© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Es scheint der Weihnachtsbaum als Kulturkampfobjekt besonders geeignet. Auch der heftige Streit um die Frage, ob ein Exemplar auf Brüssels Grande Place gestellt werden darf oder nicht, macht das deutlich. Natürlich liegt der Verdacht nahe, daß die Weigerung der Behörden mit dem Druck der Multikulti-Lobby und dem vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem muslimischen Bevölkerungsteil zusammenhängt. Aber neu ist das Problem nicht. In den USA wurde schon vielfach die traditionelle Dekoration mit Baum und Krippe entweder beseitigt oder um jüdische, muslimische, Hindu-Elemente bereichert. Fast erscheint da die Einflußnahme der Kommunisten in einem verklärten Licht, die nur die religiösen Verweise tilgten, während die Nationalsozialisten eine heidnische Umdeutung vorantrieben, die in Anspruch nahm, das Ganze der Weihnachtssymbolik wieder zu sich selbst zu führen – eine in der Sache nicht ganz verkehrte Behauptung.

Die neuerliche Beschäftigung mit Rudolf Otto und dessen Theorie des Heiligen erinnert daran, daß Carl Schmitts Begriff des Politischen eine strukturelle Parallele aufweist: Hier die Behauptung, daß es bei der Analyse der Religion nicht zuerst um den Gott oder dessen Vorform gehe, sondern um eine Empfindung gegenüber dem Ganz Anderen, das mit dem Neutrum „das Heilige“ bezeichnet wird, dort die Behauptung, daß es bei der Analyse der Politik nicht zuerst um den Staat oder ein staatsähnliches Gebilde primitiver Art gehe, sondern um eine – feindselige – Empfindung gegenüber dem Fremden, die „das Politische“ konstituiert.

Wenn man den Fernsehdarlegungen zu den Anfängen des biblischen Glaubens folgt, denen sich Frau Käßmann zur Verfügung stellt (weiland Landesbischöfin von Hannover, weiland EKD-Ratsvorsitzende, weiland Dozentin der Theologie, jetzt „Botschafterin“ der Lutheraner für das anstehende Reformationsjubiläum), dann ist dessen Ursprung darin zu suchen, daß Wüstennomaden außerstande waren, Vulkanismus angemessen zu interpretieren.

Die Grotten von Isturitz im französischen Baskenland bieten ein sehr frühes und erstaunlich deutliches Beispiel für die scharfe Trennung von Heilig und Profan. Nur in der oberen Höhle sind Spuren einer dauerhaften – wahrscheinlich 40.000 Jahre währenden – Besiedlung zu finden. Die untere weist demgegenüber zwar Ritzzeichnungen und Farbmarkierungen auf, auch einen flachen Gang, den man nur liegend passieren konnte und dessen Decke gerötet worden war, außerdem Spuren an den Stalaktiten, auf die geschlagen wurde, vielleicht, um Töne hervorzubringen, aber nichts, was mit dem Alltag der Menschen zu tun hatte. Es könnte sich um eine Art frühen Tempel handeln, jedenfalls in dem Sinn, in dem das lateinische Wort templum den abgesonderten Bereich bedeutet, das, was markiert und sakral und nicht weltlich ist.

Ein Indiz für die Paralyse der deutschen Theologie ist auch die Nichteinmischung in die Debatte um die Faktizität der Geschichtsüberlieferung des Alten Testaments. Als vor Jahren die Minimalisten um den Tel Aviver Archäologen Israel Finkelstein behaupteten, daß nicht nur die Erzählungen von den Erzvätern und Mose eine Art gnädiger Lüge gewesen seien, sondern auch die Figuren des Saul, David und Salomo in den Bereich des Sagenhaften gehörten und Israel irgendwann im 8. Jahrhundert vor Christus aus einer Bande monotheistischer outlaws entstand, hat das so wenig Reaktionen ausgelöst, wie jetzt die neuen Ausgrabungen vor allem von Josef Garfinkel in den Ruinen von Chirbet Chefaya, die eher die Vorstellung nahelegen, daß die klassische Chronologie zutrifft. Hinter den Türen der theologischen Fakultäten scheint man sich längst damit abgefunden zu haben, daß die Bibel nur irgendwelche „Narrative“ enthält, die für den Glauben belanglos sein müssen, und klammert sich an die Hoffnung, daß von dieser Einsicht möglichst wenig nach draußen dringt.

Die Entdeckung von Thomas Manns Begeisterung für den „Unitarismus“, also eine strenger monotheistische, die Trinität ablehnende Theologie, die er in den USA während seiner Exilzeit kennengelernt hatte, ist an sich nur für die Mann-Philologie von Interesse. Allerdings steht man immer wieder mit Erstaunen vor der Intensität des Gottsuchertums dieser Generation, die noch in der Sicherheit eines – wenngleich verbürgerlichten – Christentums aufgewachsen war und sich danach mit ihrer geistlichen Heimatlosigkeit nie recht abfinden wollte. Nur den Verweis auf den inneren Zusammenhang von Unitarismus, Amerikanismus und democracy kann man nicht stehen lassen. Es geht durchaus anders: In Deutschland wurde der Unitarismus nach 1945 vor allem zum Auffangbecken für viele „Gottgläubige“, die nicht in die alten Kirchen zurückkehren wollten; ein Sachverhalt, über den auch angestrengtes Albert-Schweitzer-Zitieren nicht hinwegtäuschen konnte.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. Januar in der JF-Ausgabe 2/13.

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