© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Der Ruf der Wildnis
Reiz des Ursprünglichen: Florian Asche plädiert in seinem Essay „Jagen, Sex und Tiere essen“ für das einfache Leben und dreckige Hände
Christian Vollradt

Weihnachten, die Zeit der deftigen Genüsse. Kalorienhaltiges Gebäck, opulente Mahlzeiten, Gänsebraten, Rotkohl, Klöße. Selbst für die, denen es sonst um eine schnelle Sättigung mit vorgefertigten Produkten geht, darf’s jetzt ein bißchen mehr sein, ein bißchen länger dauern. Nicht um den Hunger zu stillen, sondern um zu genießen, mit allen Sinnen.

Es ist die Zeit, in der wir es heimelig haben wollen, wenn möglich am Kaminfeuer, am kerzenerhellten Tannenbaum. Lagerfeuer und Wald in die Stube verfrachtet. Und im Gegenzug der ausgedehnte Spaziergang in Mutter Natur. Mal so richtig durchlüften. Deftig, urig, natürlich – und festlich. So soll es sein, gerade wenn und weil im Alltag der meisten so wenig davon oder dafür noch übrig ist. Der Abstand vom Alltag adelt die Feiertage; wo sonst Termine unser Leben zeitlich und räumlich einhegen, geht es nun um Muße, Besinnlichkeit. Entschleunigung ist das Modewort dafür. Den Gang rausnehmen, die Seele baumeln lassen. Schließlich geht es um mehr als das leibliche Wohl.

Wer sich dem Reiz des Ursprünglichen auch jenseits der weihnachtlichen Feiertage aussetzen möchte, dem hat der Hamburger Rechtsanwalt Florian Asche mit seinem kurzweiligen Essay über die „Lust am Archaischen“ eine ganze Reihe von Argumenten an die Hand gegeben: „Jagen, Sex und Tiere essen“. Der etwas auf Krawall gebürstete Titel ist durchaus provokativ, faßt jedoch recht exakt zusammen, worum es geht. Wer nicht allzu zart besaitet ist, wird wenig Anstößiges finden; indes der politisch korrekte Leser schier erschrecken dürfte. Denn, so gibt der Autor unumwunden zu: „Die Jagd steht heute unter einem solchen Druck der veröffentlichten Meinung, daß ihre Verbindung mit Erotik einem publizistischen Selbstmord gleichkommt.“

Warum dann aber dieses Wagnis, wenn es nicht um reine Provokation gehen soll? Gibt es keine anderen Argumente für die Jagd? Tiere essen, klar. Aber Sex? Nun, es gibt diese anderen – vernünftigen – Argumente, und der Autor verschweigt sie nicht: ohne Jagd kein Wild, Jäger sind Naturschützer, weil sie Biotope pflegen, Jagd ist nötig, weil in einem Industrieland das Großraubwild als natürlicher Feind fehlt ...

Offenbar kennt Asche den Versuch, mit rationalen Argumenten das eigene Tun gegenüber Kritikern oder denen, die kein Verständnis für diese Freizeitbeschäftigung aufbringen, zu rechtfertigen aus eigener Erfahrung. Zu Beginn seines Essays schildert er einen mißratenen Flirt an der Göttinger Universität. Ein Jurastudent, passionierter Jäger und wie der Autor großbürgerlicher Herkunft, Reserveoffizier in einer renommierten Einheit, Mitglied einer traditionsreichen schlagenden Verbindung, unterhält sich angeregt mit einer offenbar sehr linken Kommilitonin. Man findet sich sympathisch, bis er sich als Jäger „outet“. Die Reaktion: fassungsloses Entsetzen. „Wie kann man stundenlang im Wald sitzen, nur um ein so niedliches Reh zu erschießen? Ihr seid alle krank!“ Die Argumente der Hege, des Naturschutzes, der Waidgerechtigkeit dringen nicht mehr durch.

Mit dieser Szene führt Asche die Zwecklosigkeit des Unterfangens vor, auf diese Art aus der Defensive heraus, Verständnis für das eigene Tun, die eigene Position erreichen zu wollen. Das kennt man nicht nur von Jägern, es betrifft andere Gruppen, deren Anliegen, deren Lebensstil und Werte von einer Mehrzahl um sie herum nicht geteilt, nicht verstanden oder sogar abgelehnt werden. Es ist die „Public Relations“ der Kirchen, die nur von Krankenhäusern und Kitas, von Altenheimen und Armenspeisung reden, anstatt vom Mysterium des Glaubens. Es sind die Korporationen, die von Networking sprechen anstatt vom Männerbund, es sind die Konservativen, die von Partizipation und Pluralismus reden – anstatt vom Streben nach Macht. Es besteht ein Unterschied zwischen dem Motiv, etwas zu tun, und dessen Rechtfertigung, genauso wie zwischen dem „Warum“ und dem „Wie“.

