© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Grüße aus Santiago de Cuba
Fidel wer? Fidel was?
Alessandra Garcia

Mama, stimmt’s, das ist nicht Papa Fidel? Mein achtjähriger Sohn zeigt mir das Schwarzweißfoto in der Zeitung. Ein bärtiger Alter mit Sonnenhut ist darauf zu sehen. Die allgegenwärtigen Plakate und Wandmalereien zeigen dagegen immer noch einen anderen Fidel Castro: kraftstrotzend, die Kalaschnikow schwingend, in olivgrüner Uniform. Der auf dem Zeitungsfoto trägt ein kariertes Hemd. Natürlich könnte es der vom Alter gezeichnete Revolutionsführer sein. Der Konjunktiv ist angebracht. Viele Kubaner sind der Meinung, daß El Comandante nicht mehr lebt, es sich nur niemand traut, das zuzugeben. Revolutionsführer siechen nicht dahin, sie sind eines Tages einfach verschwunden.

Allerdings hat nur dieser eine die permanente Revolution proklamiert. Insofern ist der 86jährige Castro ein Symbol des von ihm verformten Landes. Daß sein Dahinscheiden eines Tages in der Granma, der Zeitung der kommunistischen Partei, verkündet werden könnte, scheint unvorstellbar. Und so nehmen wir die Bemühungen von Partei und Staat, mit immer neuen Fotos uns überzeugen zu wollen, daß Fidel lebt, mit Kopfschütteln zur Kenntnis. Laßt doch den Alten. Wenn er angeblich behauptet, sich nicht einmal mehr daran erinnern zu können, was Kopfschmerzen sind, dann lacht selbst die Nachbarin vergnügt auf: „Ich habe noch welche.“

Und wie ist der Satz von Castro – oder wer immer das tatsächlich geschrieben hat – zu werten: „Niemand gefällt es, belogen zu werden.“ Bezieht sich das nur auf die Raketenkrise vor 50 Jahren und seine Rolle, oder auch auf uns, das Volk. Und hat überhaupt jemand registriert, daß es bereits seit Juni keine Kolumne mehr mit den Reflexionen des „Genossen Fidel“ in der „Granma“ gibt. Stück für Stück verschwindet der Greis hinter dem idealisierten jungen Kämpfer.

Fidel Castro wird für die Kubaner ein Mythos bleiben. Daß der Mann noch leben könnte, ist für die junge Generation, die mein Sohn verkörpert, unvorstellbar. Papa Fidel ist eine Legende wie sein einstiger Mitkämpfer, Comandante Camilo Cienfuegos. Seit dieser am 28. Oktober 1959 auf mysteriöse Weise mit seiner Cessna verschwand, müssen die Schulkinder alljährlich an diesem Tag Blumen in die karbibische See werfen: „Una flora para Camilo.“ In diesem Sinn sage ich: Eine Blume für Fidel. Und meinem Sohn sage ich feige, lies doch den Text unter dem Foto. Da haben sie geschrieben, wer das sein soll.

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