© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Schwermütige Stimmung
Erstmals in Deutschland: Das Werk des französischen Malers Camille Corot in der Kunsthalle Karlsruhe
Hans-Georg Meier-Stein

Der französische Künstler Camille Corot ist hierzulande kaum bekannt, und die wenigen, die von ihm flüchtig Kenntnis genommen haben, reduzieren ihn zumeist auf einen Vorläufer der Impressionisten.

Dabei war Camille Corot (1796–1875) ein ganz originärer Kopf und völlig eigenständig in seinem Werk, das zwischen der Tradition der holländischen und französischen Landschaftsmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts und der Moderne angesiedelt werden muß. Was ihn auszeichnet, ist die Feinfühligkeit für visuelle Erlebnisse, die Poesie der Atmosphäre, tonale Werte, Farben, Licht und Schatten. Eine Erbschaft versetzte ihn in die Lage, ganz sein eigener Herr zu sein, unabhängig von Akademien, Auftraggebern, Mäzenaten und vom Kunstbetrieb mit seinen endlosen ästhetischen Disputen und Kontroversen. Deshalb auch seine Überlegenheit gegenüber der zu seiner Zeit dominierenden Salonmalerei. Corot war ein „Waldgänger“, um das mit einem Wort Ernst Jüngers zu sagen.

Camille Corot wurde in eine wohlhabende Tuchmacherfamilie hineingeboren. Die Neigung zur Kunst hatte er der Mutter zu verdanken, die ein exquisites Modegeschäft betrieb und ein Modemagazin für elegante Damen herausgab. Dem Wunsch des Vaters folgend, absolvierte Camille widerwillig eine kaufmännische Lehre und arbeitete zunächst einige Jahre im Tuchhandel. Da gibt es die rührende Geschichte, vom Junior selbst erfunden: Dem besorgten Vater, der sich den künstlerischen Ambitionen des Sohnes lange verschloß, soll er stets an dessen Namenstag (Louis Jacques) eindringlich seinen Wunsch vorgetragen haben, Maler werden zu dürfen, bis dieser schließlich dem Sohn seinen Willen ließ.

Sein Talent hat Camille Corot zuerst in den Pariser Ateliers geschult. Von seinen berühmten Lehrern Valenciennes, Michallon und Bertin wurde er in die Technik der Freilichtmalerei eingeführt. Freilich stand die Landschaftsmalerei nicht hoch im Kurs; Reputation genoß die Salonmalerei, und im Zeitalter der Restauration wurden historisch-royalistische Themen bevorzugt.

1826 folgt der Aufbruch Corots nach Italien, um dort – wie viele Künstler seiner Zeit – seine Lehre abzuschließen, um vor allem beim Anblick des „schönsten Gartens von Europa“ sein visuelles Empfinden zu schärfen. Zur Faszination des Schönen, zu Größe und Glanz des Landes gehörte auch sein Legendenbestand; jedes ruinöse Monument und jede romantische Meeresbucht erinnerte an bedeutendes Geschehen und großes Poetentum. Ein Großteil seiner Zeit verbrachte Corot in der Umgebung von Rom mit Malen und Zeichnen, oft in Gesellschaft von Edouard Bertin und dem Heidelberger Romantiker Ernst Fries.

Die frühen italienischen Landschaften Corots bilden einen ersten Höhepunkt seines Schaffens und werden von vielen Kennern seines Œuvres gegenüber späteren Werken bevorzugt. Was sie auszeichnet, ist der harmonische Zusammenklang zeitloser Schönheit, sinnlicher Präsenz des dargestellten Motivs und Spontaneität des Ausdrucks. Die klassizistische Strenge in den heroischen Landschaften von Claude Lorrain und Nicolas Poussin wird bei Corot aufgehoben durch den lyrischen Klang in seinen Landschaften, aber auch durch den größeren Realismus infolge eines intensiven Naturerlebens. Corot war indes ein einfühlsamer Schüler Lorrains, was sich in der Wiedergabe der zarten farblichen Nuancierung und feinen Schattierung des milden südlichen Lichts zeigt. Es sind stille, meist menschenleere Landschaften, die Corot in Italien malt. Bauwerke und Landschaft verbinden sich zu einem organischen Ganzen und scheinen in einem Jahrhundertschlaf zu liegen.

