© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Gegen den Strich gebürstet
Traditionelle Werte füllt er mit Leben: Der Liedermacher Reinhard Mey wird siebzig
Ronald Berthold

Daß er niemals im Feuilleton der FAZ auftauche, liege vermutlich an dem Lied „Zwei Hühner auf dem Weg nach vorgestern“, unkt Reinhard Mey gern bei seinen Konzerten, bevor er seine bissige Parodie auf das moderne Theater vorträgt. Der Totalverriß dessen, was als Kunst gefeiert wird, endet mit der Zeile: „Und jeder, der bis dahin folgen kann und der bislang auch noch nicht pennt, der ist entweder nicht ganz klar im Kopf oder Theaterkassen-abonnent.“

Der Liedermacher, der hervorragend beobachtet und die Blicke auf unser Absurdistan dann in virtuose deutsche Sprache gießt, wird am 21. Dezember siebzig Jahre alt. Für Mey ist dieser runde Geburtstag nichts weiter als „ein Uhrzeiger, der eine Ziffer weiterspringt“. Er macht „keine Mega-Party, kein Aufriß, kein Fernsehen, kein Radio, keine Interviews. Ich habe Euch mein Leben in meinen Liedern erzählt, Ihr wißt alles von mir“, schreibt er auf seiner Internetseite.

Doch die wenigsten wissen um seine tatsächlichen politischen Überzeugungen. Bis heute wird Reinhard Mey merkwürdigerweise zu den 68ern gezählt. Sein Pazifismus, zu dem er sich in vielen Liedern bekennt, hat ihn für weite Teile der Öffentlichkeit, die sein Werk nicht wirklich kennen, in diese Ecke gerückt. Dabei hat er sich von „neuem Unrecht und Zerstörung“, die für ihn mit der Revolte einhergingen, stets distanziert. Heute sagt er: „Typischer 68er war ich nie.“ Während seinerzeit alle bedeutungsschwanger über Gleichberechtigung schwadronierten, schrieb der Liedermacher das Lied „Annabelle, ach Annabelle“ – niemals zuvor ist Feminismus so böse und unterhaltsam zugleich verspottet worden. Er selbst galt vielen Linken als „Reaktionär“, wie er einmal bekannt hat – weil er „nicht bedingungslos hurra und ja zu allem, was Umsturz war, gesagt hat“.

Mey ist ein tief wertkonservativer Mensch, dem Familie, Heimat und Geborgenheit über alles gehen. Mit seiner geliebten Frau Hella und seinen drei Kindern hat er stets das Gegenteil von dem gelebt, was die 68er predigten. Traditionelle Werte füllt er mit Leben. Daß seine Hella zu Hause blieb, als die Kinder kamen, war so selbstverständlich wie das immer wiederkehrende Besingen seines Familienglücks. Schon aus dieser privaten Sicht heraus mußten ihm die politisch so aufdringliche Szene jener Jahre und ihre Nachwirkungen bis in die Gegenwart immer suspekt bleiben.

Der Liedermacher hat auch nie die öffentliche Abrechnung mit seinen Eltern gesucht, wie es in dieser Zeit üblich war. Das „Wie konntet ihr Hitler zulassen?“ gibt es bei ihm nicht. Wenn, dann blieb es privat. Im Gegenteil: In vielen Liedern erinnert er liebevoll an seinen Vater, seine Mutter und lobt deren Charakterstärke: „Ich weiß nur eins, ich wünsche allen Kindern auf der Welt, und nicht zuletzt natürlich dir, mein Kind, wenn’s brenzlig wird, wenn’s schiefgeht, wenn die Welt zusammenfällt, Eltern, die aus diesem Holze sind.“

Und so fühlt sich seit jeher eine spezielle Klientel zu ihm hingezogen. Sein bürgerliches Publikum begeistert er seit mehr als vier Jahrzehnten mit teils witzigen, teils nachdenklichen Texten, die sich zu jeder Zeit vom politischen Einheitsbrei abheben. Und er hat Erfolg: Jedes neue Album erhält Gold oder Platin. Die Fans stürmen förmlich in seine Konzerte. Es gibt keinen Auftritt, der nicht binnen weniger Stunden ausverkauft wäre.

