© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

„Angst und Schrecken im Herzen“
Ägpyten erlebt Tage der Entscheidung – doch während sich die Medien vor allem für die „Generation Tahrir“ interessieren, stehen die Kopten mit dem Rücken zur Wand. Dabei sind sie nicht einfach eine Minderheit, sondern die „Ureinwohner“ des einstmals christlichen Landes
Moritz Schwarz

Exzellenz, die Kopten sind heute Minderheit im eigenen Land.

Damian: So ist es. Kopte ist das griechische Wort für Ägypter und meint uns Ureinwohner, die Nachfahren der Pharaonen; im Gegensatz zu den Arabern, die – und der Islam – erst viel später ins Land kamen. So ist Ägypten ursprünglich auch kein moslemisches, sondern eines der ältesten christlichen Länder der Welt. Vor allem aber ist es für uns Kopten nicht nur ein Land, in dem wir leben, sondern Ägypten lebt in uns.

Heute stellen die Kopten nur noch sechs bis zwanzig Prozent – die Angaben schwanken – der Einwohner ihres Landes. Wie konnte es dazu kommen?

Damian: Ursache ist die Einwanderung der Araber im 7. Jahrhundert. Zum einen war da in deren Folge die immer wieder blutige islamische Unterdrückung, zum anderen die Demographie: Die Araber haben viel mehr Nachwuchs.

Sind sich die Araber bewußt, daß es eigentlich Ihr Land ist, in dem sie leben?

Damian: Wir Kopten sind uns dessen sehr bewußt, aber wir müssen vorsichtig sein, die Gefühle unserer arabischen Mitbürger nicht zu provozieren.

Menschenrechtsorganisationen warnen, zwei Jahre nach der Revolution in Ägypten leben die Kopten in Angst.

Damian: Mehr als 100.000 Kopten haben inzwischen das Land verlassen und zigtausend weitere sitzen auf gepackten Koffern. Aber nicht nur wir Christen haben Angst, auch die moderaten Muslime.

Warum?

Damian: Weil die neuen Machthaber das Ziel haben, Ägypten systematisch zu islamisieren. Der Präsident zeigt dabei ein hohes Durchsetzungsvermögen und hinter ihm stehen die Islamisten, die ihr Vorhaben konsequent verfolgen und dabei über Leichen gehen.

Aber mit dem moderaten Mohammed Mursi sitzt immerhin ein Pragmatiker, kein Vertreter des radikalen Flügels der Muslimbrüder auf dem Präsidentenstuhl.

Damian: Moderat? Bitte stellen Sie meine Geduld nicht auf die Probe; angesichts dessen was passiert, was Kopten und moderate Muslime zu erdulden haben, klingt das wie Hohn in den Ohren.

Aber die neue Verfassung, über die am 15. Dezember in erster Runde und am 22. Dezember endgültig abgestimmt wird, erkennt ausdrücklich auch die Christen an!

Damian: Ich bitte Sie, lesen Sie dort einmal nach! Welche Rechte haben wir denn? Verglichen mit dem Islam sind wir allenfalls geduldet. Es ist der Islam, der dort jede Unterstützung des Staates genießt. Und die Christen? Nichts!

Präsident Mursi hat dem Patriarchen Ihrer Kirche ausdrücklich gleiche Rechte für die Christen zugesichert und sogar den Wunsch geäußert, einen Kopten zu seinem Stellvertreter zu ernennen. Schon sein Vorgänger Hosni Mubarak erklärte die koptische Weihnacht zum Nationalfeiertag und berief erstmals einen Kopten als Gouverneur.

Damian: Inzwischen gibt es auch eine koptische Ministerin, aber das sind Ausnahmen, die die Welt beruhigen sollen. Tatsächlich aber schreitet die Islamisierung voran. Ich konnte es mit eigenen Augen sehen: In Kairo versammelten sich die Menschen scharenweise. Sie schrieen: „Der Islam ist die Lösung!“, warfen sich nieder und beteten. Ich dachte: Gott, das ist nicht mehr das Ägypten, das ich kenne! So viel Angst und Schrecken hatte ich noch nie in meinem Herzen.

Was bedeutet das für die Kopten konkret?

Damian: Wir leben heute als Bürger zweiter oder dritter Klasse im eigenen Land. Wir genießen kaum Schutz, keine Gleichberechtigung, etwa am Arbeitsplatz. In einigen Medien wird offen gegen uns Christen gehetzt. Es werden Gerüchte verbreitet, wir seien eine Bedrohung. Dabei haben wir keine Waffen, keine Lobby, kaum politisches Gewicht. Trotzdem reicht ein Imam, der die Leute aufhetzt und sie gehen auf uns los, während die Behörden wegschauen, wenn sie die Gewalt gegen uns nicht sogar protegieren oder selbst anzetteln!

4.000 Kopten, so meldet die „Gesellschaft für bedrohte Völker“, sollen in den letzten Jahrzehnten getötet worden sein.

Damian: Seit Beginn der islamischen Eroberung beläuft sich die Zahl der koptischen Opfer auf schätzungsweise über eine Million. Davor haben wir Kopten schon einmal eine Million unter der Besatzung Ostroms verloren. Das ist der Grund, warum die koptische Kirche heute als Märtyrerkirche gilt und viele davon sprechen, es sei ein Wunder – wenn nicht gar das achte Weltwunder –, daß es die Kopten heute überhaupt noch gibt.

Dabei kam der Islam zunächst friedlich.

Damian: Die Anfänge waren sogar sehr friedlich, so daß wir die Ankunft der Araber begrüßten. Wir hofften, so der Besetzung durch Byzanz zu entkommen, das unser Land unterdrückte, unsere Kirche verfolgte, so daß unser Patriarch versteckt leben mußte – obwohl die Oströmer selbst Christen waren. Doch auch die islamische Eroberung entpuppte sich als Fluch, denn es folgten Epochen der Entrechtung und blutigen Unterdrückung, die, wie gesagt, eine weitere Million Kopten das Leben kostete.

An Neujahr 2011 gingen die Bilder des schweren Bombenanschlags auf eine koptische Kirche in Alexandria um die Welt, 23 Gottesdienstbesucher starben, 97 wurden verletzt – auch acht Muslime. In den folgenden Tagen tobten Straßenkämpfe mit Flaschen und Steinen.

Damian: Es gab immer wieder solche Angriffe. Neben dem Neujahrsmassaker 2011 ragt das von El-Kosheh 2001 mit 21 Toten heraus oder jenes am Weihnachtsabend 2009, bei dem Attentäter sechs koptische Gottesdienstbesucher erschossen. Wenige Tage nach dem Neujahrsmassaker schoß ein Polizist in Zivil auf eine Gruppe Kopten, tötete einen, verletzte fünf schwer. Er hatte sie an ihren grünen Kreuzen erkannt, die viele Kopten über die Pulsadern tätowiert haben. Ein Bekenntnis, daß wer uns unseren Glauben nimmt, uns ebensogut unser Leben nehmen kann! Im Februar griffen Soldaten der Armee ein koptisches Kloster mit automatischen Waffen an, im Mai Salafisten eine koptische Kirche in Kairo. Bei den folgenden Straßenschlachten starben zwölf Menschen, fast 250 wurden verletzt. Im Oktober 2011 demonstrierten Tausende Kopten friedlich gegen das Niederbrennen ihrer Kirchen – aber die Armee rollte mit Panzern in die Menge, 21 Tote.

Doch auch die Kopten provozieren mitunter. Im September 2012 empörte der von einem amerikanischen Kopten produzierte Internetfilm „Die Unschuld der Muslime“ die islamische Welt.

Damian: Moment, an dem Film war lediglich ein Kopte als Autor beteiligt.

Der koptische US-Produzent hat seine Verantwortung allerdings doch eingestanden.

Damian: Es ist nicht recht, eine Religion zu beleidigen, wie es der Film tut, ich verurteile das klar und deutlich. Aber das darf auch nicht als Rechtfertigung für Gewalt dienen. Wir Kopten rufen auch nicht dazu auf, wenn etwa ein Imam die Heilige Schrift öffentlich zerreißt und auffordert, darauf zu pinkeln.

In den deutschen Medien geht es beim Thema Ägypten meist nur um die jungen Leute vom Kairoer Tahrir-Platz, kaum aber um die Lage der Christen im Land.

Damian: Das ist bedauerlich, aber ich kenne auch viele Deutsche, die uns Kopten unterstützen und für deren Hilfe und Gebete wir sehr dankbar sind.

Ist den Deutschen nach Ihrer Erfahrung klar, daß das Christentum im Osten nicht nur älter und dort angestammter ist als der Islam, sondern auch älter als das Christentum im Westen?

Damian: Das wissen wohl eher wenige, dabei ist die Heimat des Christentums in der Tat der Ostmittelmeerraum. Vier der fünf Patriarchen der Urkirche kamen aus dem Osten: Jerusalem, Konstantinopel, Antiochia und Alexandria – und nur einer, der Patriarch Roms, aus dem Westen. Und unter diesen kann die koptische Kirche als die älteste christliche Kirche der Welt gelten. Zwar entstand sie nominell erst 451 mit der Aufspaltung der Urkirche auf dem Konzil von Chalkedon, bei dem im Westen auch die Katholische Kirche entstand, aber ihre Ursprünge gehen auf den Apostel Markus zurück, der das Christentum persönlich nach Ägypten gebracht hat, nachdem zuvor die heilige Familie schon in Ägypten zeitweilig Asyl gefunden hatte. So wurde die ägyptische Kirche zu einer Mutterkirche der Christenheit.

Etwa entstand das Mönchswesen, das für die Entwicklung des Abendlandes von entscheidender Bedeutung war, in Ägypten.

Damian: Von wo aus es sich im Mittelalter über ganz Europa ausbreitete. Die Mönchsklöster waren schließlich jahrhundertelang Träger und Zentren, nicht nur des geistlichen, sondern auch des geistigen Lebens in Europa und haben mit dafür gesorgt, daß der Kontinent sich schließlich modern entwickeln konnte. Aber aus Ägypten stammt auch die überaus wichtige Alexandrinische Schule, für Jahrhunderte eines der geistigen Zentren der christlichen Welt – Stichwort Bibliothek von Alexandria. Ebenfalls große Bedeutung erlangte der das Christentum prägende nordafrikanische Kirchenvater Augustinus. Und auch auf Deutschland hatte die koptische Kirche einigen Einfluß.

Inwiefern?

Damian: Irland und England, von wo aus Deutschland im 7. Jahrhundert christianisiert wurde, wurden ihrerseits von Kopten missioniert. Das Mönchstum breitete sich schließlich auch in Deutschland aus, daher kommt etwa der Name der bayerischen Hauptstadt München. Etliche Kopten wurden außerdem zu Schutzheiligen bedeutender christlicher Zentren Deutschlands, wie Magdeburg, Köln, Bonn oder Trier, wo unter anderem der heilige Athanasius, auch ein Kopte, lehrte. Und auch Ihr Vorname, lieber Herr Schwarz, stammt von einem koptischen Heiligen, dem heiligen Mauritius.

Heute ist Deutschland allerdings ein zunehmend entchristlichtes Land.

Damian: Wenn ich durch die deutschen Städte gehe und sehe, wie reich und prachtvoll die Straßen weihnachtlich geschmückt sind – was bei uns nicht möglich ist, weil dies die Muslime provozieren würde –, dann wird doch allerdings klar, hier kann nur die Geburt eines ganz Großen gefeiert werden!

Wohl eher des Gottes Mammon ...

Damian: Nun sicher, was Europa heute fehlt, ist der Hauch der spirituellen Tradition, die bei uns sehr stark ist und von der sich die Europäer inspirieren lassen könnten. Die koptische Messe ist ein Mysterium, egal, wie oft man ihr beiwohnt, immer wieder erfährt man diesen Durst nach ihrer Spiritualität. Aber ich kenne auch viele deutsche evangelische und katholische Christen mit starkem Glauben, wunderbare Menschen! Und es ist großartig zu sehen, daß ihre christlichen Gemeinden reich und ihre Kirchen sicher sind – keiner käme auf die Idee sie anzuzünden und zu zerstören, wie bei uns.

Im Irak droht dem dort ebenfalls schon vor dem Islam angestammten chaldäischen Urchristentum inzwischen die Auslöschung.

Damian: Diese Angst hegen wir auch für Ägypten. Wir streben keineswegs nach Missionierung der Muslime oder Rückgabe des Landes, wie uns gern unterstellt wird. Sondern wir wünschen uns nur, mit unseren arabischen Mitbürgern, die wir lieben und ehren, friedlich und gleichberechtigt leben zu dürfen.
Deshalb hoffen wir auf die vielen gutherzigen und moderaten Muslime, die es auch gibt, und mit denen gemeinsam wir als die Mehrheit der Ägypter die Islamisierung des Landes stoppen können und müssen, weil unser Land kulturell nicht ins 7. Jahrhundert zurückfallen darf!

 

Generalbischof Anba Damian, ist der Kopf der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland und damit hierzulande höchster Repräsentant des koptisch-orthodoxen Papstes Tawadros II. Geboren 1955 als Refaat Ramzi Mikhail Fahmi in Kairo, studierte er zunächst Medizin und arbeitete zehn Jahre als Krankenhausarzt in Deutschland, bevor er 1991 seiner Berufung folgte, Mönch zu werden, 1995 die Weihe zum Generalbischof erhielt. Die ägyptische koptisch-orthodoxe Kirche (rechts das koptische Kreuz) gilt als eine der ältesten christlichen Kirchen überhaupt. Etwa fünf bis zehn Millionen – verläßliche Zahlen gibt es nicht – der 82 Millionen Ägypter sind christlich; das sind etwa zwei Drittel der Christen des Nahen Ostens. Auf dem Weltverfolgungsindex der Hilfsorganisation „Open Doors“ rangiert Ägypten – bei fünfzig Plätzen insgesamt – auf Platz 15, noch vor China oder dem Sudan. Beobachter nennen die Kopten heute „fremd im eigenen Land“ , „Open Doors“ bezeichnet die Christen als „Verlierer des Arabischen Frühlings“.

Foto: Aufruhr in den Straßen – Regierungspanzer in Kairo, demonstrierender Kopte mit christlichem Kreuz und Landesflagge: „Die islamische Einwanderung begann friedlich, doch sie hat sich als Fluch erwiesen ... etwa eine Million Opfer seitdem haben die koptische Kirche zur Märtyrerkirche gemacht, manche nennen es das ‘achte Weltwunder’, daß es sie überhaupt noch gibt.“

 

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