© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Pankraz,
der Schwarze Schwan und die Fragilität

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Dieses humorige Sprichwort hat seit einiger Zeit ein Gesicht, nämlich das von Nassim Nicholas Taleb (52), eines in der Branche wohlbekannten libanesischen Finanzexperten und Hedgefonds-Gründers, der 2007 das Buch „Der Schwarze Schwan“ auf den Markt warf und damit weltweites Aufsehen erregte. Talebs „Schwan“ wurde in Dutzende von Sprachen übersetzt und gilt nun allerorten als finanzpolitische Lehrfibel. „Ach, hätten wir die doch früher in die Hand gekriegt“, stöhnten all jene, die durch die gerade ausbrechende Finanzkrise ihr Geld verloren hatten.

Dabei ist die Botschaft, die der „Schwarze Schwan“ transportiert, überaus simpel, ja geradezu banal. Sie lautet: Trau im Leben und speziell beim Umgang mit Geld niemals einer Theorie, keiner Trendansage, keiner Statistik, keiner „wissenschaftlichen Prognose“, am allerwenigsten mathematischen Modellen! Verlaß dich einzig und allein auf dein spontanes Bauchgefühl! Denn Ökonomen, Historiker, politische Entscheidungsträger, Geschäftsleute, Bankiers – keiner von denen weiß mehr als du. Was sie zu wissen glauben, ist nichts als Illusion, Einbildung, mit einem Wort: Schwarzer Schwan.

Taleb hat seine Wall-Street-Karriere einst selber als Finanzhistoriker und eifriger Verfertiger von „unfehlbaren“ mathematischen Modellen zur Gewinnmaximierung begonnen. Er fiel damit auf die Nase – und wandelte sich vom mathematischen Saulus zum skeptischen Paulus, und zwar mit einer solchen Konsequenz und einer solchen Bekennerwut, daß es Pankraz richtig unheimlich wurde, obwohl er sonst einem soliden empirischen Skeptizismus durchaus nicht abgeneigt ist. Hier aber hat einer nicht nur das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, sondern auch gleich die ganze Badewanne in Trümmer gehauen.

Jetzt ist ein neues Buch von Taleb erschienen, in dem er sein Wüten fortsetzt und es mit einer makabren Pointe versieht: „Antifragile: How to Live in a World We Don’t Understand“ (Penguin Books, London 2012, Taschenbuch, 544 Seiten, bei Amazon zu beziehen für 13,95 Euro). Alles ist Zufall, erfahren wir gleich eingangs, war immer Zufall und wird immer Zufall sein sein. Wer etwas anderes behauptet, lügt entweder oder er redet irre.

Was wir zu erkennen glauben, ist lediglich „Verzerrung“, entweder „narrative Verzerrung“ (indem wir irgendwas erzählen, um uns einen Vers zu machen, welcher angenehm in den Ohren klingt) oder „ludische Verzerrung“ (indem wir wie spielende Kinder irgendwelche Bauklötzchen – ein „Modell“ – übereinanderstapeln) oder aber „statistisch-regressive Verzerrung“ (indem wir glauben, daß sich das Wesen einer Zufallsverteilung aus einer Maßreihe erschließen läßt). Ob Erzählung, Modellierung oder statistische Berechnung – das eine ist so sinnlos wie das andere.

Inzwischen hat freilich auch Taleb gemerkt, daß er mit seinem als Skeptizismus aufgedonnerten Nihilismus den Menschen jederlei Hoffnung und jederlei Freude am Leben nimmt. Er sinnt darüber nach, wie er die mutlos Gemachten wieder aufrichten kann, und er findet die Lösung im „Antifragilismus“; daher auch der Titel des neuen Buches. „Fragil“ kommt vom lateinischen „frangere“ (= brechen) und heißt in allen Sprachen dasselbe: zerbrechlich, brüchig, zart, schwach, anfällig. Wir Menschen, sagt Taleb, sind von Natur aus fragil, wollen schützende Bergung, und genau das führt ins Verhängnis.

In einer Welt, die wir nicht verstehen, nicht verstehen können, müssen wir „antifragil“ werden, nur so können wir überleben und auch Freude am Leben erlangen. Antifragil heißt stabil, robust, widerstandsfähig. Der antifragile Menschentyp der Zukunft sollte stabil, robust und widerstandsfähig sein, sozusagen „hart wie Kruppstahl“. Was die Zukunft braucht, sind keine fragilen Poeten und Geschichtenerzähler, keine zwickerbewehrten „Wissenschaftler“, die doch nur Unsinn dekretieren, und keine ewigen Kinder, die mit Bauklötzchen herumspielen, sondern Männer und Frauen der direkten Tat.

Soweit also der Wall-Street-Banker und Epistemologe Nassim Nicholas Taleb. Wir verstehen schon: Sein Schwarzer Schwan hat sich gewissermaßen in einen riesigen Schmutzgeier mit struppigem Gelegenheitsgefieder verwandelt. Das ist gut fürs Geschäft. Denn beim Hedgefondsgründen und Derivateerfinden nützen nie und nimmer hochgestochene Theorien und Modelle, sondern einzig hartes, sofortiges Reinhacken und die wilde Entschlossenheit, keinen anderen an das Aas heranzulassen, sich ganz allein den Kropf bis zum Gehtnichtmehr vollzustopfen.

Aber die Rechnung geht nicht auf. David Runciman hat im Londoner Guardian Talebs „Antifragile“ als ein „zutiefst antisoziales Buch“ bezeichnet – es ist jedoch trotz seiner vielen philosophischen Wichtigtuereien in erster Linie ein zutiefst törichtes Buch. Zu behaupten, wir brauchten im Leben weder Theorien noch Pläne, noch Modelle, zeugt von eklatanter Realitätsblindheit. Es geht ja primär gar nicht darum, ob Prognosen und Modelle genau zutreffen oder stets nur im Ungefähren verbleiben, entscheidend ist, daß wir sie haben. Nur deshalb sind wir Menschen und keine zauseligen Schmutzgeier.

Und was die Fragilität betrifft: Taleb hat noch gar nicht bemerkt, daß sich bei diesem Wort im Zeichen der modernen Technik ein tiefgreifender Bedeutungswandel vollzogen hat. „Fragil“ meint heute gar nicht mehr Zerbrechlichkeit und Anfälligkeit, sondern ganz im Gegenteil äußerste Stabilität bei minimalstem Kraft- und Materialaufwand. Symbol dafür sind die modernen Brücken, die sich fast wie Spinnweben über gewaltigste Täler oder Belte spannen und dennoch jeder Belastung trotzen.

Fragilität ist inzwischen zum allgemein akzeptierten Ideal jeglicher Technik und Lebenbewältigung geworden, feingliedrig und trotzdem stabil, anmutig und trotzdem widerstandsfähig. Es kommt eben immer anders, als man denkt. Selbst Nassim Nicholas Taleb wird das vielleicht eines Tages lernen.

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