© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Unkritische Vereinnahmung
J. Améry als Vorläufer der Bewältigung à la Habermas
Wilhelm Eckern

Der österreichische Schriftsteller und Auschwitz-Überlebende Jean Améry (1912–1978) habe „nichts weniger als eine permanente humane Revolte wider die Selbstaufgabe des Menschen“ gefordert. Natürlich meint Sabine Volk, er habe „nicht weniger“ als diese Revolte beabsichtigt (Das Argument, 298/2012). Aber Sprachschludereien sind symptomatisch für jene routinierten Publikationen, die anläßlich Amérys hundertsten Geburtstages am 31. Oktober 2012 erschienen sind.

Wie Hanjo Kesting fürchtet (Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 9/2012), sei trotz Werkausgabe und Neuauflagen der luziden Essays über den Freitod oder das Altern, Skepsis angebracht, ob man diese Stimme heute noch höre. Denn wie bei Volk oder bei Sylvia Weiler („Jean Amérys Ethik der Erinnerung“, Göttingen 2012) überwiegen unkritische Vereinnahmungen des auf die NS-Zeit fixierten Autors, der seit 1965 zum medial omnipräsenten Experten avancierte, wenn es um die deutsche „Unfähigkeit zu trauern“ ging.

Volk degradiert den vielschichtigen Denker indes zum Vorläufer der simplen „Vergangenheitsbewältigung“ eines Jürgen Habermas, dem das KZ-Opfer aufgrund „höheren Authentizitätsanspruchs“ die „vorauswirkende moralische Legitimation“ verschafft habe. Amérys Bewußtsein vom „dunklen Unterstrom“ aufklärerischer Rationalität (Kesting) ist in „einer Art Schadensabwicklung“ (Habermas) damit glücklich entsorgt, um zeitgemäße Kontinuitäten „intellektuellen Engagements“ stiften zu können.

www.argument.de

www.frankfurter-hefte.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen