© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

„Speak Deutsch“
Andrássy-Universität Budapest: Zehn Jahre nach ihrer Gründung hat sich das Konzept der deutschsprachigen Uni bewährt
Reinhard Liesing

Think global, act local, go international – speak Deutsch!“

Wenn es um ihr Selbstverständnis geht, ist die im Jahr 2002 gegründete deutschsprachige Andrássy-Universität in Budapest (AUB)nicht nur ein wissenschenschaftlicher „Brückenkopf“ in Richtung Südosteuropa, ein europäisches „Leuchtturmprojekt“, sondern ein „Faszinosum“.

„Auf Traditionen“ aufgebaut, so der Rektor der AUB, András Masát, bildet sie eine „einmalige“ Symbiose von deutscher Sprache, „internationalem Milieu und europäischem Aspekt“.

Diese Einmaligkeit besteht nicht nur darin, daß die Studenten aus Usbekistan oder Kroatien in fließendem Deutsch deren familiären Charakter hervorheben oder die gute akademische Ausbildung in kleinen Gruppen loben.

Auch wenn es in Geschichts- und Politikwissenschaft spannend werden soll, sticht die AUB heraus. Dieser Eindruck verfestigt sich angesichts von Aussagen in Referaten und grundstürzenden Forschungsergebnissen, die soeben auf der internationalen Konferenz „Südtirol in Vergangenheit und Gegenwart“ vorgetragen worden sind. Da tat der in Hildesheim lehrende Historiker Michael Gehler kund, die Südtirolfrage sei „Ergebnis eines entfesselten italienischen Nationalismus, der durch Expansionsbestrebungen gekennzeichnet war“ und unterstrich: „Die Südtirolfrage ist nach wie vor offen; es ist nichts entschieden.“

Ebenso starkes Erstaunen im Publikum riefen Ergebnisse jahrelanger Forschungen Hubert Speckners von der Wiener Landesverteidigungsakademie hervor. Der Oberst unterzog bei erstmaliger Auswertung bisher unveröffentlichter Sicherheitsdokumente den „Vorfall auf der Porzescharte“ – wie er das bisher als „Terroranschlag“ eingestufte Ereignis nennt – einer gänzlichen Neubewertung. Der Vorgang, bei dem am 25. Juni 1967 vier italienische Soldaten respektive Carabinieri zu Tode kamen (JF 28/07), hatte seinerzeit zu höchsten Spannungen zwischen Österreich und Italien geführt. In Italien waren drei Österreicher in Abwesenheit zu hohen Haftstrafen verurteilt, in österreichischen Prozessen dagegen „in dubio pro reo“ freigesprochen worden. Speckner deckte nun Ungereimtheiten auf, bringt italienische Dienste und Angehörige der ominösen „Gladio“-Einheiten sowie die damalige „Strategie der Spannungen“ ins Spiel und resümierte: „Die drei, die dafür verantwortlich gemacht worden sind, waren es mit absoluter Sicherheit nicht.“

All das und einiges mehr hat nicht nur Madeleine Kohl, eine Südtiroler Studentin an der AUB, in Bann gezogen, sondern nicht wenige ihrer Kommilitonen dazu bewogen, sich mit der Südtirolproblematik näher zu befassen.

Doch nicht nur die Minderheitenpolitik steht im Fokus der Veranstaltungen der Uni. So veranstaltete sie Anfang Dezember eine Konferenz zum Thema Konservatismus im 21. Jahrhundert. Die Passauer Professorin für Politikwissenschaft Barbara Zehnpfennig referierte über das Thema „Die Grenze im Kopf – die Prägung des Denkens durch das Leben im totalitären System“ am Beispiel der DDR. Jugendoffiziere der Bundeswehr veranstalteten ein sicherheitspolitisches Seminar, und der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof sprach über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, und mahnte zu einem erhöhten Bewußtsein, was die verfassunggebende Rechtsprechung und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Politik oder die Wirtschaft angeht.

An der Wiege der Universität standen anno 2001 Ministerpräsident Viktor Orbán – der im Frühjahr 2010 seine jetzt zweite Regierung gebildet hat –, der damalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und der baden-württembergische Regierungschef Erwin Teufel.

Die Gründerväter wollten eine Universität mit deutscher Unterrichtssprache und mit der zwingenden Vorgabe, Forschung und Lehre besonders auf Mitteleuropa abzustellen. Unter dem Motto „Fit für Europa!“ soll sie den europäischen Gedanken fördern und zugleich mit der „Lingua franca Deutsch“ eine „stabile Brücke für die deutsche Sprache in die Länder Mittel-, Ost und Südosteuropas“ sein. Dies hebt auch Rektor Masát hervor und verweist in der Frage der Standortwahl der Uni auf die „traditionellen Wurzeln der deutschen Kultur“ in Ungarn.

Die kleine Hochschule knüpft dabei an eine bewegte Geschichte der deutschsprachigen Ausbildung an, die bis zu deren Schließung im Jahre 1945 mit der deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag bestanden hatte. Indes soll(te) durch die Gründung nicht etwa eine Art restaurativer Prozeß eingeläutet werden, wie einst 1882 in Prag, als auf Betreiben Wiens die „Alma Mater Carolina“, die älteste Hohe Schule Mitteleuropas, in eine tschechische und in eine deutsche Lehranstalt aufgeteilt worden war.