Dieser Erfolg hat einen einfachen Grund: Der Sänger vermittelt seinen Zuhörern das wohlige Gefühl, zu Hause zu sein. Er erzählt von seiner Familie, seinem Leben, seinem Unbehagen mit der Politik. Die schweigende Mehrheit fühlt sich bei ihm daheim, weil er nie einseitig ist, weil er ihnen aus der Seele spricht – auch und gerade dann, wenn er singt, er sei „heimatlos“: „Und du merkst erst beim Verkehrslagebericht: Dies ist das Land, in dem man angeblich deine Sprache spricht! Doch du bist heimatlos, belogen, betrogen, über‘n Tisch gezogen.“

Die Menschen brauchen keine Rezension in der FAZ, um den Liedermacher zu verstehen. Sie gehen in seine Konzerte, die er stets allein nur mit seiner Gitarre bestreitet, hören ihm zu und erfreuen sich an seiner intelligenten Art, politisch korrekte Themen gegen den Strich zu bürsten. Er erzählt dann unter dem Applaus seiner Zuhörer, daß er „in der alten deutschen Rechtschreibung“ singe.

Die Parabel „Einhandsegler“ ist eine der bemerkenswertesten Hymnen gegen den Mainstream, die in den vergangenen Jahren geschrieben worden sind. Textprobe: „Die Strömung ist gefährlich, die Untiefe nicht weit; du mußt kreuzen gegen Dummheit und den Geist der Zeit. Die See wird rauh und kabblig, wenn du es wagst zu widersprechen, wenn du aufstehst und die Wahrheit sagst. Da ist keine stille Bucht, da ist kein schützendes Ufer. Niemand in der Wasserwüste hört den mahnenden Rufer. Daß du recht hast, werden sie dir nie verzeih’n. Und dann stürzen alle Wetter zugleich auf dich ein! Zähl’ nicht auf Schönwetterfreunde im Orkan – Einhandsegler auf dem Ozean.“

Wo er eigentlich politisch stehe, wurde der Berliner einmal gefragt: „In der Mitte – und zwar in der Mitte eines Kreises. Ich sehe um mich herum und drehe meinen Kopf nach allen Seiten. Wenn ich etwas sehe, das mich zornig macht oder amüsiert, spieße ich es auf – gleichgültig, in welche Richtung das geht.“

Was der Liedermacher hier als seinen Standpunkt beschreibt, ist nicht die allseits überstrapazierte Mitte, die Merkel-Mitte oder die neue alte Schröder-Mitte, sondern die radikale Mitte, die es mit dem Mitte-Establishment aufnimmt. Er teilt kräftig aus, und zwar gegen alle Parteien gleichzeitig. Das Lied „Wahlsonntag“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie ihn die Sprechblasen der Berufspolitiker nerven, wie er sie der Heuchelei und Lüge überführt. In dieser Satire verlieren alle Parteien, aber jede erklärt sich zum Sieger: „Wir können mit dem Wahlausgang zufrieden sein!“ Ganz wie im richtigen Leben.

„Hab’n sie nicht alle laut und deutlich neulich noch vor aller Ohren allen Schaden vom Volk abzuwenden geschworen?“ fragt er in „Heimatlos“ rhetorisch. Was er von dieser Kaste hält, besingt Reinhard Mey auch in „Gretel und Kasperle, Großmutter, Wachtmeister und Krokodil“: „Die allerschönsten Exemplare aus dieser Rubrik, die finden sich aber noch immer in der Politik. So tölpelhaft, so anmaßend, da übertrifft sie nur die dort auch viel vertret’ne Gattung Schießbudenfigur. Du glaubst, da regier’n Menschen mit Charakter und Profil, doch wenn du hinsiehst, sind’s Gretel und Kasperle, Großmutter, Wachtmeister und Krokodil.“

Was macht er in der Wahlkabine? „Früher hatte ich vor Wahlen noch Gewissensqualen, heute wähl’ ich die, die am meisten dafür zahlen“, heißt es bitterböse in „Was gibt es Schöneres auf Erden, als Politiker zu werden?“

Das etablierte Feuilleton – nicht nur das der FAZ – ist dem Künstler immer fremd geblieben. Zu wenig geerdet, viel zu abgehoben erscheinen ihm Redakteure und Kritiker. Und das verschweigt er nicht: „Und du, du bringst zwar keinen ganzen Satz zustande, Du stammelst und du stümperst, aber tröste dich nur: Totale Unfähigkeit ist doch keine Schande. Im Gegenteil, mein Alter, das ist Literatur (...) Chaotisch, unverständlich, alle finden das toll. Denn, wenn keiner mehr Bescheid weiß: das ist anspruchsvoll.“

Beißender hat kaum jemals einer den selbstreferentiellen irrlichternden Kulturbetrieb attackiert.

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