© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Blick in die Medien
Ich weiß, was du letztens gelesen hast
Toni Roidl

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Sessel und lesen ein Buch. Plötzlich schleicht sich Ihr Buchhändler unbemerkt ins Zimmer, schaut Ihnen heimlich über die Schulter und notiert sich, welche Kapitel Sie lesen. Und schließlich reißt er einfach ein paar Seiten heraus! Absurd? Wer zu Weihnachten einen E-Book-Reader bekommen hat, kann genau das erleben.

Denn ähnlich wie beim Internetsurfen hinterläßt auch der Leser eines E-Buches digitale Spuren. Dienste wie Amazon oder Google verfolgen diese: Suchanfragen, die Einkaufsliste, die letzten gelesenen Seiten, die im Netz angeschauten Titel.

Google macht die Lesegewohnheiten auch seinen übrigen Diensten zugänglich, und natürlich steht in den AGB der untersuchten Anbieter der Vorbehalt, Daten an Ermittlungsbehörden weiterzugeben.

Auch darüber sollten sich E-Leser im klaren sein: Genauso schnell und einfach, wie zum Beispiel Amazon dem Kunden einen gewünschten Titel auf sein Lesegerät senden kann, kann der Dienst den Inhalt auch wieder löschen! Denn Kunden von Online-Händlern verfügen keineswegs über volle Eigentumsrechte.

So ließ Amazon bereits Bücher per Internet-Synchronisation von den Geräten der Kunden entfernen. Grund war ein Rechtsstreit mit einem Verlag über Urheberrechte.

Technisch wäre es ebenso möglich, inhaltlich umstrittene Textpassagen von den Kundengeräten zu löschen. Welch ein Traum für Zensurbehörden! Statt bei Papierbüchern Bücher nachträglich aufwendig schwärzen zu lassen, lösten sich die inkriminierten Stellen bei elektronischen Büchern einfach wie von Geisterhand auf. Das macht das gute, alte Papierbuch geradezu subversiv. Die Politik hingegen dürfte den E-Book-Boom nicht nur wegen der Binnennachfrage begrüßen.

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