Die Budapester Gründung im einstigen Stadtpalais der Grafen Festetics, ganz in der Nähe des Nationalmuseums gelegen, möchte sich bewußt durch einen übernationalen Charakter auszeichnen – ganz der Idee eines friedlich geeinten, aber vielseitigen und vielgestaltigen Europas über Staatengrenzen hinweg verpflichtet. Weshalb sich die Initiatoren, welchen sich auch die Schweiz anschloß und denen auch das deutsche Auswärtige Amt seine Unterstützung zuteil werden läßt, die „Multinationalität als Konstruktionsprinzip“ aufs Panier pflanzten.

Die offene Geisteshaltung, welche dieses Gemeinschaftsprojekt auszeichnet, zieht eine bunte Mischung junger Absolventen aus ganz Europa an und läßt sie dort auf bestens ausgewiesene und höchst interessante Forscher und Lehrende treffen.

An den Fakultäten für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften, für Internationale Beziehungen und der Fakultät für Mitteleuropäische Studien werden in postgradualen Studiengängen 200 Absolventen von Hochschulen aus 25 Ländern – mit Schwerpunkt Ungarn, Deutschland, Österreich, Schweiz, Rumänien, Slowakei und Polen – interdisziplinär für ihre künftigen Führungs- und Fachaufgaben vorbereitet. Nicht wenige sollen und wollen später im diplomatischen Dienst ihrer Herkunftsländer tätig werden und erwerben an der AUB sozusagen ihr Entree-Billet.

Das eigens installierte Donau-Institut, das die Forschungsaktivitäten der AUB in der Doktorschule („Die Zukunft Mitteleuropas in der Europäischen Union“), im Doktoratskolleg („Geschichte Mittel- und Osteuropas“) sowie in den drei Fakultäten zusammenführt, fungiert dabei als „Denkfabrik“ für grundlegende Fragen zur politischen, ökonomischen und kulturellen Kooperation im Donauraum.

Das Institut wurde von der Regierung Orbán in deren Aktionsplan „Entwicklung der Wissensgesellschaft durch Forschung, Bildung und Informationstechnologien“ aufgenommen. Denn deren Ziele decken sich mit dem Ehrgeiz der Hochschule – in Kooperation mit weiteren Universitäten –, einen internationalen Studiengang zu entwickeln, der sich eigens, aber allumfassend, mit dem Donauraum beschäfigt. Damit hat die AUB, an der ausschließlich weiterführende Masterstudiengänge und Promotionsprogramme angeboten werden, die Möglichkeit, sich noch stärker als Forschungsinstitution zu etablieren.

Die geringe Zahl der pro Studienjahr aufgenommenen Studierenden, die alle eine Aufnahmeprüfung bestehen müssen – zugelassen werden nur Postgraduierte, die über gute Deutschkenntnisse verfügen – schützt vor Phänomenen der „Massenuniversität“, die von unpersönlichen Begegnungen und schlechter oder fehlender Betreuung durch Professoren und Dozenten gekennzeichnet sind.

An der „Andrássy Gyula Deutschsprachige Universität“, wie sie offiziell heißt, beträgt das Verhältnis Lehrende zu Lernenden eins zu sieben, was zweifellos auch die Lehrveranstaltungen fachlich und didaktisch begünstigt sowie die Teilnehmer persönlich herausfordert. Das gilt im besonderen für das Klima an der eigens eingerichteten Doktorats-Schule, in deren Rahmen sich jeder Promotionswillige vor Abgabe seiner fertiggestellten Dissertation einer Reihe von Seminaren unterziehen muß.

Und die Finanzierung? Die AUB-Stiftungsmitglieder stellen das Lehrpersonal zur Verfügung und sichern die Stipendien. Bis zum Studienabschluß fallen für jeden Absolventen monatlich 750 Euro an Studiengebühren an. Für Studierende, die das nicht aufbringen können, stehen Stipendien aus einem durch Unternehmen und Stiftungen gespeisten Fonds bereit. Ungarn brachte das für 16 Millionen Euro renovierte Festetics-Palais ein und sorgt für den reibungslosen Lehrbetrieb. Auch Unterkünfte in Wohnheimen werden vermittelt.

Die anderen Beteiligten tragen die Personalkosten für die von ihnen an die AUB entsandten Professoren. Unlängst ist als neuer „Mitförderer“ die Autonome Region Trentino-Südtirol hinzugekommen, die für zunächst fünf Jahre einen namhaften Beitrag zum Budget der AUB beisteuert. Was gewiß auch Anreiz für die Ausrichtung der gerade abgeschlossenen Südtirol-Konferenz gewesen sein dürfte.

 

Graf Gyula Andrássy

Namensgeber der Andrássy-Universität Budapest (AUB) ist Graf Gyula Andrássy (1823–1890). Der ungarische Politiker und Diplomat war einer der Architekten des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 und von 1871 bis 1879 Außenminister der Doppelmonarchie. Er wurde, der Uni zufolge, als Namenspatron gewählt, weil es ihm gelungen sei, seine „Verbundenheit zu Ungarn mit dem europäischen Weltbild und Denken in Einklang“ zu bringen. Hervorgehoben wird zudem, daß sich Andrássy als Außenminister stets für „gute Beziehungen“ zum Deutschen Reich eingesetzt und zusammen mit Fürst Bismarck am 7. Oktober 1879 den sogenannten Zweibund zwischen dem Deutschen Kaiserreich und Österreich-Ungarn ausgehandelt habe.

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