© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„V-Männer sind Verräter“
Marcus Schmidt

Es begann in Thüringen. Egal, ob sich das unübersichtliche Knäuel aus Indizien, Verdächtigungen und Mutmaßungen rund um die der sogenannten Zwickauer Terrorzelle zugeschriebene Mordserie jemals entwirren läßt – den Anfang nahm alles in Jena. Das ist sicher.

Aus diesem Grund hatte der NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages, der sein Augenmerk im neuen Jahr auf die Ursprünge der Zwickauer Zelle richten will, in der vergangenen Woche die Mitglieder der sogenannten Schäfer-Kommission geladen. Die Kommission um den früheren Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Gerhard Schäfer war nach dem Auffliegen des Trios eingesetzt worden, um Fehler der Behörden des Freistaates bei der Suche nach Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu untersuchen. Das im Mai vorgelegte Gutachten, das dem NSU-Ausschuß als Grundlage für seine Untersuchungen zur Vorgeschichte und dem Abtauchen des Trios dienen wird, listet zahlreiche Versäumnisse und teilweise haarsträubende Fehler von Polizei und Verfassungsschutz auf. Mit Blick auf das Landeskriminalamt sprach Schäfer im Ausschuß von „chaotischen Ermittlungen“ und „grauenvollen Akten“. Besonders gravierend seien die Versäumnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz gewesen. Zwar habe das Amt über erstklassige Erkenntnisse zum Verbleib von Mundlos Böhnhardt und Zschäpe verfügt, weil V-Leute eine Menge „bestes Material“ geliefert hätten. Allerdings seien diese Hinweise nie ausgewertet worden.

Das holte die Schäfer-Kommission im Zuge ihrer Ermittlungen nach und ließ alle Erkenntnisse über das Trio, die nach dem Untertauchen bei den Behörden aufgelaufen waren, an einem Flipchart aufschreiben. Als den ehemaligen Ermittlern diese Zusammenfassung gezeigt wurde, seien diese „bleich“ geworden, berichtete Schäfer. Plötzlich war klar: Man hätte schon damals schwarz auf weiß nachlesen können, daß sich das Trio nach dem Untertauchen 1998 durch Banküberfälle finanzierte und dabei war, sich zu bewaffnen. Doch die Erkenntnisse versickerten.

So etwas künftig zu verhindern, ist auch Aufgabe der Bund-Länder Expertenkommission Rechtsterrorismus. Das Gremium, das bislang von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gearbeitet hat, soll vor allem die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern untersuchen. In einem jetzt vorgelegten Zwischenbericht, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, attestiert die Kommission sowohl dem Verfassungsschutz als auch der Polizei und den Staatsanwaltschaften Fehler bei den Ermittlungen zur NSU-Mordserie. Dennoch raten die Fachleute von einer Zusammenlegung der 17 Verfassungsschutzbehörden in Deutschland ab. Allerdings müsse der Informationsfluß grundlegend verbessert werden. Zum grundsätzlichen Problem des Einsatzes von V-Leuten äußert sich die Kommission nur im Zusammenhang mit dem Quellenschutz. Gerhard Schäfer hat sich dagegen eine abschließende Meinung gebildet: „V-Männer sind keine Edelmänner, V-Männer sind Verräter.“

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