Corots zweite Italienreise 1843 führte ihn an den Gardasee. Die Skizzen und Bilder, die hier entstanden sind, zeigen den Blick von Riva über den See. Das ernste und feierliche Motiv dieser nächtlichen Seenlandschaft bei fahlem Licht über dem schimmernden Wasser mit düsteren rahmenden Felspartien oder dem dunklen Gespinst des wildnisartigen Waldes im Vordergrund erscheint bei Corot immer wieder. Die Traumbilder von starker Suggestionskraft spiegeln seine melancholische Neigung. Arkadische Züge schwingen in diesen lyrischen Seenlandschaften von archaischer Intimität mit; die elegische Stimmung wird unterstrichen durch das Motiv des dunklen Nachens auf dem glatten Wasser, das den Betrachter an Charon und Böcklins „Toteninsel“ denken läßt.

In der Landschaftsmalerei dominierten aufgrund des humanistischen Bildungsideals und der Verehrung der antiken Mythologie lange Zeit italienische Motive mit heroischen, pastoralen oder bukolischen, aber stets feierlichen Motiven. Erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts hatten romantisch bewegte Künstler Landschaft und Natur als heimischen Erlebnisraum und Ort der Selbsterfahrung ausgemacht, man denke nur an den Faustmonolog in „Wald und Höhle“. Natur erscheint jetzt als Abbild einer ewigen panvitalistischen Welt mit göttlichem Lebenshauch. Dieses qualitative Naturbild verbindet sich mit dem aufkommenden Nationalbewußtsein zu einem Stolz auf die Schönheiten der eigenen Landschaft, der sich in der französischen wie deutschen und sogar amerikanischen Landschaftmalerei niederschlägt.

So hatten französische Künstler den Reiz der Auvergne, der Kanalküste und die urbildliche Naturlandschaft im Wald von Fontainebleau, einem fürstlichen Jagdrevier in der Nähe von Paris, entdeckt. Die Schule von Barbizon ist bekannt geworden für ihre ganz neue Art der Landschaftswahrnehmung.

Die Dynamik der Epoche führt auch bei Corot zu einer erneuerten Bildauffassung. Da ist nun nicht mehr die lichtintensive Wärme des südlichen Himmels mit der sich im Weiten verlierenden Blässe an strahlenden Sommertagen. Die Farben werden dunkler, grau, bräunlich-schwarz gemäß dem regennassen Wetter und den düsteren Lichtverhältnissen in der Normandie, in die sich Corot zeitweilig zurückgezogen hat. Die atmosphärische Gesamtstimmung ist bestimmt durch Ruhe, Zeitlosigkeit und pathetische Schwermut.

Kaum bekannt ist Corot als Porträtmaler. Es kommt ihm freilich auch weniger auf die unverwechselbaren Züge in den Physiognomien seiner Personen an als auf ihre Gemütswelt, die empfindsame Psyche. So erscheinen dem Beschauer die Porträtierten in träumerischer, gedankenversunkener Abwesenheit. Auffallend ist die Nähe zur Porträtmalerei der Renaissance. Corots „Frau mit Perle“ ist in Haltung, Mimik, Kleidung, Haarpracht, mit den besonderen Lichtreflexen und insbesondere mit dem rätselhaften Blick auf den Betrachter eine Variation von Leonardos „Mona Lisa“.

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Januar 2013 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 07 21 / 9 26 33 59

www.kunsthalle-karlsruhe.de

Foto: Camille Corot, „Der See. Nachtstimmung“, Öl auf Leinwand, etwa 1870: „Die Natur ist eine ewige Schönheit“, hatte Corot einst notiert, aber gleichzeitig ist bei ihm auch immer die Wehmut über die Vergänglichkeit. Das Werk des französischen Künstlers umfaßt Landschaftsbilder, Zeichnungen, Skizzen, Druckgraphik, Porträts, Atelierbilder und Wanddekorationen. Eine Ausstellung in Karlsruhe gibt dazu einen guten Einblick.

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