© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Im Würgegriff der Drogenmafia
Lateinamerika: Polizei und Politik zeigen sich ohnmächtig gegenüber der zunehmenden Gewalt der Rauschgiftkartelle / US-Politik vor Scherbenhaufen
Joachim Feyerabend

Trotz eines stetig wachsenden Einsatzes von Fahndern, Polizei und Militär gegen die Drogenbarone Lateinamerikas hat sich bis heute nichts verändert, im Gegenteil, die „Narcos“ sind mächtiger denn je. Ganz Mittel- und Südamerika droht in den Würgegriff der Rauschgiftkartelle zu geraten. Der Zusammenschluß der beiden größten Gangs, „Zeta“ und „Mara Salvatrucha“ (MS-13), schafft ein kriminelles Netzwerk, das von den USA bis nach Südamerika reicht und Hunderttausende von Mitgliedern für den bewaffneten Kampf gegen die Staatsmacht mobilisieren kann.

Hinter den Kulissen ziehen die allmächtigen Bosse sogar an den Fäden der Politik und polstern die Bilanzen der Wirtschaft mit den Geldern aus der Sucht kranker Wohlstandsgesellschaften auf. Korrupte Polizisten stehen ihnen zur Seite, wie kürzlich die Festnahme von 63 Ordnungshütern in Rio de Janeiro zeigte. Erst jüngst wurde am Strand von Rio ein riesiges rotes Tuch ausgebreitet. Auf ihm lagen 500.000 Bohnen. Sinn der Aktion: Genauso viele Menschen wurden in den letzten zehn Jahren Opfer von Gewaltverbrechen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung versinkt auch Mexiko immer mehr in Anarchie. Gangs beherrschen ganze Städte. Zur Machtdemonstration senden sie auch mal den abgetrennten Kopf eines Polizeichefs zu den Behörden, wie in Praxedo, enthaupten eine Enthüllungsjournalistin, wie in der Grenzstadt Nuevo Laredo, um die Presse mundtot zu machen. Die blutige Bilanz: Bislang mehr als 50.000 Tote trotz eines Aufgebotes von 85.000 Ordnungskräften.

Der Drogenkrieg um Vorherrschaft im Schmuggel-Geschäft für den bis zu 40 Milliarden Dollar schweren Markt der USA tobt unvermindert weiter. Eingeschleuste Kämpfer sind ebenso machtlos wie die Politik mit ihren vollmundigen Versprechungen, den Sumpf auszutrocknen. In Brasiliens Metropolen Rio und São Paulo überrollt eine Welle der Gewalt selbst Spezialeinheiten des Militärs.

Allein in São Paulo wurden im September 982 Morde registriert. 90 Polizisten zählen zu den Opfern, wahrscheinlich der Drogengang „Primero Comando da Capital“. Bürgerkriegsähnliche Zustände werden auch aus anderen Städten gemeldet. Die bereits gefeierte Befriedung der Favelas in Rio aus Anlaß der bevorstehenden Olympischen Spiele 2016 entpuppt sich als Pyrrhussieg, die Gangs sind zurück, und die Polizei wagt sich wieder nur in gepanzerten Fahrzeugen in einige der Elendsviertel.

Diesen Zerfall der Ordnung können selbst so spektakuläre Aktionen wie die Beschlagnahme von 1.700 Kilo Kokain im November in Paraguay nicht bremsen – die bislang größte Rauschgiftlieferung, die jemals konfisziert wurde. Verglichen mit den Mengen, die in die westlichen Märkte gelangen, wirken solche Erfolge wie Peanuts. Denn es sind Hunderte Tonnen Kokain, Heroin und Marihuana, 1,5 Millionen Tabletten synthetischer Drogen, die weltweit für ein Umsatzvolumen von rund 300 Milliarden Euro sorgen, ein lukratives Geschäft.

Das Gewaltmonopol von Staaten wie Mexiko ist längst außer Kraft gesetzt. Die mächtigen Kartelle „Sinaloa“, Golf“, „La Familia Michoacana“ und „Los Zetas“ sind nur einige, der immer wieder neu formierten Truppen im Bann von Geld, Marihuana und Kokain, Raub, Entführung und Mord. Sie speisen den Tsunami der Gewalt. Die Regierung hält mit der sogenannten „Kingpin-Strategie“ gegen, der gezielten Verhaftung der Bosse, doch neue Padrones wachsen nach wie die Kokablätter an den Sträuchen.

Ein Kampf gegen Windmühlen, bei dem die USA einerseits den Anbau narkotischer Pflanzen mit Vernichtungsmittelattacken aus der Luft zu verhindern suchen, andererseits als Drogenabnehmerland Nummer eins und Waffenlieferant sowohl die Regierung als auch die Macht der Kartelle stärken.

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