„Wir jagen nicht, um das ökologische Gleichgewicht herzustellen,“ selbst wenn das durchaus eine (positive) Folge der Jagd ist. „Die Wahrheit über unsere Triebe und Leidenschaften ist so unendlich wichtig, wenn es darum geht, andere von uns zu überzeugen.“ Wer würde wohl jemandem glauben, der behauptet, er habe Sex, um die Menschheit zu erhalten. Stattdessen wäre es ehrlicher, sich bewußt zu machen, „daß unsere Jagdlust sich nicht von der Freude an anderen archaischen Dingen unterscheidet“. Mit Blick auf das in der beschriebenen Szene leidende Alter ego kommt der Autor zum Schluß: „Er hätte davon reden können, wie frei man sich fühlt, wenn man allein im Revier ist, das Grauen des Morgens sieht und die ersten Strahlen der Sonne.“

Erotik und Sex zwischen zwei Buchdeckeln sind beileibe keine Aufreger mehr, im Unterschied zum Töten von Tieren. „Töten und Lieben erscheinen als zwei derart krasse, unversöhnliche Gegensätze, daß ihre Verbindung nach Perversion riecht.“ Wie aber begründet Asche diese Liäson? „Der Trieb zur Beute und die Bereitschaft, sich diesem Trieb ganz hinzugeben, bilden die Grundlage jagdlicher Leidenschaft. Darin liegt ihre Sinnlichkeit. Und diese Sinnlichkeit bestimmt auch unser erotisches Leben. Die Hingabe ist der Schlüssel unserer Lust, im Bett und im Jagdrevier.“

Wie die Sexualität verläuft auch die Jagdleidenschaft in Phasen. Der kindlichen Unschuld folgt die Neugier, das aufwühlende Entdecken: „Das erste Mal auf der Jagd und das erste Mal im Bett sind Demarkationslinien unseres Lebens. Wenn wir sie überschritten haben, dann können wir nicht zurück.“ Und genau wie beim einen gibt es auch beim anderen Phasen der Enthemmung, des Exzesses. Der Autor verweist dabei auf die Legende des Heiligen Hubertus, der erst von seiner ausufernden Jagdwut kuriert werden mußte. Wo es nur um pure Trophäensammelei, um die Zahl der Abschüsse geht, gehen Sinn und Sinnlichkeit verloren. Auch hier liegen Gemeinsamkeiten. Denn: „Liebhaber sind wir dort, wo wir unsere Egoismen aufgeben und lernen, zu verzichten.“ Jagd bedeutet mehr als Erlegen. Asche zitiert dazu die berühmten „Meditationen über die Jagd“ des spanischen Soziologen Ortega y Gasset. Der Reiz der Jagd liegt aufgrund der Seltenheit oder auch der Schnelligkeit des Wilds gerade in der Unsicherheit, Beute zu machen. Und das ist, wie auch die meisten Nicht-Jäger wissen, beim Sex nicht anders.

Wahrscheinlich deswegen gibt es auch in der Jagd Formen von Prostitution: Man zahlt Geld und bekommt dafür den Jagderfolg, weil die Tiere zuvor auf irgendeine Art gebändigt oder aber dem Schützen absichtlich vor die Büchse getrieben wurden. Für diese „grüne“ Prostitution gilt im Grunde dasselbe wie für die im Rotlichtmilieu: es handelt sich um eine Illusion. Sex ist käuflich, Liebe nicht – und genausowenig ein Jagderlebnis. Dessen muß man sich bewußt sein; und in beiden Metiers gibt es Menschen, die mit dem, für das sie bezahlt haben, recht zufrieden sind. Der große Antipode des jagenden Archaikers ist der Zeitgeist, der sich laut Asche an zwei gegensätzlichen Extremen widerspiegelt. „Der Zeitgeist hat heute zwei Namen: Charlotte Roche und Wiesenhof. Charlotte Roche ist der Zeitgeist der Medien und Intellektuellen, Wiesenhof ist der Zeitgeist einer breiten, verfetteten Masse unserer Wohlstandsgesellschaft.“

Roche (eine „Mischung zwischen Freak und Borderliner“) lebt vegan, damit für ihre Ernährung keine Tiere mehr sterben müssen. „Kindlich naiv“ sei das, so Asche, denn auch für ein Brot sterben kleine und kleinste Kreaturen. „Leben ohne Tod ist nicht denkbar.“ In der Meinung, wonach Tiere töten dürfen, der Mensch aber nicht, offenbare sich ein krudes Natur(un)verständnis. Im Vegetariertum sieht Asche nur eine Art neurotischen Selbsthaß. Vielleicht leben deswegen auch sieben Millionen Deutsche im dauerhaften Fleischverzicht.

