© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Pankraz,
das Jesuskind und die Leute am Meer

Das originellste deutsche Weihnachtsgedicht stammt von dem baltischen Erzähler und Lyriker Werner Bergengruen (1892–1964) und erschien zum ersten Mal 1927 unter dem Titel „Kaschubisches Weihnachtslied“ in der Berliner Rabenpresse von Otto Stomps und Hans Gebser. Pankraz hörte es zum ersten Mal an Weihnachten 1959 in einer Zelle des Zuchthauses Waldheim, wo er damals als junger Polithäftling einsaß.

Einer seiner Mithäftlinge, einer aus Ostpreußen, trug es heimlich vor, leise zwar, damit die Wachen nichts merkten, aber makellos und in ostpreußischer Mundart. Der Effekt bei den Zellengenossen war überwältigend. Das Gedicht ist hier unten voll wiedergegeben; der geneigte Leser wird gebeten, zunächst einmal diese Verse zu lesen, bevor er sich zum Fließtext zurückwendet.

Mit dem Kindchen ist natürlich das Jesuskind in der Krippe gemeint; was die Kaschuben betrifft, so waren sie ein westslawischer, seit dem Mittelalter eingedeutschter Volksstamm am Ostseestrand nordweslich von Danzig („die Leute vom Meer“), vergleichbar mit den Sorben in der Lausitz, nur um einiges handfester und uriger, wovon ja auch die beiden letzten Verse Bergengruens Zeugnis geben.

Aus der Kaschubei kamen eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die gerne Anweisungen erteilten, so die preußischen Generalfeldmarschälle Ludwig York von Wartenburg und Erich von Manstein, so der Ex-Chef der Deutschen Bank Hilmar Kopper, so der Dichter und Literaturnobelpreisträger Günter Grass, welcher sich ja ebenfalls gern mit feldmarschalligem Gestus in politische Abläufe einmischt und immer das letzte Wort behalten möchte.

Das Erscheinen des Kindchens im Gedicht nun verwandelt den Alltag der Kaschubei auf wundersame Weise und läßt all die herrschsüchtigen und streitlustigen Gesellen im Nu fromm werden und „Himmelswege gehen“. Das bedeutet für sie allerdings nicht, daß sie lobsingen oder über komplizierte metaphysische Fragen nachgrübeln, nein, vor allem gilt es, für das leibliche Wohl des Kindchens zu sorgen, es zu betten, zu kleiden und zu füttern. Alles Übrige wird sich später schon fügen.

In der Schilderung der leiblichen Fürsorge für das Kindchen entfaltet sich das Gedicht, erschöpft sich beinahe darin. Doch dem theologischen Karat des Werkes tut der deftige Realismus nicht den geringsten Abbruch, im Gegenteil, er schärft ihn an, macht die Botschaft in seltener Weise deutlich und erlebbar. Theologisches Wort und dichterisches Bild fallen zusammen und ersetzen faktisch jede Predigt.

Pankraz erinnert sich, wie seinerzeit in Waldheim, nachdem sich die erste Rührung über den Vortrag des ostpreußischen Rezitators gelegt hatte, ein miteinsitzender Student, ein Mitglied der damals hart verfolgten evangelischen „Jungen Gemeinde“, eine Kritik an dem Gedicht von Bergen-
gruen äußerte. Das sei doch kaschubische Überheblichkeit, meinte er, eine angeberische Überversorgung. Das Leiden Jesu werde völlig ausgeblendet.

Da nahm der Rezitator noch einmal – ohne Angst vor Spitzeln – das leise Wort und verwies auf das Schicksal der Kaschuben nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurden, wie alle übrigen Deutschen des Ostens, zu einem guten Teil aus der Heimat vertrieben. Die, die bleiben durften, kamen später mit dem Kommunismus und der Polonisierung nicht zurecht, viele von ihnen wanderten nach Kanada oder in die USA aus. Keine Spur also mehr von Kuttelfleck mit Ingwer, statt dessen Kampf ums nackte Überleben – und Hoffnung auf echte christliche Freiheit.

 

Wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,

Wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,

Wärst auf Daunen weich gebettet worden.

 

Nimmer wärst du in den Stall gekommen,

Dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen,

Der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,

Dich und deine Mutter zu verehren.

 

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

Müßtest eine Schaffellmütze tragen,

Blauen Mantel von Kaschubischem Tuche,

Pelzgefüttert und mit Bänderschleifen.

 

Hätten dir den eignen Gurt gegeben,

Rote Schuhchen für die kleinen Füße,

Fest und blank mit Nägelchen beschlagen!

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

 

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!

Früh am Morgen weißes Brot mit Honig,

Frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,

Mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke.

 

Gänsefleisch und Kuttelfleck mit Ingwer,

Fette Wurst und goldnen Eierkuchen,

Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!

 

Und wie wir das Herz dir schenken wollten!

Sieh, wir wären alle fromm geworden,

Alle Kniee würden sich dir beugen,

Alle Füße Himmelswege gehen.

 

Niemals würde eine Scheune brennen,

Sonntags nie ein trunkner Schädel bluten, –

Wärst Du, Kindchen, im Kaschubenlande,

Wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

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