© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

„Wir gehen direkt zu Allah“
Syrien: Der Fanatismus der Gotteskrieger wächst und gedeiht / Schulungen mit Hochglanzbroschüren
Billy Six

Im Dunkeln der Nacht hält ein Kleinlaster an der Überlandstraße nahe Kaff-Rambel im Nordwesten Syriens. „Willst du mit nach Hama?“ fragt der Mann am Steuer. Er und sein Kumpan von der Freien Syrischen Armee transportieren eine handvoll Schlafsäcke auf der Ladefläche in die zentrale Provinz. Es reizt, tiefer in das Bürgerkriegsland vorzustoßen.

Doch ist es klug, ungeplant ins Ungewisse zu reisen – noch dazu mit Unbekannten? Krankenhauschef Mohamed Khatib ist in der Nähe. „Wovor hast du Angst?“ fragt der Mediziner mit jahrelanger Frankreicherfahrung. „Allah hat doch bereits festgeschrieben, ob du sterben wirst oder nicht. Nutze die Chance, ein großartiger Journalist zu werden!“ Er lacht.

Wenige Minuten später: Im Fahrzeug hat der Beifahrer seinen deutschen Gast aufgefordert, die Koransuren „Al Fatiha“ und „Al Ikhlas“ zu rezitieren, da es sich ja nur um kurze Texte handle. Trotzdem sind Fehler unterlaufen. „Du bist seit August im Land und kannst immer noch kein Arabisch?!“ Die Kenntnis der „Sprache Allahs“ wäre notwendig, um den Qualen der Hölle zu entgehen. Der Kämpfer ist davon überzeugt, daß jeder Mensch als Moslem geboren worden sei (Fitra). Nur die sündige Umwelt verführe anschließend zum Unglauben – gemäß Allahs Vorherbestimmung.

Der ununterbrochene Monolog endet abrupt. Zwischen düsteren Olivenhainen stoppt ein entgegenkommender Wagen auf der unbefestigten Piste. Eine Gruppe Männer, die Köpfe eingehüllt in den gescheckten Arabertüchern, steigt aus. Eine wilde Diskussion folgt. „Aus Deutschland?“ fragen sie. Es ist nicht von Nachteil. Aber außer über Hitler wissen sie nichts über die deutsche Geschichte. Und mehr wollen sie auch gar nicht wissen. Für das „schlangenartige“ Verhalten der deutschen Politik wird als Entschuldigung akzeptiert, daß die Bundesrepublik nur eine „Kolonie der Amerikaner“ wäre. Und von einer Frau als Regierungschefin könne man eine geradlinige Politik ohnehin nicht erwarten.

„Du willst nach Hama?“ fragen die Krieger. „Willst du dort Märtyrer werden?“ Die korrekte Antwort lautet: „Inschallah“, wenn Allah es will. Im Lichte der Autoscheinwerfer zeigen die Männer, was sie um ihren Bauch gewickelt haben: Sprengstoffgürtel! „Man wird uns nicht verhaften können“, so die Rebellen. „Wir gehen direkt zu Allah!“

Westliche Leser mögen denken, es handele sich um Verrückte. Tatsächlich haben diese Männer Familie und Beschäftigung. Was sie praktizieren, ist der „Dschihad“, der „Heilige Krieg“.

Allahs Krieger haben drei kleine Bauernhäuschen auf einem matschigen Acker im Süden der Provinz Idlib erworben. 40 junge Männer werden hier derzeit auf ihren Einsatz vorbereitet.

Ihren deutschen Gast empfangen die Männer in erster Linie mit Herzlichkeit. Es wird eine Hochglanzbroschüre überreicht: „Warum wir kämpfen“, heißt es da auf arabisch. Es ist das dokumentierte Selbstverständnis des „Wahrheitsbataillons“. Umrahmt von Koransuren heißt es: „Kämpfet nicht für Geld und Prahlerei. Kämpfet nicht für Eure Familie, den Stamm oder die Rasse – sondern einzig zur Freude Allahs.“

Die Wörter „Freiheit“, „Demokratie“ oder „Menschenrechte“ sucht man vergeblich. Dies ist kein Zufall: „Unterstütze nicht Leute, deren Prinzipien du nicht kennst!“, heißt es weiter. Konkret: „Kämpft nicht für irdische Zwecke und unterstützt nicht solche Gruppen, die nicht die Scharia respektieren.“ Nationalismus und Sozialismus, die offiziellen Fundamente in „vier Jahrzehnten des Unrechts“ im Assad-Staat seien Ideen der Atheisten. Das nunmehr anzustrebende Ziel für Syrien heiße „karama“ – Würde.

Ein junger Mann hat Tätowierungen auf seinem Arm. Andere rauchen. Beides ist im salafistischen Islam inakzeptabel. Unter vier Augen geben sich die Jungs lockerer als in der Runde. Doch es gibt auch andere: Abu Abdullahs Persönlichkeit spricht Bände: Schwarzer Turban. Schwarzer Bart. Drei Ehefrauen und neun Kinder. „Nach dem Sieg, inschallah, werde ich eine vierte Frau heiraten“, sagt er stolz. Doch wie kann er die Kinder alle gleich behandeln? Wie will er für alle zum Beispiel Ausbildung oder Studium finanzieren? „Wieso Studium?“ fragt der rauhbeinige Krieger. „Meine Söhne sollen allesamt Mudschaheddin werden!“

Wenig später auf dem Weg nach Hama läßt dann die Einschätzung eines eher zivil daherkommenden Aktivisten aufhorchen: „Würde ich mir einen Bart wachsen lassen und ein Dschalabija tragen, hätte ich schon morgen eine Waffe und ein Auto zur Verfügung“, sagt der als Lehrer tätige Familienvater abseits aller Zeugen. „Woher all die selbsterklärten Salafisten das Geld haben, weiß ich nicht. Ein syrisches Gehalt reicht dafür mit Sicherheit nicht aus.“ Beste Aufstiegschancen unter den Kämpfern hätten jene, die besonders radikal aufträten, meint der Mann, dessen Name nicht genannt werden soll. „Mit unserer ursprünglichen Revolution hat das nichts mehr zu tun.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen