© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Vieles bleibt rätselhaft
Keltenjahr 2012: Ein Museum in Lyon zeigt die Geschichte des römischen Gallien von seinen Anfängen bis zum Beginn des Frühmittelalters / JF-Serie – Teil sechs und Schluß
Karlheinz Weissmann

Zu den besonderen Schwierigkeiten bei der Erforschung der antiken Kelten gehört sicher das weitgehende Fehlen von Selbstzeugnissen. Die Kelten besaßen über lange Zeit keine eigene Schrift, später verfügten sie zwar über die technische Fertigkeit, nutzten sie aber nicht oder jedenfalls nicht in dem aus Hochkulturen bekannten Sinn. Aufgrund einer Notiz Cäsars muß man ein religiöses Tabu als Ursache vermuten, was nicht nur etwas über den Stellenwert der Religion in der Lebenswelt der Kelten deutlich macht, sondern auch erklärt, warum wir selbst für dieses zentrale Thema kaum Dokumente besitzen, die unmittelbar auf die Kelten zurückweisen. Nicht einmal die Götternamen können ganz sicher zugeordnet werden, im allgemeinen ist man auf die „interpretatio romana“, also die römische Auffassung der keltischen Gottheiten angewiesen, die auf Parallelisierungen beruhte, die einmal mehr, einmal weniger sinnvoll waren.

Die Rekonstruktion von „rein keltischen“ oder „urkeltischen“ Vorstellungen wird weiter dadurch erschwert, daß die keltische Zivilisation in sich sehr heterogen war und durch den Einfluß der hellenistischen oder römischen schnell ihren Charakter veränderte. Der wichtigste Fall einer solchen Symbiose war sicher die gallorömische, die schon vor der Niederlage des Vercingetorix ihren Anfang nahm, danach aber in einem so zügigen Tempo weiterging, daß schon am Ende des 1. Jahrhunderts die Romanisierung des späteren Frankreich als abgeschlossen gelten konnte.

Wichtige Zeugnisse dieses Prozesses bewahrt heute das Musée Gallo-Romain in Lyon. Der in eine Felswand gebaute Komplex in dem Vorort Fourvière erhebt sich am Rand der Überreste zweier wichtiger antiker Gebäude, des Amphitheaters und des Odeons, einer kleineren Bühne für Musikaufführungen. Allein deren Größe vermittelt schon eine Vorstellung von der Bedeutung des 43 vor Christus gegründeten Lugdunum, einer der ganzen Anlage nach römischen Stadt, die aber ihren Namen von dem keltischen Gott Lug (Lugdunum = Festung des Lug) hatte.

Das Gallorömische Museum, ein betont moderner Bau, zeigt die Geschichte des römischen Gallien von seinen Anfängen bis zum Beginn des Frühmittelalters. Man schreitet auf einer breiten Bahn spiralförmig nach unten von Sachbereich zu Sachbereich. Die Konzentration liegt naturgemäß bei Funden aus der Umgebung, deren Qualität allerdings wegen der Bedeutung des Rhonetals außerordentlich ist.

Jedenfalls nahmen die Provinzialen wie selbstverständlich am technischen Fortschritt, den Moden und der Entwicklung der Handelsbeziehungen teil. Das antike Lyon verfügte über große Handwerkerquartiere und Magazine, Villenviertel, Kasernen und beeindruckende Repräsentativbauten.Der Komfort erreichte ein bis dahin nicht gekanntes Niveau, der Geschmack richtete sich an dem aus, was in der Hauptstadt und den tonangebenden Kreisen vorgegeben wurde. Was man in Lyon an Plastiken, Glasobjekten und Mosaiken präsentiert bekommt, vermittelt einen nachhaltigen Eindruck von diesem Prozeß kultureller Assimilation, der die ursprüngliche Identität der Gallier fast vollständig aufsog.

Vieles von dem, was man in Lyon zu sehen bekommt, könnte so oder ähnlich auch in anderen Gegenden des Imperiums gefunden worden sein. Manches allerdings auch nicht, so der nach wie vor rätselhafte gallische Kalender, den man in Coligny gefunden und bis heute nicht entschlüsselt hat, oder die faszinierende Skulptur eines Kopfes mit drei Gesichtern, der ohne Zweifel eine keltische Gottheit repräsentiert, von der wir aber nicht einmal den Namen kennen.

Kontakt: Musée gallo-romain de Fourvière, 17 rue Cléberg, 69005 Lyon, Télefon: 04 72 38 49 30, E-Post: fourviere@rhone.fr

www.musees-gallo-romains.com

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen