© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Paris im 19. Jahrhundert
Gustave Caillebotte: Ausstellung in der Schirn
Claus-M. Wolfschlag

Mit etwa fünfzig Gemälden und Zeichnungen widmet sich die Frankfurter Schirn Kunsthalle einen bislang wenig beachteten französischen Impressionisten. Obwohl er an die 500 Bilder gemalt haben soll, trat der 1848 in Paris geborene Gustave Caillebotte nämlich primär als Mäzen und Sammler in Erscheinung. Nach dem Studium der Rechte, einer abgebrochenen Ausbildung an der Pariser Kunstakademie und einem kurzen Militärdienst schloß sich der Erbe eines großen Vermögens ab 1874 den Impressionisten um Degas, Renoir, Monet und Manet an, vor allem als Förderer und Schirmherr der neuen Kunstrichtung.

Caillebotte beteiligte sich mit eigenen Werken an den Pariser Impressionisten-Ausstellungen, widmete sich ansonsten dem Sport und dem Entwerfen eigener Segelschiff-Modelle. Als er 1894 im Alter von nur 46 Jahren einem Gehirnschlag erlag, hatte er bereits verfügt, daß seine umfangreiche Kunstsammlung an den französischen Staat übergehen sollte.

Die künstlerische Bedeutung Caillebottes, somit auch die Erklärung für die Frankfurter Ausstellung, liegt in den ausgesprochen modernen Blickwinkeln seiner Gemälde und Zeichnungen. Da ist zum einen die Szenerie des ab den 1860er Jahren großzügig umgestalteten Paris, das Caillebotte als Kulisse diente. Zum anderen ist es die 1839 eingeführte Fotografie, die neue Formen der Bildgestaltung schuf. Etwa 150 Originalaufnahmen von Caillebottes Bruder und anderen zeitgenössischen Fotografen zeigen einzigartige Momente aus dem Großstadtleben des 19. Jahrhunderts. Sie lassen Caillebottes Werke als malerische Verarbeitungen der Fotografie erscheinen, wenn nicht gar als Vorwegnahme fotografischer Techniken. Mit seinen Bildgestaltungen war Caillebotte ein „Pionier der Moderne“, wie die Kuratorin der Ausstellung, Karin Sagner, zutreffend im Schirn-Magazin schreibt: „Gewagte Blickwinkel suggerieren durch erstaunliche Raumkonstellationen und Verkürzungen die Macht, die der Mensch durch seine Herrschaft über die Umwelt ausübt.“

Ob Nahaufnahmen, Sturzperspektiven oder Fragmentierung von Ausschnitten – Caillebottes Bilder wirken wie gemalte Schnappschüsse. Die Beeinflussung oder gar Nutzung des neuen Mediums ist dabei unverkennbar. Man begegnet einer Verkehrsinsel am Boulevard Haussmann aus der Vogelperspektive oder blickt durch ein eisernes Balkongitter auf die Stadt. Kleinteilige Stilleben verweisen auf die zeitgenössische Fotografie von Schaufensterauslagen jener entstehenden Konsumkultur. Und selbst die Stahlbrücken jener Jahre entwickeln in Caillebottes Arbeiten eine eigene, heute nostalgisch anmutende Poesie.

Die Ausstellung „Gustave Caillebotte. Ein Impressionist und die Fotografie“ ist bis zum 20. Januar in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Mi. und Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Telefon: 069 / 29 98 82-0

Der im Hirmer Verlag erschienene Katalog zeigt etwa 260 farbige Abbildungen auf 248 Seiten und kostet im Museum 29,80 Euro.

www.schirn.de

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