Auf der anderen Seite stehen die Produzenten billiger Massenware. Die Haltung und Schlachtung dieser Tiere sei ethisch höchst bedenklich, auch wenn der Autor im Gegenzug nichts von Agrarromantik à la „früher war alles-besser“ hält. Doch das billige Fleisch macht das Leben billig und beläßt den Verbraucher in seiner Unmündigkeit. Dagegen ist das eigenhändige Töten ein Filter, der einer infantilen Konsumentenhaltung des Immer-mehr vorbeugt“. Wer das Töten als zum Leben gehörend annimmt und weder verdrängt noch leugnet, der werde zwar kein besserer aber ein mündiger Mensch. „Nichts ist verhängnisvoller als der realitätsferne Glaube an eine gleichsam mit der Geburt geschenkte Güte des Menschen, ob als Jäger oder als Liebhaber. Wir sind gefallene, keine schwebenden Engel. Wir können angesichts der Jagdleidenschaft unseren Tötungs- und Todestrieb ebensowenig leugnen wie unsere Lust am Sex.“

In diesem essayistischen Gang durch das Jagdrevier mischen sich Anekdoten mit Exkursen in Jagdgeschichte und Wildkunde, in Philosophie wie in Psychologie, in Literatur und Mythologie. Das alles in einer Sprache, die sehr anschaulich und manchmal durchaus poetisch („die Luft duftet nach frisch gewaschenem Herbst“) daherkommt; angereichert mit spitzen Kommentaren wider den Zeitgeist oder auch die eigene Zunft, der zuviel Loden, aber zu wenig Leidenschaft anhafte. Insgesamt werden die Grünröcke nicht verklärt, werden negative Erscheinungen nicht unkritisch ausgeblendet. Asche verschweigt nicht, daß am Unverständnis, mit dem man ihnen begegnet, die Jäger zum Teil auch selbst schuld sind, noch dazu, wenn sie in einer Sprache reden, die niemand außer ihnen versteht. Völlig normal ist auch, daß man sich nicht unbedingt jeder Beurteilung des Autors anschließen möchte.

„Jagen, Sex und Tiere essen“ ist provokativ, gewiß, aber eben nicht platt. Man kann es als Manifest für das einfache Leben, für die dreckigen Hände und gegen das Igitt lesen: „Ein Archaiker ist jemand, der sich für die einfachen, grundlegenden Dinge des Lebens begeistert, der die Nase voll hat von Schnickschnack und Schischi.“ Dabei geht es nicht um eine zivilisationskritische Anleitung zum „Aussteigen“ und schon gar nicht um eine Rechtfertigung ungehemmten Trieb-
auslebens. Sondern es ist ein Plädoyer für mehr Selbsterkenntnis. Was ich tue, tue ich nicht nur, weil es vernünftig, sinnvoll ist, sondern ich tue es, weil ich Lust dazu habe und diese Lust etwas zutiefst Menschliches ist. „Akzeptieren wir also die kränkende Einsicht, daß der Tötungstrieb wie er uns in der Jagd begegnet, ebenso Teil der menschlichen Natur ist wie der Sex, dann stellt sich die entscheidende Frage der Ethik: Wie gehen wir mit unseren Trieben um?“

Darüber hinaus geht es immer wieder um die Wertschätzung dessen, für das man Zeit braucht. Wie ein Braten vom selbsterlegten Wildschwein etwa. Von der Pirsch bis zum fertigen Essen dauert es. „Gerade die Zeit, die wir uns nehmen, wenn wir anderen Liebe schenken, ist in einer Zeit ohne Zeit das höchste Gut. (...) Wer sich die Zeit nimmt, ist ein Kümmerer und sorgt für eine warme Höhle.“

Wer das Bändchen gelesen hat, meldet sich nicht umgehend zum Jagdschein-Lehrgang an. Doch er wird die Welt der Waidmänner (und -frauen) sicherlich mit anderen Augen betrachten. Und vielleicht bei der ein oder anderen Gelegenheit daran denken, warum der Mensch ein jagendes Wesen ist. Nicht nur an Feiertagen.

Florian Asche: Jagen, Sex und Tiere essen. Die Lust am Archaischen. Verlag Neumann-Neudamm, Melsungen 2012, broschiert, 191 Seiten, 16,95 Euro

Foto: Ein warmes Plätzchen im tiefverschneiten Wald: „Liebhaber sind wir dort, wo wir unsere Egoismen aufgeben und lernen, zu verzichten“

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