© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

CD: A. Skrjabin
Die Wollust des Asketen
Sebastian Hennig

Der Dichter Ludwig Derleth begnügte sich nicht mit lyrischen Etüden. Es gingen „Proklamationen“ von ihm aus. Schwabinger Freunde tauften ihn darum „Jesus Bonaparte“. Solches Drängen lag in der Luft. Es war eine Epoche der proklamatorischen Kunst. In Wien fand Josef Martin Hauer ein Abbild der kosmischen Ordnung im musikalischen Zwölftonspiel. Und auch in Moskau rüstete sich der Ausnahmepianist Alexander Nikolajewitsch Skrjabin zu nichts weniger als messianischer Tat.

Skrjabins Vater stammte aus altem russischen Militäradel und schmiß für die Liebe zu einer Konzertpianistin sein Jurastudium hin. So erhielt der Sohn die Begabgung mit der Muttermilch. Dennoch drängte der Zehnjährige gegen den Wunsch seiner Vormünder erst einmal an die Kadettenschule, bevor er am Konservatorium studierte. Da erhielt er zum Abschluß 1892 die kleine Goldmedaille, während dem effektvollen Sergej Rachmaninow die große zuteil wurde.

Eine Erkrankung der strapazierten rechten Hand stürzt Skrjabin in Niedergeschlagenheit. 1905 erfolgt die Auferstehung mit seiner 3. Sinfonie „Le Poème divin“. Der Propheten hat seine Kanzel gefunden. Seine Privatreligion trägt theosophische und solipsistische Züge: „Die Welt ist ein schöpferischer Vorgang in mir, der seinerseits nichts anderes umschließt als die Welt.“

Bei Thorofon erscheint seit einigen Jahren eine Gesamteinspielung der Klavierwerke durch den indischen Pianisten Pervez Mody. Nun ist die dritte Lieferung erschienen. Der Virtuose Skrjabin mußte sich nicht als solcher verkaufen. Seine pianistischen Fähigkeiten verwertete er ausschließlich zur Propagierung der eigenen Werke. Dabei wächst seine Kunst aus jener der großen Vorgänger hervor, von denen er sich zum Eigenen hin ablöst.

Die aktuelle CD umspannt die Zeit von der 2. Sonate (1897) bis zur 7. Sonate (1911/12). Die „Sonate -Fantaisie op. 19“ knüpft an die raffinierte Regellosigkeit der „Quasi una Fantasie“-Sonaten Beethovens an. Auf den versonnenen ersten Satz folgt ein wildes Presto, von Skrjabin später selbst als „poetische Schilderung des stürmisch bewegten Meeres“ gedeutet. In seinen „Präludien“ klingt die Auseinandersetzung mit Chopin oder in den „Morceaux“ mit dem Wagner des „Tristan“ heraus. Die Sonate Nr. 7 op. 64 „Weiße Messe“ war ein Lieblingswerk des Musikers: „Das funkelnde Thema oder der Feuerbrunnen führt hin zum letzten Tanz, zur Auflösung durch das Eingreifen der Trompeten der Erzengel. Es ist wahrhaft ein Taumel – der letzte Tanz vor dem Augenblick der Entmaterialisierung.“ Hier beherrscht Skrjabins „Mystischer“ oder „Prometheischer Akkord“ die Klangwelt. Eine synästhetische Entsprechung zur Lyrik eines Stephane Mallarmé oder des frühen Stéfan George. Es triumphiert die trotzige Wollust der Asketen.

Der Interpret Pervez Mody war Stipendiat am Tschaikowskikonservatorium in Moskau. Für die Partitur dieser ambivalenten Kunst-Religion ist der Mann aus Bombay der richtige Exekutor. Kraftvoll und geschmeidig entfaltet er die Liturgie des Ästheten. Seit Jahren ist er in den internationalen Konzertsälen der beredtste Botschafter der Skrjabinschen Klavierkunst.

Pervez Mody Plays Scriabin Vol. 3 Thorofon, 2012 www.bella-musica-edition.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen