© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Gefährliches Wegschauen
Terrorismus: Unabhängig davon, ob Islamisten die Bombe im Bonner Bahnhof gelegt haben, treiben die Behörden ein unverantwortliches Spiel
Michael Paulwitz

Am Ende hat wohl nur die Schlamperei der Bombenleger die ehemalige Bundeshauptstadt vor einer Katastrophe bewahrt – und die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden vor einer blutigen Blamage. Eine verdächtige Tasche, die aufmerksame Jugendliche am Montag nach dem zweiten Advent an Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs entdeckt hatten, entpuppte sich als brandgefährliche Terrorbombe nach Al-Qaida-Anleitung, die bereits gezündet worden und nur wegen eines Konstruktionsfehlers nicht explodiert war.

Volle fünf Tage brauchte der Generalbundesanwalt, der noch am Mittwoch nach dem Bombenfund „keinen Ermittlungsansatz“ für islamistischen Terrorismus gesehen hatte, um schließlich doch noch die Untersuchungen an sich zu ziehen, dem Bundeskriminalamt zu übertragen und so den Kompetenzstreit zwischen der Bonner Staatsanwaltschaft und der Polizei im rivalisierenden Köln aufzulösen. Vorangegangen war ein abenteuerliches Hin und Her. Aufgrund von Zeugenaussagen war zunächst der Somalier Omar D. als jener große dunkelhäutige Mann identifiziert worden, der die Bombe am Gleis abgestellt haben sollte, mußte jedoch wenig später wieder freigelassen werden.

So harmlos, wie ihn sein türkischer Anwalt im Brustton der Empörung darstellt, ist Omar D. freilich nicht. Der Mann gehört seit Jahren zum harten Kern der militanten Islamistenszene in Bonn und wurde schon im September 2008 aus dem Flugzeug heraus verhaftet, unter dem Verdacht, er wolle ein Terrorcamp in Pakistan besuchen – zusammen mit Abdirazak B., der sich später tatsächlich den somalischen Al-Shabaab-Milizen anschloß und inzwischen als Hauptverdächtiger im gescheiterten Bonner Bombenanschlag gilt.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) übertreibt also nicht, wenn er Deutschland „im Fadenkreuz des dschihadistischen Terrorismus“ sieht; und wohl auch nicht, wenn eine interne „Gefährdungseinschätzung“ seines Ministeriums vor einem erhöhten Anschlagsrisiko auf Weihnachtsmärkten warnt; das christliche Fest und der Weihnachtsmann sind Haßpredigern wie dem Kölner Sozialhilfe-Betrüger Ibrahim Abou-Nagie seit je und auch in diesen Tagen wieder Anlaß für wütende Hetze.

Daß Bonn das „deutsche Zentrum des Dschihadismus“ (Frankfurter Allgemeine Sonnatagszeitung) darstellt, ist seit langem bekannt; und daß Islam-Fanatiker die allenthalben frei verfügbaren Hetzreden mal wieder in die Tat umsetzen wollten, ist demnach keine Überraschung und im Köln-Bonner Raum auch keine Neuigkeit – schon im Jahr 2006 war der Versuch der Kölner „Kofferbomber“, zwei Züge in die Luft zu sprengen, nur an einem Konstruktionsfehler gescheitert. Wohl nicht nach der Sprengkraft, aber in der Bauart weist die Bonner Bombe nach Angaben der Ermittler starke Parallelen zu den Kofferbomben auf, die in Madrider Regionalzügen 2004 fast zweihundert Menschen getötet hatten. Der Bombenbauer hatte sich, ungeachtet seiner Schlamperei, fundierte Kenntnisse angeeignet – „kein Dummejungenstreich“, räumt der Polizei-Einsatzleiter ein.

Das wirft die Frage auf, warum der Anschlag im Brennpunkt Bonn ungestört vorbereitet und fast ausgeführt werden konnte, ohne daß die Behörden – anders als etwa im Fall der Sauerland-Zelle – davon etwas mitbekamen. Die Antwort geht unter in den üblichen Ablenkungsritualen, etwa dem voraussehbaren Streit um mehr Videoüberwachung innerhalb der Koalition zwischen Bundesinnenminister Friedrich und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), zwischen Regierung und Opposition, und als neue Variante zwischen Bahn und Bundespolizei, die sich wechselseitig die Verantwortung für die fehlenden Videoaufzeichnungen vom fraglichen Bahngleis zuschieben.

Tatsächlich sind die markigen Rufe nach mehr Überwachungskameras und höherer Bürgerwachsamkeit Ausdruck politischer Hilflosigkeit angesichts einer munter florierenden islamistischen Terrorszene. 500 Salafisten zählt noch der aktuelle Verfassungsschutzbericht für Nordrhein-Westfalen, über tausend haben die Sicherheitsbehörden inzwischen im Visier – je genauer man hinschaue, desto mehr würden registriert, erklärte Verfassungsschutzchef Burkhard Freier kürzlich im Düsseldorfer Landtag.

So genau, daß man die Bonner Bombenbauer schon vor ihrem mißglückten Zündungsversuch erkannt hätte, hat man allerdings doch nicht hingeschaut. Innenminister Ralf Jäger (SPD), dem im „Kampf gegen Rechts“ wider mißliebige islamkritische Bürgerbewegungen kein Mittel zu scharf ist, muß sich deshalb kritische Fragen gefallen lassen.

Unbeeindruckt verkündet der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek weiter, der „rechtsextreme Terror“ sei, begünstigt durch eine angeblich einseitige Fixierung der Öffentlichkeit auf den Islamismus seit dem 11. September 2001, nach wie vor das wahre Problem, „unser 9/11“. An politisch-medialen Sekundanten, die gegen jede Chronologie die Militarisierung der Islamszene auf provokative Pro-NRW-Kundgebungen zurückführen, fehlt es ebenfalls nicht. Mit fast schon begieriger Erleichterung griffen einige Medien die Hypothese des stellvertretenden Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Bernd Carstensen auf, es könne „rein theoretisch so sein, daß auch Rechtsextremisten den Eindruck vermitteln wollten, Salafisten wollten den Bahnhof sprengen“. So mancher scheint sich zu wünschen, die Zahl der Islamisten und die von ihnen ausgehende Bedrohung durch Wegschauen wieder kleiner werden zu lassen – jedenfalls in der Statistik.

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