß ein Helfershelfer damit, also mit der Vernichtung eines Menschenlebens, auch noch Geld verdient? Sicher, es ist besonders geschmacklos und verwerflich, bei Tötung auch noch Kasse zu machen. Nicht nur hier.

Aber wider die Natur des Menschen und des Lebens sowie seiner Würde ist es in jedem Fall, selbst Gevatter Tod sein zu wollen oder sein Adlatus. Daher wäre es widernatürlich, nur die gewerbliche Beihilfe zur Selbsttötung verbieten zu wollen. Und was der Natur des Menschen widerspricht oder diese angreift, kann nicht Recht sein oder werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist in der Tat „lebensgefährlich“. Ihn umzusetzen in „Recht“, wäre eine verantwortungslose Antwort auf die Nöte vieler Menschen, die in Einsamkeit und Leid keinen Ausweg mehr kennen und nach menschlicher Hilfe rufen. Gebraucht werden keine Hände, die töten, sondern Hände und Herzen, die beim Sterben da sind und der Würde entsprechend würdig helfen: Begleitung statt Beseitigung.

 

Martin Lohmann ist Chefredakteur des katholischen Fernsehens K-TV und Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht (BVL).

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