© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Unsichere Zukunft
Stahlindustrie: Der deutsche Branchenführer Thyssen-Krupp meldet erneut Milliardenverluste / Teure Fehlinvestitionen in Amerika
Markus Brandstetter

Bei Thyssen-Krupp jagt eine Krise die andere – und das schon seit Jahren. Während andere Dax-Konzerne Rekordzahlen vorlegten, ist bei Thyssen-Krupp die Krise nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Aber das, was das Unternehmen im Dezember 2012 an Zahlen und Neuigkeiten präsentierte, übertrifft selbst die schlimmsten Erwartungen der Analysten. Unglaubliche fünf Milliarden Euro an Verlusten hat das Unternehmen im aktuellen Geschäftsjahr eingefahren. Im Vorjahr waren es nur 1,8 Milliarden Euro gewesen – ein hoher Wert, aber es wurde noch eine Dividende von 45 Cent je Aktie gezahlt, bezüglich der Dividendenrendite lag Thyssen-Krupp damit im Mittelfeld der Dax-Firmen.

Das Erstaunliche ist die Tatsache, wo der Verlust herrührt. Ganze 3,6 Milliarden Euro von den fünf Milliarden stellen Wertberichtigungen für zwei Stahlwerke dar – eines in den USA, das andere in Brasilien. Im Konzernabschluß ist dieser Posten beschönigend als „nicht fortgeführte Aktivitäten“ angegeben, so als hätte man einfach das eine oder andere unwichtige Geschäft eingestellt oder sich davon getrennt. Ein Nebenkriegsschauplatz also? Nein, bei den „nicht fortgeführten Aktivitäten“ handelt es sich in der Hauptsache um die Steel Americas.

Dieser ganze Geschäftsbereich steht seit September zum Verkauf. Das ist aber nicht irgendeine kleine Unternehmenssparte, die man sang- und klanglos verkaufen oder schließen könnte – nein, das war einmal der Stolz des ganzen Unternehmens. Die Steel Americas sind zwei riesige und hochmoderne Stahlwerke, eines in Brasilien (Companhia Siderúrgica do Atlântico/CSA), das andere in Calvert/Alabama (Thyssen-Krupp Steel USA, LLC). Der auf einer McKinsey-Studie beruhende Grundgedanke schien noch bei Baubeginn 2006 lukrativ: In Brasilien sollten kostengünstig Erze abgebaut, verhüttet und zu Brammen gegossen werden. Diese sollten dann auf dem Seeweg von Rio de Janeiro nach Alabama transportiert und dort zu hochwertigen Stählen und Blechen für die US-Industrie verarbeitet werden.

Aber gleich mehrere Faktoren machten all dem einen Strich durch die Rechnung. Die Baukosten des von einer chinesischen Firma statt in Eigenregie konstruierten Stahlwerks waren fünfmal höher als veranschlagt, die Fertigstellung mußte auch wegen Protesten der Bevölkerung mehrfach verschoben werden. Als die Werke 2010 endlich anliefen, war es mit dem durch China ausgelösten Stahlboom vorbei und die US-Autoindustrie, für die die Produktion aus Alabama teilweise gedacht war, steckte gerade in einer Jahrhundertkrise. Ebenso unterschätzt hatte man, daß in Brasilien eine byzantinische Bürokratie mit tausenderlei Vorschriften in einen ohnehin gelenkten Markt eingreift. Für das Thyssen-Krupp-Werk in Brasilien bedeutete dies: Umweltauflagen, Streiks, Inflation, ständig steigende Personal- und Rohstoffkosten. Hinzu kommt die Aufwertung der Landeswährung Real gegenüber Euro und Dollar.

Man kann es drehen und wenden wie man will, aber man wird den Eindruck nicht los, daß die Führung von Thyssen-Krupp seit zwei Jahrzehnten die Dynamik auf dem Weltstahlmarkt komplett falsch eingeschätzt hat. Beim Stahl spielt die Musik seit nunmehr 15 Jahren in Asien. Von 2000 bis heute hat sich die Stahlproduktion in Asien, und hier wieder hauptsächlich in China, verdreifacht, während sie sich in den USA und in der EU fast halbiert hat. Wenn überhaupt, dann hätten die größten Auslandsinvestitionen in der Geschichte von Thyssen-Krupp nicht in Amerika, sondern in Asien erfolgen sollen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, und genau das ist es, was nun mit Thyssen-Krupp geschieht.

Die Frage, die sich nun stellt ist: Bekommt das Unternehmen die Steel Ame-ricas eigentlich überhaupt verkauft und wenn ja zu welchem Preis? In jüngsten Pressemitteilungen des Unternehmens heißt es, der Verkaufsprozeß befinde sich in einem „fortgeschrittenen Stadium“, aber konkret will das Unternehmen weder einen Käufer noch auch nur einen Interessenten nennen. Die Stahlwerke in Brasilien und den USA haben den Konzern bislang mehr als zehn Milliarden Euro gekostet, wovon bereits mehr als die Hälfte abgeschrieben wurde.

Es stellt sich nun die bange Frage, ob irgend jemand kommt, der auch nur drei Milliarden Euro für die teure Fehlinvestition bezahlt. Wie dem auch sei: das alles stellt eine gigantische Wertevernichtung dar, die den Konzern auf Jahre hinaus schwächen wird. Bei all dem kann der zeitgleich verkündete radikale Umbau der Konzernspitze die Aktionäre wohl kaum befriedigen. Gleich drei Vorstände hat der Aufsichtsrat in einer beispiellosen Aktion von ihren Aufgaben zum Jahresende entbunden. Preisabsprachen mit Wettbewerbern, private Luxusreisen und schlichtes Versagen sollen hier eine Rolle gespielt haben. Das mag alles sein, kann aber nicht kaschieren, daß der Hauptfehler im Ausbau der amerikanischen Stahlwerke lag, wofür auch der Aufsichtsrat und frühere Vorstände die Verantwortung tragen.

Informationen zur Stahlherstellung: www.worldsteel.org

Thyssen-Krupp-Standort in Brasilien: www.thyssenkrupp-csa.com.br

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